Man kann die Aufregung buchstäblich hören an diesem Dienstagvormittag im Keller des Nockherberg-Gasthauses. Ein Kameramann sagt elf Minuten vor Beginn der Pressekonferenz zu seinem Technik-Team: „Seid ihr bereit?“ Bereit sind an diesem Vormittag alle, das zeigt sich 14 Minuten später, als mit einer leichten Verzögerung die Protagonisten dieser gelungenen Inszenierung die Bühne betreten. Im Publikum sitzt vor allem der Haussender BR in Fußballmannschaftsstärke und wird umrahmt von den Insignien der Brauerei: Fässer, Sudkessel, Zapfanlage. Dann treten zwei Männer vor das Publikum, die ihre Rollen sehr gut eingeübt haben.
Die Formulierung in der Einladung war ohnehin schon eindeutig. Die Brauerei Paulaner lädt am Dienstagvormittag zum Gespräch mit der Fastenpredigerin oder dem Fastenprediger für das Jahr 2026. Bliebe weiterhin Kabarettist und Schauspieler Maxi Schafroth im Amt, man müsste nicht die weibliche Form miteinbeziehen bei dieser Ankündigung, die noch dazu sehr kurzfristig kommt – selbst wenn man bei dieser Veranstaltung mittlerweile auf fast alles gefasst sein sollte, kein Bier-Event dieser Stadt wird derart ausführlich vermarktet. Also werden sofort nach Bekanntwerden des zu dem Zeitpunkt noch mutmaßlichen Wechsels an der Spitze der bayerischen Regierungskritiker erste Spekulationstexte ins Netz gestellt, in denen verschiedene Namen genannt werden. Der von Zinner nicht.
Und so ist die Medienschar an diesem Dienstag an den Ort des Derbleckens gepilgert, um den Nachfolger von Schafroth vorgestellt zu bekommen, den langjährigen Söder-Darsteller Stephan Zinner. Das ist schnell geklärt, und zwar exakt um 10.33 Uhr, als dieser zusammen mit Maxi Schafroth und dem etablierten Drehbuchautor Thomas Lienenlüke, mit dem bereits Schafroth und seine Vorgänger zusammengearbeitet haben, den Raum betritt. Nicht so einfach ist hingegen die Frage zu beantworten, warum es einen neuen Prediger gibt. Mutmaßlich ist das diesjährige Derblecken auch ein Grund für den personellen Wechsel. Und bevor man den beiden Kabarettisten zuhört, lohnt dann doch ein Blick zurück auf den 12. März 2025.

Schafroth bei seiner Rede im März 2025. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
Nach übereinstimmender Saalmeinung an diesem Abend war es nicht die beste Rede des seit 2019 amtierenden Derbleckers Schafroth. Zu wenig lustig, zu ernst, zu hart. All das waren Reaktionen aus dem Publikum. Gerade aus der traditionell am meisten derbleckten, weil regierenden Partei CSU kamen sogar wütende mit Hang zur Eingeschnapptheit klingende Stimmen. Die gingen mitunter so weit, dass die Frage zirkulierte: Wenn Schafroth bleibt, ob dann der Ministerpräsident im nächsten Jahr überhaupt kommt?
Am Tag, als der neue Fastenprediger vorgestellt wird, sagt Söder in einer Pressekonferenz: „Die Entscheidung, wer Fastenprediger wird, trifft immer allein die Brauerei. Ob gut oder schlecht, dazu gibt es keine Meinung.“ Bei Schafroth bedankt er sich mit den Worten: „Er hatte sehr starke Momente. Es waren auch ein paar dabei, die nicht allen gefallen haben.“ Nockherberg-Reden würden nicht dazu dienen, zu gefallen, „jedenfalls uns nicht, wir müssen sie nur ertragen“.
Bis zum diesjährigen Auftritt hat Schafroth nie davon gesprochen, das Amt des obersten bayerischen Levitenlesers abzugeben. Was also wird er sagen, wenn sein Nachfolger, den er noch gar nicht haben wollte, neben ihm hockt?

Söder-Double Stephan Zinner (links) nach dem Singspiel des Derbleckens im Jahr 2017 mit Markus Söder. (Foto: Tobias Hase/Tdpa)
Schafroth wird von Paulaner-Sprecherin Birgit Zacher mit den Worten begrüßt, dass er „uns tolle Nockherberg-Momente geschenkt hat“, sein Nachfolger Zinner läuft mit einem sonoren „Hallo“ hinterher zu einer kleinen Bühne. Das Derblecken ist für den 15-maligen Söder-Darsteller noch immer ein Heimspiel. Es gab Jahre, da war Zinners Söder die eindeutige Hauptattraktion des Starkbieranstichs. Dann ist Schafroth dran.
„Für mich war das eine enorm freie Arbeit und hat wahnsinnig Spaß gemacht“, sagt er zunächst. Es folgen die entscheidenden Sätze. „Das haben die so entschieden.“ Das, also dass er nicht weitermachen darf, und die, das ist die Brauerei. „Ich kann es gut verkraften, weil der Stephan jemand ist, dem ich es von Herzen gönne.“ Eine interessante Formulierung.
Schafroth war fünfmal Fastenprediger, 2024 wurde er noch gelobt, seine Kritik etwa als raffiniert beschrieben. Und im Jahr 2023 war es nach der Corona-Pause und einen mit dem Krieg in der Ukraine begründeten Ausfall der heute 40-jährige Allgäuer, der einen der besten Nockherberg-Momente der jüngeren Vergangenheit erzeugte. Einfach, in dem er ernst wurde. Am Ende seiner Rede legte er seine Figur des bissigen Pointen-Predigers ab und wurde zu einem normalen Menschen, dem Maxi aus Ottobeuren. Der stand hinter einem Rednerpult und warb bei den gewählten Bürgervertretern um wieder mehr Miteinander und Toleranz.
Minutenlang klangen die stehenden Ovationen durch den Saal, das Publikum war tief beeindruckt, manche hatten Tränen in den Augen. Auch wenn der Begriff im bayerischen Kulturgut seit Helmut Dietl nicht mehr ganz unbefleckt nutzbar ist, man konnte von einer Sternstunde des Derbleckens sprechen. Zwei Jahre später wird Schafroth abgesetzt. Und sitzt trotzdem hier.

„Viel Freude“ wünscht Maxi Schafroth (rechts) seinem Nachfolger Stephan Zinner. (Foto: Matthias Balk/dpa)
Er habe ein lachendes und ein weinendes Auge, „aber es fällt mir auch ein Stein vom Herzen“. Denn „sich da hinzustellen, das ist schon auch krass“. Er schaut zum 51-jährigen Zinner rüber und wünscht ihm „viel Freude“, was im lauten Gelächter der beiden fast nicht zu hören ist.
Zinner bedankt sich anschließend für die „Pressure on“-Rede des Vorgängers. Klar werden in diesem Moment mehrere Dinge: Schafroth und Zinner schätzen sich. Zinner wirkt zudem eher unbeeindruckt von dem Druck, der da womöglich auf ihn zukommt. Aber das ist erklärbar. Wer 15 Jahre der medialen Rampensau Söder als Double von der Bühne herab die Leviten liest, wenn auch meist etwas melodischer und verspielter, der kann mit „Pressure on“ umgehen. Und doch ist die Rolle des Redners sicher die härteste an diesem Starkbierabend im Frühjahr.
„Man erwähnt die Leute direkt, die vor einem sitzen“, sagt Schafroth. „Das muss man verputzen können. Das geht mit einer enormen Anspannung einher“, die er schon auch gerne getragen habe, weil die Belohnung eben eine sehr freie Redemöglichkeit sei. „Deshalb bin ich auch hier.“ An diesem Tag. Er wolle sich für diese Möglichkeit bedanken und nicht die beleidigte Leberwurst spielen. Aber er mache kein Geheimnis daraus, dass „ich noch einmal geredet hätte“.
Es seien sehr unterschiedliche Reden gewesen, die er gehalten habe, und nach dem Gegenwind der letzten Predigt wäre es schön gewesen, „den Schneid zu haben, es mit einer letzten Rede abzuschließen“. Aber es liege eben nicht in seiner Hand. Für diejenigen, in deren Händen die Entscheidung liegt, ergreift Paulaner-Sprecherin Zacher das Wort und macht auf mehrfache Nachfrage klar: Eine weitere Rede sei „keine Option“ gewesen. Und zur Frage, ob der Gegenwind des Abends eine Rolle gespielt habe, sagt sie: „Wir haben uns wie jedes Jahr zusammengesetzt und eine Entscheidung getroffen.“ Auch das ist eine interessante Formulierung.

„Pressure on“ für den neuen Fastenprediger Stephan Zinner. (Foto: Florian Peljak)
Schafroth stellt noch einmal klar: „Ich bin froh um die letzte Rede, die vielleicht viele ein bisschen aufgebracht hat.“ Er habe es gerne genau so gesagt, wie er es gesagt hat. Und mit der Schärfe am Nockherberg sei es schon so, dass die nicht ausschließlich am Text liege, sondern immer auch „ein bisschen an der Stimmung des Abends, wie die Leute es aufnehmen“.
Die Stimmung bei Stephan Zinner an diesem Vormittag scheint auf jeden Fall prächtig zu sein. Er fasst die aktuelle Situation relativ gut in einem Satz zusammen: „Natürlich kann man bei der Aktion auch auf die Schnauze fallen, aber das ist ja der Reiz.“