„Ultimativer Raumdeuter“

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Nach 756 Einsätzen für den FC Bayern München und 131 für die Nationalelf verabschiedet sich Thomas Müller vorerst von Fußball-Deutschland. Der 35 Jahre alte Stürmer hat wie erwartet seinen Vertrag beim Vancouver Whitecaps FC unterschrieben, er stellte sich auf seinen sozialen Kanälen selbst als Neuzugang bei den Kanadiern vor. Müller bindet sich zunächst bis Ende des Jahres an den in der nordamerikanischen Major League Soccer antretenden Klub, jedoch mit der Option, 2026 als Designated Player weitermachen zu können. In den Spielbetrieb eingreifen wird er aller Voraussicht nach aber nicht vor Mitte bis Ende August, da zuvor noch Einzelheiten über seine persönlichen Sponsorings zu klären sind.
„Thomas ist ein Weltklassespieler – der ultimative Raumdeuter –, bekannt für seine herausragende Chancenkreation, sein unübertroffenes Raumgefühl und seine unermüdliche Bewegung ohne Ball“, sagte CEO und Sportdirektor Axel Schuster. „Er bringt nicht nur Siegerqualitäten und außergewöhnliche Fußballintelligenz mit, sondern auch eine unermüdliche Arbeitsmoral, die das gesamte Team voranbringen wird. Thomas ist eine geborene Führungspersönlichkeit, deren Leidenschaft für den Fußball ansteckend ist. Diese Verpflichtung ist ein klares Zeichen für unseren Verein und unsere Eigentümer – ein entscheidender Moment für unseren Verein und unsere Stadt. Wir sind stolz, Thomas in Vancouver willkommen zu heißen.“
Der Kontrakt des Bayern-Rekordspielers in Vancouver ist in zwei Teile geteilt. Bis zum MLS-Saisonende im Dezember erhält Müller einen TAM-Vertrag (Targeted Allocation Money), der ihm maximal rund 600.000 Euro einbringt. Beim TAM handelt es sich um Geld, das MLS-Klubs zur Verfügung gestellt wird, Gehälter über dem Salary Cap zu bezahlen, ohne dabei einen Platz für einen Designated Player (DP) aufzugeben. Davon gibt es pro Team pro Jahr drei. Die Whitecaps hatten für 2025 Sechser Andrés Cubas (29) und Zehner Ryan Gauld (29) gemeldet und sich für ein Gehaltsmodell ohne dritten DP entschieden. Diesen Platz kann Müller ab 2026 einnehmen, dann soll er weitere 6 Millionen Euro bis zum Jahresende erhalten. Bei den Bayern kassierte er zuletzt rund 20,5 Mio. Euro.
Der Wechsel von München nach Vancouver ist grundsätzlich ablösefrei. Die Whitecaps müssen dennoch eine Gebühr für Müller bezahlen – an Ligarivale FC Cincinnati. Dieser hatte sich die Discovery Rights für den Weltmeister von 2014 gesichert, quasi ein Erstverhandlungsrecht bei der MLS. Müller wollte jedoch nicht zu dem Team aus Ohio wechseln, weshalb Vancouver die Discovery Rights abkaufen musste. Dafür wurden nach Transfermarkt-Informationen rund 350.000 Euro fällig. Interesse wurde auch Bayern Münchens Partnerverein Los Angeles FC nachgesagt, der sich jedoch auf Heung-min Son (33, Tottenham) konzentriert. Philadelphia Union ist dem Vernehmen nach das Gehaltspaket zu teuer gewesen.
Warum sich Thomas Müller für die Vancouver Whitecaps entschied
Nach Transfermarkt-Infos entschied sich Müller für die Whitecaps, weil sie ihn aufgrund seiner sportlichen Qualitäten verpflichten wollten – und nicht als reines Marketinginstrument. Das unterschied sich vom Angebot des FC Cincinnati, der vor allem die große deutsche Community ansprechen und eine größere globale Reichweite erzielen wollte. Lange Gespräche mit Whitecaps-Sportdirektor Schuster, einst in Mainz und auf Schalke tätig, ebneten schließlich den Weg für den Wechsel. „Ich freue mich darauf, nach Vancouver zu kommen und diesem Team zum Meistertitel zu verhelfen“, erklärte Müller nach seiner Unterschrift. „Ich habe viel Gutes über die Stadt gehört, aber in erster Linie komme ich, um zu gewinnen.“

Das entscheidende Argument lieferte jedoch Cheftrainer Jesper Sørensen. Wie Transfermarkt erfuhr, führten Sørensen und Müller ein ausführliches Telefonat, in dem der Trainer ihm seine Rolle im Team detailliert erklärte. Sie sprachen über Taktik, Sørensens Trainingsphilosophie, die Bedeutung des Pressings in einer Dreier-Offensive und darüber, wie Müller in das System passen würde. Nach diesem Gespräch drängte der Ur-Bayer sein Beraterteam, die Verhandlungen schnell voranzutreiben und den Vertrag mit den Whitecaps abzuschließen.
Transfermarkt-Experte: Müller soll Sørensens verlängerter Arm werden
Ein Blick in die Transfermarkt-Datenbank zeigt: Obwohl Müller bereits 35 Jahre alt ist, ist er – gemeinsam mit Fredy Montero – der Spieler mit dem höchsten Marktwert, der je von den Whitecaps verpflichtet wurde. Seinen Peak erreichte der Deutsche im Jahr 2016 mit 75 Mio. Euro. Die Kanadier haben noch nie zuvor einen Spieler verpflichtet, der zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Karriere einen so hohen Marktwert hatte.
Manuel Veth, Area Manager US & North America bei Transfermarkt, ordnet Müllers Wechsel nach Vancouver und dessen Bedeutung für die Liga sowie den Fußball in Kanada ein: „Obwohl er in Sachen weltweiter Bekanntheit eine Kategorie unter Lionel Messi, David Beckham und Zlatan Ibrahimović ist, ist Thomas Müller sicher einer der größten Namen, der jemals in die MLS gewechselt ist. Ich sehe ihn in einer ähnlichen Kategorie wie Kaká, der 2014 zu Orlando City ging. Müller und Kaká sind große Stars, aber nicht immer spektakulär.“
Ähnlich wie der Brasilianer vor elf Jahren wechselt jetzt auch Müller zu einem kleineren Klub der Liga. „Für die Whitecaps ist das aber außer Frage der größte Transfer in der doch schon sehr langen Vereinsgeschichte. Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte der Whitecaps auf die alte NASL zurückgeht. 1979 mit Alan Ball, Englands Weltmeister von 1966, gewann man die Liga sogar. Im Halbfinale wurden damals Franz Beckenbauer und die New York Cosmos bezwungen. Die Saison 1979 gilt weiterhin als die größte Saison in der Klubgeschichte.“ Dieses Jahr, und daran kann Müller einen Anteil haben, kann diese Saison laut Veth sogar getoppt werden.
„Im Frühjahr erreichten die Whitecaps das Finale des CONCACAF Champions Cup, das sehr deutlich gegen Cruz Azul verloren wurde. Im Nachhinein kam heraus, dass die meisten Spieler krank waren. In der MLS spielt der Klub eine sehr starke Saison: Zusammen mit San Diego dominieren die Whitecaps die Western Conference. Thomas Müller gilt jetzt als das letzte Puzzlestück, um aus den Whitecaps eine Mannschaft zu machen, die den MLS Cup gewinnen kann“, sagt der TM-Experte.
Inwiefern Müller dabei auf dem Feld hilft, gilt abzuwarten – auch ein ehemaliger Weltmeister und eine Bayern-Legende muss sich im fortgeschrittenen Alter mit den speziellen Gegebenheiten der MLS zurechtfinden. „Die Liga ist sehr physisch und schnell, da wird sich Müller schwertun. Aber auf der anderen Seite ist er immer noch ein sehr intelligenter Spieler und in der MLS findet er sicher Lücken für Tore und Assists. Auf und neben den Platz kann er diese junge Mannschaft (im Schnitt 25,7 Jahre; Anm. d. Red.) führen. Von dem, was ich höre, ist das sowieso das Wichtigste für die Whitecaps. Müller soll ein verlängerter Arm für Jesper Sørensen auf dem Platz sein und das kann er ganz sicher“, so Veth.
Vom FC Bayern über den großen Teich: Thomas Müller wie einst Gerd
Müller war 2000 als Zehnjähriger in die Jugend der Bayern gekommen und gehörte lange zur immer seltener werdenden Spezies der „One club men“ – Spieler, die ihre ganze Karriere bei einem Verein verbringen. Mit dem Wechsel nach Vancouver macht er es nun jedoch wie sein nicht verwandter Namensvetter Gerd Müller, der 1964 vom Bezirksligisten TSV Nördlingen zum FCB wechselte, eine Weltkarriere hinlegte und diese ab 1979 in Fort Lauderdale, Florida ausklingen ließ.
Müller debütierte im August 2008 für die Münchner, 755 Einsätze folgten – kein anderer Profi kommt an den gebürtigen Weilheimer heran. Er holte insgesamt 33 Titel mit dem Klub, darunter 13 Meisterschaften, sechs DFB-Pokalsiege sowie zwei Champions-League-Triumphe. Müller gehört damit neben Toni Kroos und Manuel Neuer zu den erfolgreichsten deutschen Fußballern der Geschichte.