„Mir wëlle bleiwe wat mir sinn.“ Nach gerade einmal vier Monaten im Land ist Ralf Seppelt schon mit dem Landesmotto Luxemburgs vertraut. „Aber damit das funktioniert, muss sich eine ganze Menge ändern“, sagt der Gründungsdirektor des „Luxembourg Centre for Socio-Environmental Systems (LCSES)“, das die Uni Luxemburg im März aus der Taufe gehoben hat.

Damit meint Seppelt auch den Umgang des Landes mit seinen Ressourcen. Luxemburg begeht regelmäßig als zweites Land weltweit, nach Katar, den Earth Overshoot Day, den Tag, an dem es alle natürlichen Ressourcen verbraucht hat, die für das ganze Jahr zur Verfügung stehen. Dieses Jahr war das bereits am 17. Februar der Fall – seither lebt das Land ökologisch auf Pump. Dass Luxemburg so früh seinen Overshoot Day erreicht, sei gleich auf der zweiten Folie seiner Präsentation gewesen, mit der er sich für die Leitung des neuen Umweltforschungszentrums beworben hat, sagt Seppelt. „Da habe ich gesagt: Da bin ich hier ja genau richtig“, so der 56-jährige Professor.

Zuvor leitete der Braunschweiger ein Team von rund hundert Wissenschaftlern am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Heute fängt er mit dem LCSES ganz von vorne an; das neue Forschungszentrum in Luxemburg besteht aktuell gerade mal aus zwei Personen. Genau das habe ihn aber gereizt an der Aufgabe, dass er die Gelegenheit hat, ein vollkommen neues Konzept zu entwickeln.

„Es gibt in Europa bereits einige hervorragende Zentren, die zu Umwelt und Nachhaltigkeit forschen. Der spannende Punkt für uns war jetzt, was wir beitragen können, das uns einzigartig macht. Was sind denn eigentlich die Dinge, die wissenschaftlich nicht angegangen werden?“, so Seppelt.

Vorsichtige Systemkritik

Aktuell verlasse man sich zur sehr auf die Vorstellung, dass man nur die richtigen Technologien entwickeln müsse, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Weitermachen wie bisher – nur eben mit Solaranlagen und E-Autos – reiche aber nicht aus. „Technologie alleine wird uns nicht retten“, sagt er.

Darum sollen in dem Forschungszentrum weniger technologische Entwicklungen im Mittelpunkt stehen, sondern die Wechselwirkungen zwischen den Gesellschaftssystemen und der Umwelt. „Was hat zum Beispiel Klimawandel mit Ernährungssicherheit zu tun? Was mit Gesundheit?“, sagt er. „Für diese Interaktionen gibt es tausende Beispiele. Mangelernährung und fehlende Biodiversität hängen auch mit Monokulturen in der Landwirtschaft zusammen.“ Das lasse sich auch in Luxemburg beobachten, mit seinem hohen Anteil an Viehwirtschaft.

Letztlich geht es für Seppelt auch darum zu verstehen, was die ökonomischen Anreize sind, die dafür sorgen, dass Menschen sich, eigentlich wider besseres Wissen, gegen umweltschonende Wirtschaftsweisen entscheiden. „Vieles, was wir Naturwissenschaften als optimale Lösungen ansehen, funktioniert nicht, wenn es politisch nicht umgesetzt wird. Dann fängt man an zu überlegen, was die Gründe dafür sind, dass Maßnahmen nicht implementiert werden“, sagt er.

50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung hängen von funktionierenden Ökosystemen ab. Und diese machen wir gerade kaputt.

Ralf Seppelt

Gründungsdirektor des „Luxembourg Centre for Socio-Environmental Systems“

Man muss nicht zu tief zwischen den Zeilen in der Selbstbeschreibung des Forschungszentrums lesen, um eine vorsichtige Systemkritik zu erkennen. „Zurzeit sind es die ökonomischen Mechanismen und Regeln, die entscheiden, wie wir Ressourcen nutzen. Dabei ist bekannt, dass 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung von funktionierenden Ökosystemen abhängt. Und diese machen wir gerade kaputt“, sagt er.

Fächerübergreifende Forschung

Dabei geht es Seppelt weniger um die Verantwortung des Individuums. „Natürlich ist es relevant, was jeder Einzelne tut, aber solange ich in einem System lebe, was nicht die Möglichkeit bietet, sich zu ändern, macht es keinen Sinn, immer auf den individuellen CO₂-Fußabdruck zu gucken“, so der studierte Mathematiker. Ein zentraler Bestandteil seines Konzepts ist daher die Frage, wie erreicht werden kann, dass Wirtschaftsakteure Rücksicht auf sogenannte Gemeingüter, also etwa sauberes Wasser oder intakte Ökosysteme, nehmen. „Bezahle ich eigentlich auch dafür, dass ich irgendwas kaputt mache? Nein, derzeit ist das kaum der Fall. Die Frage ist, wie man solche Mechanismen gerecht implementieren kann“, so Seppelt.

Im Mittelpunkt der Forschung des Zentrums sollen also die Wechselwirkungen unterschiedlichster ökologischer und gesellschaftlicher Systeme stehen. Das soll sich auch in der Zusammensetzung und der Arbeitsweise des LCSES widerspiegeln. Derzeit sucht das Forschungszentrum Forscher aus so diversen Feldern wie Klimawissenschaften, Ernährungssicherheit, Gesundheit sowie Datenwissenschaften. Das interdisziplinäre, übergreifende Arbeiten, sagt Seppelt, soll ein Markenzeichen des neuen Instituts werden. „Wir wollen Projekte angehen und Fragen stellen, die die Forscher einer Disziplin alleine nicht beantworten können, sondern nur in Kooperation mit anderen“, sagt er. So wolle man Luxemburg „auf der Karte der globalen Umweltforschung“ positionieren.   

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Die Arbeit soll aber nicht nur im universitären Elfenbeinturm stattfinden, sondern konkrete Empfehlungen für die Politik erarbeiten. Gleich nach seiner Ankunft in Luxemburg wurde Seppelt Teil des hiesigen Observatoriums für Klimapolitik OPC, das unter anderem neue Gesetze im Hinblick auf ihre Klimafolgen unter die Lupe nimmt. Nach seinen ersten Kontakten mit zahlreichen Ministerinnen und Ministern, darunter Umweltminister Serge Wilmes und Forschungsministerin Stéphanie Obertin, ist Seppelt optimistisch, dass die Regierung ein Ohr für die Klimaforschung im Land hat und offen ist für eine „wissenschaftsgeleitete Politik“.

Daneben will die Universität Luxemburg allen Studierenden Grundwissen zum Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz vermitteln. Die Universität führt einen verpflichtenden Sustainability-Kurs ein „für alle, die hier anfangen zu studieren, egal ob das Mediziner, Ingenieure oder Lehrer sind“, so Seppelt. Bis Ende kommenden Jahres soll hier ein erster Kurs erstellt sein.

Technisches Sekretariat des „Weltklimarats“ kommt nach Luxemburg

Die Gründung des Zentrums fällt in eine Zeit, in der viele Unternehmen ihre Umweltversprechen still und heimlich wieder kassieren und in der US-Präsident Forschungsgelder für die Klimaforschung empfindlich zusammenstreicht. Dass das Pendel gerade umschlägt, schreckt Seppelt nicht ab. „Unabhängig davon, wer in Washington oder sonst wo an der Macht ist; das Problem des Klimawandels und Artenverlustes wird nicht weggehen“, sagt er.

Tatsächlich ist dem LCSES infolge der Kürzungen der Trump-Regierung ein kleiner Coup gelungen. So wird ein Teil des technischen Sekretariats für das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) im Zentrum angesiedelt. Der häufig als „Weltklimarat“ bezeichnete Ausschuss wurde von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen und hat die Aufgabe, den Forschungsstand zum Klimawandel zusammenzufassen. Damit erarbeitet er die wissenschaftliche Grundlage für die Weltklimakonferenzen (Conference of the Parties, COP).

„Dadurch, dass Donald Trump jegliche Aktivität in IPCC eingestellt hat, gab es eine konzertierte Aktion von ein paar europäischen Ländern, das aufzufangen. Und da hat Luxemburg sehr schnell gesagt: Wir versuchen das zu retten“, erklärt Seppelt, der selbst Mitglied des Weltbiodiversitätsrats ist. Derzeit werden zwei Mitarbeiter eingestellt, um die Aufgaben zu übernehmen.

Bis Anfang nächsten Jahres soll das LCSES auf fünf Professuren anwachsen. „Dann sind wir schon mal operativ und können richtig loslegen“, sagt Seppelt. Mittelfristig sollen 50 bis 60 Mitarbeiter im LCSES beschäftigt werden.