rosenheim24-dePolitik

DruckenTeilen

30 Tonnen Bomben auf Kaliningrad? Die Nato geht jetzt in die Offensive: Briten bauen mit der „Tempest“ einen Kampfjet, der besser angreift als verteidigt.

London – „Jahrelang haben wir uns nicht allzu viel Mühe mit der Verteidigung des Nato-Gebiets gegeben, weil wir nicht wirklich befürchteten, dass irgendetwas passieren könnte“, sagte Martin Friis gegenüber der Moscow Times am Rande der Luftwaffen-Übung Ramstein Flag im April. Der vermeintlichen Schwäche der Nato gegenüber Wladimir Putins Invasionstruppen am Boden stünde aber wohl die unangefochtene Hoheit der Nato in der Luft gegenüber. Das behauptet ein aktueller Bericht. Und anders als aus dem Ukraine-Krieg gewohnt, müssten russische Kräfte noch aus einem anderen Grund die Köpfe einziehen: Großbritannien will nicht nur die eigenen Grenzen verteidigen, sondern auf Russlands Herz zielen.

Vor 2022 sei für viele Nato-Mitglieder die Wahrung ihrer militärischen Unabhängigkeit wichtiger als die Zusammenarbeit, urteilt das Magazin The Week. Martin Friis arbeitet mit an einer Korrektur: Während der Übung Ramstein Flag hätten 91 Flugzeuge aus 15 Nato-Staaten innerhalb von zwei Wochen mögliche kollektive Reaktionen auf einen Angriff auf einen anderen Mitgliedsstaat geübt – der dänische Oberst Friis hat die Übung koordiniert. „Wir wissen, dass wir beobachtet werden“, sagte er der Moscow Times. Koordination ist das Eine, Waffentechnik das Andere: Großbritannien stürmt künftig an die Front mit einem Flieger, den die Nato noch nicht gesehen hat – die „Tempest” (zu Deutsch: Sturm).

Das Konzept des Kampfjets der Zukunft: die „Tempest“ aus Großbritannien im angedeuteten Sturzflug

Kampfjet der Zukunft – das Team Tempest Future Combat Air System Concept: Mit der „Tempest“ – hier die Studie – will das Konsortium aus Großbritannien, Italien und Japan prinzipiell die Urform eines Drohnen-Mutterschiffes konstruieren – zumal, wenn die Maschine dank Künstlicher Intelligenz auch unbemannt zu fliegen imstande sein wird. Aktuell erinnert sie noch an den bisher am vermutlich weitesten entwickelten Kampfjet, die US-amerikanische F-35. © Annette Meadows / BAE SystemsKurs Russland: „Tempest“ gebaut, um „auf Entfernungen zu operieren, die uns bisher nicht möglich waren“

„Sollte es jemals zu einem Krieg zwischen der Nato und Putins Russland kommen, würde die Maschine laut Experten von einem britischen Flugplatz starten, unentdeckt nach Russland fliegen, die feindliche Luftabwehr zerstören und anschließend den gesamten Weg zurückfliegen“, schreibt Matt Oliver. Die Euphorie des Autoren des britischen Telegraph wird von der britischen Luftwaffe mit Sicherheit geteilt, aber nicht bestätigt. Allerdings bekräftigt der ehemalige Royal Air Force (RAF)-Angehörige Jonny Moreton angesichts dessen, dass moderne Kriege über immer größere Distanzen geführt werden, dass Abschreckung gegen russische und chinesische Aggressionen bedeute, „auf Entfernungen zu operieren, die uns bisher nicht möglich waren“, wie ihn der Telegraph zitiert.

„Er wird in einer völlig anderen Liga spielen als alles, was wir je gebaut haben.“

Moreton arbeitet mit an der „Tempest“ für die britische Rüstungsschmiede BAE Systems; zum Konsortium gehört aber auch Japan. Insofern zählt neben dem Roten Platz in Moskau auch der Platz des Himmlischen Friedens in Peking zu den Destinationen der „Tempest“-Konstrukteure. Während sich Putins Truppen in der Ukraine festbeißen und verbluten, ist die Tempest ein manifestes Zeichen für ein mittlerweile gestärktes Selbstbewusstsein der Verteidigungsallianz – ein aktueller Bericht des Magazins Newsweek lässt aufhorchen.

Nato-Kommandeur Christopher Donahue warnte darin, seine Streitkräfte könnten die schwer befestigte russische Region Kaliningrad notfalls „in einem noch nie da gewesenen Zeitrahmen“ einnehmen. Der Kommandeur der U.S. Army für Europa und Afrika machte diese Bemerkung, als das Bündnis am Mittwoch auf der ersten LandEuro-Konferenz der Association of the US Army einen neuen Verteidigungsplan für die Ostflanke vorstellte, wie Newsweek-Autor Jordan King aktuell schreibt. Den Mut dieser rhetorischen Attacke schöpft Donahue womöglich aus Papieren, die den Nato-Streitkräften zumindest in der Luft eine deutliche Überlegenheit bescheinigen, trotz aller Schwächen zu Lande und teilweise auch zu Wasser – eines dieser Papiere hat jetzt der US-Thinktank Rand Corporation vorgelegt.

US- und Nato-Luftstreitkräfte würden die russische Invasion eines europäischen Verbündeten niederschlagen können, berichtet über dieses Papier das Magazin Stars & Stripes. Demnach würden die USA und ihre Verbündeten den Luftraum gegenüber Russland dominieren und damit einen entscheidenden Vorteil auf dem Schlachtfeld erzielen können. Die „Tempest“ wird zu einer Korsettstange dieses Konfliktes werden.

Nato-Speerspitze: Die Maschine soll Maßstäbe setzen. In Reichweite, Nutzlast und Datenfusion

Die Maschine soll Maßstäbe setzen. In Reichweite, Nutzlast und Datenfusion; wie The War Zone (TWZ) berichtet, gingen die Konstrukteure davon aus, dass die Maschine ohne aufzutanken über den Atlantik hinwegkommen soll. Darüber hinaus solle sie das Doppelte einer F-35 an interner Nutzlast, also an Waffenlast, tragen können. Die F-35 lädt etwas weniger als zweieinhalb Tonnen, die „Tempest“ soll etwas mehr als viereinhalb Tonnen Waffen bewegen können; mindestens. Neue Schätzungen gehen von einem Vielfachen davon aus. Auch die geplanten Netzwerkqualitäten werden als bisher einzigartig angepriesen.

Es ist die Plattform, die das Spielfeld betritt und den Plan kennt“, zitiert TWZ „Group Captain Bill“ von der RAF, der in einem BAE-Podcast die Maschine mit dem Quarterback im American Football vergleicht – also dem Spieler, der die Bälle verteilt: „Der Quarterback muss die Fähigkeit, die strategische Vision und die Reaktionsfähigkeit besitzen, um mit dem Spielverlauf zu Beginn umzugehen und dann zu entscheiden, wie er die Aufgaben an die verbleibenden Spieler auf dem Feld weitergibt, das Geschehen beobachtet und dann entscheidet, wie er das Ziel erreicht“, sagt die RAF-Quelle.

Ob die „Wunderwaffe“ die Qualitäten auch außerhalb des RAF-Eigenlobs zeigen kann, wird hoffentlich nie bewiesen werden müssen – aber die Wahrscheinlichkeit wachse, sollte Russland den Ukraine-Krieg tatsächlich gewinnen, mutmaßen die Analysten der RAND Corporation. „Ein klarer russischer Sieg im Krieg würde die Frage aufwerfen, ob nichtwestliche Mächte in der Lage sind, Aspekte des internationalen Systems neu zu gestalten“, schreiben sie in ihrer aktuellen Prognose. Das System neu zu gestalten, hieße womöglich, Russland in genau die Schranken zu weisen, die Wladimir Putin als inakzeptabel ansieht.

Putin soll wissen: „Tempest“ kann die Nato „von einer Friedens- in eine Kriegsbereitschaftsposition“ bringen

Tatsächlich gehen auch die RAND-Analysten davon aus, dass Russland vor allem infanteristisch und artilleristisch mit einem „Blitzkrieg“-ähnlichen Überfall auf das Baltikum Boden schnell gutmachen würde. Der Sinn der Nato-Truppen im Baltikum ist der eines „Stolperdrahtes“ – der Angreifer soll aufgehalten werden, bis reguläre Kräfte nachgestoßen sind und eine haltbare Verteidigung aufgezogen beziehungsweise den Angriff zurückgeschlagen haben. Über die Effizienz der dortigen Truppen bestehen geteilte Meinungen.

Einhellig ist jedoch die Wertschätzung der Nato-Luftwaffe gegenüber Russlands Luftstreitmacht – die selbst im Ukraine-Krieg keinen entscheidenden Vorteil gegenüber der Ukraine hat erringen können. Statistischen Erhebungen zufolge bietet die Nato fast das Fünffache an Überlegenheit an Material – das möglicherweise durch das Arsenal an Langstreckenraketen wieder etwas aufgewogen wird. Der „Tempest” jedenfalls wird zugeschrieben, dass sie Russland davon abhält, zur ultima Ratio zu greifen. Das scheinbar neue Selbstbewusstsein der Nato, von dem Newsweek spricht, ziele laut dem Autoren Jordan King darauf ab, „das Bündnis von einer Friedens- in eine Kriegsbereitschaftsposition zu bringen“, um jede Begehrlichkeit Russland auf nur das kleinste Stückchen Europas im Keim zu ersticken.

In allem besser als F-35 und Eurofighter Typhoon: „Es wird in einer völlig anderen Liga spielen

Die „Tempest“ muss also gar nicht können, was ihr im jetzigen frühen Stadium ihrer Entwicklung zugeschrieben wird. Moskau muss lediglich glauben, dass sie letztendlich kann, was sie können soll. „Donahue sprach speziell über Kaliningrad und sagte, die modernen Fähigkeiten der Alliierten könnten es schneller als je zuvor ,vom Boden zerstören‘“, schreibt Jordan King. Kaliningrad ragt als Enklave geographisch ins Baltikum hinein, grenzt im Süden an Polen, im Norden und Osten an Litauen, und gilt als vorgeschobene Festung, von der aus auch Raketen auf Europa gestartet werden können.

Die Nato wächst und kämpft: Alle Mitgliedstaaten und Einsätze des Bündnisses

Nato-Einsatz in Afghanistan

Fotostrecke ansehen

Kaliningrad dem Erdboden gleichzumachen wäre ein Aufgabengebiet für die „Tempest“ – das Konsortium unter britischer Führung arbeitet einerseits daran, den Kampfjet so belastbar zu machen wie keinen Kampfjet zuvor, verbrauchsärmer und deutlich unsichtbarer als alles, was sonst für den Westen fliegt. Die Ingenieure versuchen, die Belüftung S-förmig durch den Rumpf zu leiten, die Maschine größer zu bauen als vergleichbare Maschinen und die Nutzlast zu erhöhen. Die „Tempest“ soll vier Meter länger sein als eine F-35, und letztendlich mit 30 Tonnen Waffen sieben Tonnen mehr transportieren können als ein Eurofighter Typhoon. An Reichweite soll sie die F-35 um das Dreifache übertreffen und die Typhoon um fast das Doppelte.

Francis Tusa ist von den Eckdaten des Kampfjets jedenfalls beeindruckt, wie der unabhängige Verteidigungsanalyst gegenüber dem Telegraph über die Fähigkeiten der britischen Rüstungsindustrie bezüglich des Kampfjets geäußert hat: „Er wird in einer völlig anderen Liga spielen als alles, was wir je gebaut haben.“