Die Kämpfe in der syrischen Stadt Suweida sind nach dem Einsatz von Sicherheitskräften offiziellen Angaben zufolge beendet. Andere Quellen sprachen dagegen von anhaltenden Gefechten. Die Kämpfer eines Beduinenstamms seien nicht mehr in dem Gebiet präsent, teilte das syrische Innenministerium mit. Die Regierung hatte Sicherheitskräfte entsandt, um eine Waffenruhe nach Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der Drusengemeinschaft und syrischen Beduinenstämmen durchzusetzen.
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, nach einem Großangriff der Drusen hätten sich die Stammeskämpfer aus der Stadt zurückgezogen. Die Beobachtungsstelle berichtete nach der Verkündung einer Waffenruhe und dem Rückzug der Regierungstruppen von
anhaltenden Angriffen auf die Stadt und auf andere Teile der Provinz
Suweida. Auch Syriens Informationsminister Hamsa
al-Mustafa sagte, dass die Waffenruhe weiterhin brüchig sei.
Der Sprecher einer bewaffneten drusischen Gruppe, Bassem Fakhr, sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Beduinen seien aus der Stadt “vertrieben” worden. “Wir wollen die Waffenruhe einhalten, aber die Beduinen greifen uns von mehreren Gebieten außerhalb der Stadt aus an”, sagte er.
Der syrische Notfallminister Raed al-Saleh sprach im syrischen
Staatsfernsehen von einer “schlechten” humanitären Lage in Suweida.
Konvois mit Hilfsgütern warteten darauf, in die Stadt einzufahren,
sobald “die entsprechenden Bedingungen” gegeben seien.
Was ist die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte?
Auch nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad ist der Zugang zu verlässlichen Informationen über Entwicklungen in Syrien weiterhin schwierig. Dies gilt insbesondere für Kampfgeschehen. Anhänger des gestürzten Diktators, die neue Übergangsregierung unter der Führung islamistischer Milizionäre oder kurdische Einheiten im Norden des Landes sind nur drei der vielen Fraktionen im Land, die jeweils eigene Interessen verfolgen und ihre Sichtweise verbreiten.
Viele westliche Medien berufen sich daher weiterhin auf die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR). Die Organisation wurde 2006 von dem Exilsyrer Rami Abdelrahman (bekannt auch unter seinem bürgerlichen Namen Osama Suleiman) in Großbritannien gegründet. Nach Beginn des Bürgerkriegs war ihr Ziel, die Zahlen von Verletzten und Getöteten möglichst genau zu erfassen sowie Informationen über Menschenrechtsverletzungen zu sammeln.
Quelle für die von der Beobachtungsstelle gesammelten Informationen waren und sind nach wie vor Aktivisten vor Ort – nach eigenen Angaben sollen es Hunderte sein. Die Informationen der Aktivisten werden von Abdelrahman sowie von seinen Kontaktleuten in Syrien gesammelt, im Anschluss so gut wie möglich überprüft und schließlich veröffentlicht.
Abdelrahman gilt als umstrittene Figur, von verschiedenen Seiten wurde ihm in der Vergangenheit die Verbreitung von Fehlinformationen vorgeworfen. Internationale Menschenrechtsorganisationen halten die von der Beobachtungsstelle zur Verfügung gestellten Informationen jedoch für überwiegend verlässlich. 2020 erhielt Abdelrahman für seine “herausragende Leistung, Menschenrechtsverletzungen in Syrien akribisch zu dokumentieren”, den Sonderpreis beim jährlich verliehenen Stern-Preis (ehemals Nannen Preis).
Rubio mahnt Verbleib syrischer Sicherheitskräfte an
US-Außenminister Marco Rubio forderte die syrische Übergangsregierung dazu auf, Sicherheitskräfte in Südsyrien stationiert zu lassen. Die Regierung
in Damaskus müsse “ihre Sicherheitskräfte nutzen, um den Islamischen
Staat und andere gewalttätige Dschihadisten davon abzuhalten, in das
Gebiet einzudringen und Massaker zu verüben”, schrieb Rubio im Onlinedienst X. Nur so könne ein “vereintes, inklusives und
friedliches Syrien” erreicht werden.
In der überwiegend von Drusen bewohnten Provinz Suweida hatten am vergangenen Sonntag Gefechte zwischen Kämpfern der religiösen Minderheit, die im elften Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorging, und sunnitischen Beduinen begonnen. Zwischen den beiden Volksgruppen gibt es seit Langem Auseinandersetzungen, die immer wieder zu Gewalt führen.
Zur Unterstützung der Beduinen kamen Kämpfer syrischer Stämme in die Region. Den Beduinen gelang es dadurch, zeitweise Teile der gleichnamigen Provinzhauptstadt einzunehmen. Zugleich griff Israel aufseiten der Drusen ein, indem es Konvois der syrischen Regierungsarmee auf dem Weg nach Suweida bombardierte, aber auch Regierungsgebäude in Damaskus. Israel stimmte inzwischen einer Waffenruhe mit der syrischen Regierung zu.
Mehr als 900 Menschen bei Kämpfen getötet
Bei den seit fast einer Woche andauernden Kämpfen wurden nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bislang rund 940 Menschen getötet. 326 der Toten seien drusische Kämpfer, 262 drusische Zivilisten. Unter den Toten sind laut der Beobachtungsstelle zudem 312 Sicherheitskräfte der Regierung und 21 Beduinen. Durch die israelischen Angriffe wurden 15 weitere Regierungskämpfer getötet, wie die Beobachtungsstelle weiter mitteilte. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, gelten in der Regel aber als zuverlässig.
Rund sieben Monate sind seit dem Sturz des Assad-Regimes vergangen. Die neue Regierung in Syrien ringt weiter um die Kontrolle über Teile des Staatsgebiets. Ein Teil der
drusischen Gemeinschaft in Suweida fordert Autonomie, andere Vertreter
sind offen für eine Integration in die neue syrische Armee.
In Syrien lebten vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg etwa 700.000
Drusen, die meisten von ihnen in der Provinz Suweida. Die religiöse Minderheit macht
etwa drei Prozent der syrischen Bevölkerung aus. Drusen leben auch im
Libanon, in Israel und auf den Golanhöhen.
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