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Drohnen-Innovations-Hub Türkei? Präsentation von Bayraktar Kizilelma, dem ersten unbemannten Kampfjet der Türkei, entwickelt von der Baykar-Fabrik, einem der führenden Waffenhersteller des Landes in Istanbul, Türkei. Bisher eine Studie, eine Vision. Konkreter ist da die TALAY – die erste niedrig fliegende Marinedrohne der Welt. Anfang 2027 soll sie an die Truppe gehen (Archivfoto). © IMAGO/Yurttas Cemal/DIA Images/ABACA
Russland ist im Schwarzen Meer machtlos geworden: Die Türkei entwickelt eine Drohne, die unterm Radar ihr Ziel erreicht. Ein Ansatz auch für die Ostsee?
Ankara – „65 Prozent der Verkäufe entfielen auf die Türkei“, schreibt Molly Cambell. In ihrer Untersuchung hat die Analystin des US-Thinktanks Center for a New American Security (CNAS) festgestellt, dass der Nato-Partner vom Bosporus inzwischen zur weltweit führenden Exportnation für Drohnen geworden ist. Parallel zum Ukraine-Krieg und dem Einfallsreichtum der Verteidiger präsentieren die Türken jetzt eine weitere Waffe, die Wladimir Putins Invasionsarmee vor allem auf dem Wasser den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird.
TALAY soll die neue Drohne heißen, wie das Magazin Defense Express berichtet. Ihr Hauptmerkmal sei, dass sie als „Bodeneffektfahrzeug“ wirke – offenbar sei sie die erste Drohne dieser Klasse, behaupt das Magazin. TALAY „ist ein hochmodernes, vielseitig einsetzbares WIG-UAV (Wing-in-Ground Unmanned Areal Vehicle), optimiert für See- und Küsteneinsätze. Dank des Wing-In-Ground-Effekts (WIG-Plane) gleitet es effizient in drei Metern Höhe über dem Meeresspiegel und operiert unauffällig unter typischen Radarhorizonten“, schreibt der Hersteller Solid Aero in seiner Produktpräsentation. Dank faltbarer Flügel für einen schnellen Einsatz könne die Drohne bis zu 30 Kilogramm Sensoren oder Munition mit Geschwindigkeiten von bis zu 200 Kilometern pro Stunde transportieren. Der Clou an dem Gefährt ist aber tatsächlich sein Antrieb.
Wing-in-Ground (WIG)-Flugzeug – modernes Luftkissenboot
„Ein WIG-Flugzeug ist ein multimodales Fluggerät, das in seiner Hauptbetriebsart den Bodeneffekt über dem Wasser oder einer anderen Oberfläche ausnutzt, ohne ständigen Kontakt mit einer solchen Oberfläche und in der Luft hauptsächlich durch einen aerodynamischen Auftrieb gehalten wird, der an einem (mehreren) Flügel(n), einem Rumpf oder deren Teilen erzeugt wird, die den Bodeneffekt ausnutzen sollen.“ Dieser Effekt entsteht durch die Nähe eines Bestandteils des Fahrzeugs zur Oberfläche, wodurch der geringe Luftwiderstand einen höheren Auftrieb erzeugt und dem Luftfahrzeug eine höhere Geschwindigkeit ermöglicht.
Quelle: International Maritime Organization
TALAY sei während seiner maximalen Flugdauer von rund drei Stunden multifunktional einsetzbar für Patrouillen-, Aufklärungs-, Angriffs- oder Frachteinsätze und fliege autonom oder bedienergesteuert bis zu 200 Kilometern im Umkreis und bis zu einem Seegang der Stärke drei, so der Hersteller. „Aufgrund seiner Flügelkonstruktion kann TALAY eine maximale Flughöhe von nur 100 Metern erreichen. Dank dieser Flügelkonfiguration und der Fähigkeit, auf dem Wasser zu landen, fliegt er jedoch nur 30 Zentimeter über den Wellen und ist somit nahezu unsichtbar“, lobt Defense Express.
Putins Bedrohung: Echter Killer in einem möglichen Krieg gegen ein aggressiv-expansionistisches Russland
Ohne genaue Zahlen zu präsentieren, geht das Magazin davon aus, dass die Waffe günstig zu produzieren sein wird, also das Zeug hat zu einem echten Killer in einem möglichen Krieg gegen ein aggressiv-expansionistisches Russland. Die Türkei ist erwiesenermaßen eine Exportnation für Drohnenwaffen, aber inwieweit die Nato davon profitieren will oder kann, bleibt fraglich. Wie Ahmed Abouyoussef schreibt, exportiere die Türkei in Richtung Europa lediglich nach Polen und die Ukraine, so der Analyst des Al Habtoor Research Centers aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
„Für Küstenstaaten, die ihre Küstengewässer mit unkonventionellen, schwer zu ortenden Systemen verteidigen wollen, könnte TALAY einen Wendepunkt darstellen.“
Das Verhältnis der europäischen Länder zur Türkei ist politisch immer belastet, weswegen auch keine Waffen in europäischen Armeen zu finden sind – möglicherweise würden sie aber eine bestehende Fähigkeitslücke kostengünstig schließen können. Die Türkei scheint sich von den Animositäten westlicher Länder und Verbündeter, freigeschwommen zu haben. Immerhin verfügt die Türkei über mehr Drohnen als ein Hochtechnologieland wie Deutschland – als hätte die dortige Regierung die militärische Entwicklung durch einen Krieg, wie er in der Ukraine tobt, vorausgeahnt. Die Entwicklung der türkischen Drohnenindustrie soll auf die 1990er-Jahre zurückgehen, berichtet Esra Karataş Alpay.
„Die Fähigkeit der Türkei, moderne Drohnen zu entwickeln, ist eine direkte Folge der Bemühungen ihres Verteidigungssektors, die Herausforderungen beim Zugang zu ausländischer Technologie zu überwinden, insbesondere in kritischen Momenten, als traditionelle Verbündete wie die USA und Israel Beschränkungen auferlegten oder Verkäufe verweigerten“, zitiert der englischsprachige türkische Nachrichtensender TRT Global Murat Aslan. Der Politikwissenschaftler der Hasan-Kalyoncu-Universität in Gaziantep erinnert daran, dass die Türkei Ende des vergangenen Jahrtausends israelische Heron-Drohnen hätte kaufen können, aber dass die Israelis die Steuerung der Waffen in eigener Kontrolle behalten wollten. Für die Türkei inakzeptabel, weshalb das Land am Bosporus die Produktion eigener Drohnen forciert hat.
Premiere noch im Ukraine-Krieg? TALAY scheint das Potenzial für einen neuen Exportschlager zu haben
„Die positive Presse von den Schlachtfeldern Libyens, Bergkarabachs und der Ukraine sowie die kurzen Lieferzeiten der Türkei haben die Türkei an die Spitze des Militärdrohnenmarktes katapultiert“, schreibt Molly Campbell in ihrem aktuellen CNAS-Report. TALAY scheint das Potenzial für einen neuen Exportschlager zu haben, vermutet Defense Express – vor allem, weil der Ukraine-Krieg vor allem im Schwarzen Meer die Schlagkraft von Marinedrohnen verdeutlicht hat. Defense Express geht aus vom Start der Serienproduktion im Oktober 2026 und der Auslieferung der ersten Einheiten an die türkische Marine Anfang 2027. Als „ideal für Angriffe auf Schiffe und Hafeninfrastruktur“, bezeichnet das Magazin die Waffe.
Putin wird die Produktvorstellung der „Luftkissen“-Drohne die Zornesröte ins Gesicht treiben – aufgrund dieser Waffe wird er wahrscheinlich vollends die Kontrolle über das Schwarze Meer verlieren und seine kleinste Flotte dort über kurz oder lang abschreiben können: „Im Gegensatz zum festgefahrenen Landkrieg hat die Taktik der Ukraine im Schwarzen Meer Russland demütigende Niederlagen beschert, und die Türkei hat sich als Seemacht des Meeres herausgestellt“, schreibt Alper Coşkun für den Liechtensteiner Thinktank Geopolitical Intelligence Services (GIS).
Der Diplomat sieht neben seinem Heimatland vor allem die USA und mittelbar die Nato als Profiteur der Scharte, die die Ukraine Russland im Schwarzen Meer beigebracht hat. Nicht nur, dass die Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte auf offener See versenkt werden konnten; auch in Häfen und auf Reede war die russische Marine vernichtenden Schlägen ausgesetzt. Mit der TALAY setzt die Türkei nach – Russland dürfte der Boden in dieser Region künftig zu heiß werden; da Putins Marine weder Über- noch künftigen Unterwasserdrohnen Adäquates entgegenzusetzen hat, droht Russland neben der Ostsee eine weitere maritime Schlappe.
Verhältnis Russland und Türkei ambivalent: „Weder Freund noch Feind“
„Als die Türken vor Stalin zitterten“, hat das Nachrichtenmagazin Spiegel die Erinnerung an den Nato-Beitritt der Türkei überschrieben; das war 2022, und die Türkei war da 70 Jahre Partner der nordatlantischen Verteidigungsallianz – drei Jahre länger als Deutschland. Das Verhältnis der Türkei als Nato-Torwächter am Bosporus gegenüber Russland ist ambivalent. „Weder Freund noch Feind“ sei „wohl die treffendste Beschreibung für den Umgang dieser beiden Länder miteinander“, schreibt Alper Coşkun. Das gelte auch für das Miteinander am Schwarzen Meer: „Zwar herrscht oberflächlich keine offene Konfrontation, doch das Gefühl der Rivalität und der Wunsch, auf Kosten des anderen die Oberhand zu gewinnen, sind allgegenwärtig.“
Die Nato wächst und kämpft: Alle Mitgliedstaaten und Einsätze des Bündnisses

Mit der TALAY könnte der Türkei ein ähnlicher Coup gelungen sein, wie der Ukraine mit der MAGURA V5. Wie das Magazin Army Recognition berichtet, sei die türkische „Luftkissen“-Drohne, die „unterhalb der meisten Marineradarhorizonte“ operieren könne und daher ideal geeignet sei für die „Neutralisierung kleiner bis mittelgroßer Schiffe oder der Störung der Hafeninfrastruktur“. Das heißt, dass Russland Schnellboote, Minensucher oder sogar Raketenkorvetten en masse einbüßen könnte, ohne dass irgendwer auf der Brücke auch nur den leisesten Schimmer von der Gefahr hat, bis es knallt.
Möglicherweise schauen auch die Ostsee-Anrainer jetzt genauer hin. TALAY drängt sich auf als nimmermüder Wachtposten auch an deren Ufern, wie Army Recognition mutmaßt: „Für Küstenstaaten, die ihre Küstengewässer mit unkonventionellen, schwer zu ortenden Systemen verteidigen wollen, könnte TALAY einen Wendepunkt darstellen.“