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Verteidigungsminister Boris Pistorius besucht das Innovationslabor in Erding.

Die Ukraine stellt her, Deutschland stellt aus: Verteidigungsminister Boris Pistorius besucht das Innovationslabor in Erding. Während sich Russland und die Ukraine zu Drohnen-Nationen entwickeln, versuchen die Nato-Länder den Anschluss zu halten. © IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Schweizer Cleverle verleiht Drohnen Intelligenz – die Ukraine erhält, was die Nato vermisst: eine „beispiellose“ Lieferung an Wunderwaffen gegen Putin.

Kiew – „Sie müssen außerdem dafür sorgen, dass die Häufigkeit und Reichweite unserer Drohneneinsätze gegen russische Ziele deutlich erhöht wird“, schrieb Wolodymyr Selenskyj auf Telegram – der US-Sender ABC berichtet, „der Juli dürfte neue Rekorde hinsichtlich der Intensität grenzüberschreitender Angriffe verzeichnen“, so dessen Autor David Brennan. Der Ukraine-Krieg, den Wladimir Putin völkerrechtswidrig vom Zaun gebrochen hatte, hat inzwischen Zigtausende Drohnen verschlungen. Und jetzt schiebt die Ukraine nach: ebenfalls zigtausendfach. Die Ukraine bekommt aus Deutschland und den USA gebracht, womit die Nato offenbar fremdelt.

„Softwarekonzern Auterion liefert 33.000 KI-Drohnen-Angriffskits in die Ukraine“, titelt aktuell die Financial Times (FT). Deren Autoren zufolge werde das amerikanisch-deutsche Softwareunternehmen Auterion „Zehntausende seiner mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Drohnen-,Angriffskits‘ in die Ukraine schicken, um diese bei der Bekämpfung von Massenangriffen russischer Drohnen zu unterstützen“, so die Autoren Sylvia Pfeifer, Laura Pitel und Christopher Miller.

Ukraine-Krieg mit Horrorbilanz: „durchschnittlich 181 Drohnen“ pro Tag

Laut ABC-Redakteur David Brennan hatte Russland im Juni 5438 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert, also „durchschnittlich 181 Drohnen“ pro Tag. Für den Mai zählt Brennan etwa 124 Drohnen täglich. „Auch die Ukraine scheint ihre Drohnenangriffe auf Russland zu intensivieren, auch wenn sie in geringerem Umfang durchgeführt werden. Das Verteidigungsministerium in Moskau meldete in diesem Monat bisher den Abschuss von 2303 ukrainischen Drohnen, durchschnittlich 109 pro Tag“, schreibt er.

„Viele Jahre lang galt die Ansicht, die Ukraine sei für ihr Überleben nahezu vollständig von westlicher Hilfe und Know-how abhängig. Diese Vereinfachung war schon immer zu stark; sie ist heute hoffnungslos überholt.“

Lara Jakes hatte bereits nach dem ukrainischen Drohnenüberfall in Russlands Kernland, der „Operation Spiderweb“, klargestellt, dass die „großen Militärmächte“ unvorbereitet seien und sich anpassen müssten, wie die Autorin der New York Times (NYT) schreibt. Wobei zu fragen sein muss, ob eine „Militärmacht“, die statt auf Drohnen immer noch auf Panzerarmeen setzt, in einem Konfliktfall noch als „Macht“ gelten kann. Was in Deutschland an Behäbigkeit, sogar Zeitenwenden überdauert, geht offenbar in der Ukraine ganz schnell: Bis zum Jahresende 2025 will Auterion-Geschäftsführer Lorenz Meier 33.000 seiner „KI-Angriffssysteme“ in die Ukraine geliefert haben, wie die Financial Times schreibt.

Dem Blatt zufolge würde die Software aber schon eingesetzt in Drohnen, die für die Ukraine an der Front kämpfen, doch den neuen Auftrag bezeichnete Meier gegenüber der FT als „zehnmal so groß“. „Wir haben Tausende ausgeliefert und versenden jetzt Zehntausende“, sagte er und fügte hinzu, das Ausmaß sei „beispiellos“, so die Financial Times. Meier ist Alumni der Eidgenössischen Technische Hochschule Zürich. Wie das Handelsblatt Anfang 2024 berichtet hat, sei damals schon bekannt gewesen sein, dass mit dem Know-how der US-Firma mit Niederlassungen in Deutschland Kamikaze-Drohnen zu steuern sind und auch eine Rüstungsschmiede wie Diehl dort eingestiegen sei.

Ukraine-Angriffe als Nato-Lehrstunde: „mit großer Überraschung und veritablem Erfolg“

Frappierend an dieser Lieferung ist, dass die „großen Militärmächte“ von einem militärischen Zwerg in ihrer eigenen Erstarrung demaskiert worden sind. Nicht nur Russland, dass sich trotz aller Maßlosigkeit im Verbrauch von Rüstungsgütern und „Menschenmaterial“ an zäh verteidigenden Patrioten festbeißt; sondern auch die Nato-Staaten, die in ihren Beschaffungsämtern Rüstungsgelder verpulvern allein an Versorgungsfällen aus der Generalität und Ingenieuren, die wochenlang an einzelnen Schraubverbindungen brüten, bis der Krieg in der Ukraine längst schon mit Waffen von morgen geführt wird.

„Das Neue an diesem Angriff war, dass man bislang immer aus der Ukraine mit zumeist weitreichenden Drohnen die russischen Ziele bewirkt hat –  und jetzt hat man die Wirkmittel in Russland vorstationiert und koordiniert zum Einsatz gebracht. Koordiniert gegen Kräfte, die gerade in der Vorbereitung waren, um in der Ukraine eingesetzt zu werden. Und das mit großer Überraschung und veritablem Erfolg.“ Diese Aussage traf Dr. Christian Freuding im Bundeswehr-Podcast „Nachgefragt“, nach dem überraschenden Coup der Ukraine. Der Generalmajor leitet den Führungsstab im Verteidigungsministerium und war zuletzt mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in den USA, um Patriots und Tomahawks zu kaufen.

Schleudersitz ade? Von Scharping bis Pistorius – wer im Bendlerblock das Sagen hat

Rudolf Scharping (1998 bis 2002): Als die Ehrenformation der polnischen Armee den Minister im Februar 1999 im polnischen Krakau begrüßte, war Scharpings Welt noch in Ordnung. Doch dann stolperte er über zwei verhängnisvolle Affären. Während nämlich die Bundeswehr kurz vor einem Einsatz in Mazedonien stand, ließ er sich quietschvergnügt mit seiner Lebensgefährtin im Swimmingpool fotografieren. Und auch die dubiosen Deals mit PR-Mann Moritz Hunzinger stießen der SPD sauer auf. Im Juli 2002 wurde Scharping schließlich entlassen.

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Spannend wird sein, ob die Bundeswehr zu einem ähnlichen Überfall wie die Ukraine in der Lage wäre oder immer noch im Gefecht der verbundenen Waffen denkt. Während Bundeswehr-Soldaten sich in der Lüneburger Heide tarnen, fährt die Ukraine ihre Drohnen direkt vor Putins Kaserne auf. Bundeswehr und Nato üben, wie sie sich gegen einen Luftangriff Russlands verteidigen könnten, und die Ukraine stellt ihre „Artillerie“ quasi neben Russlands Bombern ab und lässt sie dann einfach über den Zaun hüpfen.

Kritik an Nato: Westen noch immer auf die Kriegsführung der Vergangenheit konzentriert

„Skynode“ heißen die klitzekleinen Computer, die neben der Software auch eine Kamera und ein Funkgerät enthalten sollen, schreibt die Financial Times. Alles zusammen ergäbe dann die „Strike Kits“, die „manuell gesteuerte Drohnen in ,KI-betriebene Waffensysteme‘ verwandeln“, erläutert Auterion-Geschäftsführer Lorenz Meier. Ihm zufolge machte dieses „Strike Kit“ die Drohnen immun gegen elektronische Kriegsführung und ermögliche den Waffen, ihr bewegliches Ziel von bis zu einem Kilometer aus zu verfolgen und zu neutralisieren.

Laut der Financial Times habe der Auftrag knapp 50 Millionen Dollar umfasst und werde vom Pentagon bezahlt – als Teil der US-Sicherheitshilfe für die Ukraine. Jüngsten Absprachen zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj soll die Zusammenarbeit in der Rüstungstechnik intensiviert werden. Zumindest hat sich der 47. US-Präsident durch Verschiebungen im Verteidigungshalt zu einer Fokussierung auf Drohnen bewegt: Kollaborative Drohnen sind das Ziel seiner Ingenieure. Aber auch da regieren Größe und technische Finesse, während die Ukraine auf Massenware setzt – und offensichtlich auch einen entsprechenden Krieg führt, um gegen die Massen an Menschen und Massen an gepanzerten Waffen Russlands überhaupt Widerstand leisten zu können.

„Gleichzeitig konzentriert sich ein Großteil des Militärbündnisses noch immer auf die Kriegsführung der Vergangenheit und ist nicht in der Lage, mit der nicht enden wollenden Flut von Cyberangriffen und anderen hybriden Aktivitäten Schritt zu halten, die Energieinfrastrukturen, Finanzinstitute und Regierungsdatenbanken weit jenseits der traditionellen Frontlinien bedrohen“, schreibt NYT-Autorin Lara Jakes.

Ukraine-Krieg legt offen: dass Deutschland ein Ökosystem für militärische Drohnen-Start-ups fehle

Björn Müller hat noch im vergangenen Jahr geklagt, dass Deutschland ein Ökosystem für militärische Drohnen-Start-ups fehle. Zwar nennt der Autor des deutschen Reservisten-Magazins loyal als Fortschritt die Wehrtechnische Dienststelle 61 in Manching, zu der seit 2021 ein „Drone Innovation Hub“ gehöre, wie Müller schreibt. „Der kann Unternehmen zwar Halle und Felder zum Testen bieten, aber der Hub hat keine Werkzeuge, um vielversprechende Vorhaben finanziell zu flankieren. Die zahlreichen Studien, Modelle und Demonstratoren, die es braucht, um überhaupt an die Tür des Beschaffungsprozesses zu gelangen, kosten Start-ups sehr viel Geld, wobei ihnen meist die Luft ausgeht.“

Die New York Times nimmt Bezug auf eine aktuelle Studie des britischen Verteidigungsministeriums, die „Strategic Defense Review“. Die Briten gingen davon aus, dass ein kommender Gegner ihnen gegenüberstehen wird, mit Waffen, mit deren Bekämpfung sie sich vorher vielleicht nur unzureichend auseinandergesetzt haben, urteilt Jakes. Kiew wird möglicherweise für die Nato ein wegweisender Freund werden, vermutet zumindest David Kirichenko. In einer Analyse für den Thinktank Atlantic Council legt er nahe, dass das aktuelle Tempo der Rüstungsinnovationen das künftige Normalmaß werden wird.

Rüstung würde ihm zufolge künftig in der Ukraine und in Russland definiert. „Viele Jahre lang galt die Ansicht, die Ukraine sei für ihr Überleben nahezu vollständig von westlicher Hilfe und Know-how abhängig. Diese Vereinfachung war schon immer zu stark; sie ist heute hoffnungslos überholt.“