Thaad-System. Bild: Naeblys/ Shutterstock.com
Zweifel an der Widerstandskraft der Allianz. Begrenzte Abwehrsysteme und Munition erschweren die Verteidigung. Wie verwundbar sind die Verbündeten wirklich?
Vom 13. bis 24. Juni hat der Iran insgesamt 574 ballistische Raketen auf Israel abgefeuert. Trotz intensiver Bemühungen der Luftabwehr Israels und der USA gelang es einigen Geschossen, ihr Ziel zu erreichen und Schäden anzurichten.
Eine neue Studie der in Washington ansässigen Denkfabrik Jewish Institute for National Security Affairs (Jinsa) liefert nun erstmals konkrete Daten, die eine fundierte Analyse der Leistungsfähigkeit der israelischen und US-amerikanischen Raketenabwehrsysteme in diesem Konflikt ermöglichen – mit teils überraschenden Ergebnissen.
Die vielleicht größte Erkenntnis ist die herausragende Rolle, die das von US-Streitkräften in Israel und am Persischen Golf betriebene Thaad-System (Terminal High Altitude Area Defense) spielte. Thaad ist darauf ausgelegt, anfliegende ballistische Raketen in der Endanflugphase in großer Höhe abzufangen.
Mit Kosten von 12,7 Millionen US-Dollar pro Abfangrakete ist es zwar teuer, aber immer noch deutlich günstiger als die Raketen vom Typ SM-3 Block 2A des seegestützten Aegis-Systems mit fast 28 Millionen US-Dollar pro Schuss.
Dem Jinsa-Bericht zufolge fing Thaad im Juni-Konflikt satte 47,7 Prozent aller auf Israel abgefeuerten iranischen Raketen ab – ein unerwartet hoher Anteil. Dabei verbrauchten die US-Streitkräfte mindestens 14 Prozent ihres gesamten derzeitigen Thaad-Raketen-Vorrats. Laut Jinsa würde es Hersteller Lockheed Martin rund acht Jahre dauern, die Bestände der US-Armee wieder auf den vorherigen Stand aufzufüllen – eine ernüchternde Perspektive.
Allerdings ist unklar, wie viele Thaad-Raketen tatsächlich abgefeuert wurden, um die 92 iranischen Raketen abzuschießen. Die genannten 14 Prozent beziehen sich nur auf die erfolgreichen Abschüsse, nicht auf den tatsächlichen Munitionsverbrauch. Die verbleibenden einsatzbereiten Thaad-Bestände könnten also geringer sein als von Jinsa angegeben.
Begrenzte Bestände und schleppende Produktion
Erschwerend kommt hinzu, dass die USA nicht nur ihre eigenen Thaad-Bestände auffüllen, sondern auch andere Länder mit dem System beliefern müssen, darunter Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Zudem sind US-Thaad-Batterien in Südkorea, auf Hawaii, Guam und der Wake-Insel stationiert. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch chinesische Raketen muss Washington möglicherweise die Bestände im Pazifikraum aufstocken – was die Produktion und Beschaffung zusätzlich belastet.
Ein weiteres Problem, das sich im Konflikt andeutete, ist die Abwehr von modernen Hyperschall-Gleitflugkörpern, die der Iran ebenfalls eingesetzt haben soll. Sowohl China als auch Russland verfügen bereits über einsatzfähige Hyperschallwaffen. Um diese effektiv abfangen zu können, bräuchte Thaad wohl deutlich mehr Reichweite und Geschwindigkeit – Fähigkeiten, die bisher nur auf dem Papier existieren.
Israel setzte in dem Konflikt vorwiegend auf seine Abfangsysteme Arrow 2 und Arrow 3. Nach eigenen Angaben konnte die israelische Luftabwehr damit über 200 iranische Raketen abfangen, während 258 nicht bekämpft wurden, da sie voraussichtlich in unbewohnten Gebieten einschlagen würden.
Iranische Raketen zu ungenau
Letztlich waren mehr als die Hälfte der iranischen Raketen zu ungenau, um eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Dennoch wurde deutlich, dass Israel nicht über ausreichend eigene Abfangraketen und Startgeräte verfügt und stark auf Nachschub aus den USA angewiesen ist. Ohne direkte Unterstützung der US-Streitkräfte, so eine ernüchternde Erkenntnis, kann Israel sein Territorium nicht effektiv gegen massive Raketenangriffe verteidigen.
Der Jinsa-Bericht berücksichtigt nicht die ebenfalls bedeutende Bedrohung durch Kamikaze-Drohnen. Doch auch diese Gefahr dürfte in künftigen Konflikten weiter zunehmen und die Abwehrsysteme vor zusätzliche Herausforderungen stellen.
Lehren aus Israel
Insgesamt zeigt sich: Die Fähigkeit der USA und Israels, Luftverteidigungsraketen in ausreichender Zahl und Geschwindigkeit zu produzieren, ist den rasch wachsenden Raketenkapazitäten von Gegnern wie Russland, China oder dem Iran deutlich unterlegen.
Was für Israel gilt, trifft in noch größerem Maße auf Europa und Asien zu. Die Nato-Staaten verfügen insgesamt nur über begrenzte Luftabwehrfähigkeiten, die noch weit hinter denen Israels zurückbleiben. Gleichzeitig ist das zu schützende Gebiet um ein Vielfaches größer. Auch die US-Verbündeten Japan, Südkorea und Taiwan sind trotz Unterstützung aus Washington nur begrenzt auf großangelegte Raketenangriffe vorbereitet.
Die USA hätten derzeit größte Schwierigkeiten, die Nato-Staaten gegen massive russische Raketenangriffe zu unterstützen oder Japan, Südkorea und Taiwan angesichts ihrer knappen Raketen-Bestände und zu geringen Anzahl an Abwehrsystemen effektiv beizustehen.
Es ist offensichtlich, dass die US-Rüstungsindustrie dieser Herausforderung gegenwärtig nicht gewachsen ist. Es gibt zu wenige Fabriken, die Produktionskapazitäten und Effizienz sind zu gering.
Das US-Verteidigungsministerium setzt bisher weiter auf kleinteilige Bestellungen bei den etablierten Herstellern, statt die Produktion von Boden auf zu reformieren, um quantitativ und qualitativ mit den Raketenarsenalen von Russland, China oder dem Iran mithalten zu können.