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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

waren Sie schon einmal auf der Einkaufsseite Temu, der chinesischen Version von Amazon und Ebay? Wenn nein, kann ich Ihnen sagen: Eine Shopping-Offenbarung ist es nicht.

Was neben der Unaufgeräumtheit der Webseite und zahlreichen Rechtschreib- und Formatierungsfehlern sofort ins Auge sticht, sind die billigen Preise – und die angepriesenen kurzen Lieferzeiten. Binnen weniger Tage soll etwa ein Camping-Luftzelt (8 bis 10 Personen) für 212,47 Euro bis an die Haustür geliefert werden. Es reiht sich neben ein Damenhemd für 6,29 Euro. Daneben finden Sie ein Spülbeckensieb in Elefantenform für 3,92 Euro und einen Herrengürtel für 3,53 Euro. Angeblich mit Schnalle aus echtem Rindsleder.

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Bei Temu einkaufen ist bequem und schnell. Was aber kaum jemand hinterfragt: Wie ist das eigentlich möglich? Die einfache Antwort: Weil China es so will. Die komplizierte Antwort: Die Plattformen Temu, Shein und AliExpress agieren nicht einfach clever. Sie funktionieren als Teil eines größeren Systems, das die chinesische Führung gefördert hat: blitzschnelle Logistik, direkte Lieferketten, schlanke Apps, minimale Regulierung.

Temu ist keine harmlose Plattform. Die Webseite ist ein Beweis dafür, wie weit China Europa in vielen Bereichen abgehängt hat – und wie wenig geltende Regeln in einer globalisierten Wirtschaft noch durchsetzbar sind.

China liefert. Und Europa liefert sich aus.

Fast-Fashion-Artikel, billige Wegwerfprodukte und Elektronik mit kurzer Lebensdauer werden in Massen angeboten – günstig, verlockend und stets verfügbar. Während europäische Unternehmen Umweltstandards und Lieferkettengesetze einhalten müssen, können chinesische Plattformen unkontrolliert Märkte fluten. Der Preis dieser Bequemlichkeit wird nicht an der Kasse bezahlt – sondern vom Klima.

Denn die ökologische Bilanz dieser Plattformen ist katastrophal. Jeder Klick, jede Verpackung, jeder Transport trägt zum CO2-Ausstoß bei. Die Pakete werden im Regelfall per Flugzeug nach Europa verschickt. Kreislaufwirtschaft, Recycling, nachhaltige Lieferketten? Fehlanzeige.

Auch für Verbraucher bieten viele Produkte echte Risiken. Stefan Genth, Chef des Handelsverbands Deutschland, sagte meinem Kollegen Jakob Hartung und mir vor Kurzem im Interview: “Unsere Händler erfüllen hohe Standards und haften für alles, was sie verkaufen. Bei Direktimporten aus Drittstaaten gibt es keine effektive Haftung.” Das bedeutet: Temu und Co. können die europäische Gesetzgebung leicht umgehen. Viele Produkte auf den chinesischen Webseiten seien “schlicht Schrott”, dürfen hier gar nicht verkauft werden, so Genth weiter.

Doch der Zoll kommt bei der Kontrolle kaum hinterher. Immerhin erreichen 400.000 Pakete täglich Haustüren in Deutschland, sagte Verbandschef Genth weiter. Billige Massenware, fragwürdige Produktionsbedingungen, enorme Umweltkosten – das ist zwar kein rein chinesisches Phänomen.

Auch westliche Plattformen wie der US-Handelsriese Amazon oder Modeketten wie H&M, Zalando und Zara stehen seit Jahren in der Kritik. Der Unterschied aber: Während sich Unternehmen mit Standorten oder Dependancen in der EU zumindest formal an Regeln halten müssen, entziehen sich Anbieter wie Temu und Shein nahezu jeder Kontrolle, wie Verbraucherschützer warnen.

Um den Import von Billigschrott einzudämmen, fordert der deutsche Einzelhandel längst Maßnahmen gegen diese Plattformen. Die Forderung Genths wirkt erst einmal radikal: “Wir brauchen Zölle gegen chinesische Billigimporte nach dem Vorbild der USA.” Er geht sogar noch weiter. Nach europäischem Recht sei es zwar nicht einfach, so Genth. Aber: “Notfalls muss man Temu und Shein den Stecker ziehen, bis diese Plattformen nachweisen, dass sie sauber arbeiten.”

Was hinter den Forderungen steckt, ist wohl auch die Kritik an der EU und ihrer gewissen Rat- und Tatenlosigkeit. Zwar läuft bereits ein Verfahren der EU-Kommission gegen Temu. Doch das reicht dem Verband nicht aus.

Zumal China Europa nicht nur beim Onlineshopping aktuell etwas vormacht. Der Trend setzt sich in den Industrien fort, auf die dieser Kontinent lange stolz war. Chinesische Hersteller wie BYD, Nio, Geely entwickeln Fahrzeuge in atemberaubender Geschwindigkeit. Ihre E-Autos sind günstiger, besser vernetzt, softwareseitig der europäischen Konkurrenz überlegen. Während sich große deutsche Autobauer in internen Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen verlieren, dominiert BYD längst den weltgrößten Automarkt China.

Auch bei Klimatechnologien ist der Vorsprung gewaltig. Rund 95 Prozent der weltweiten Solarmodule stammen mittlerweile aus chinesischer Produktion. Früher galt Deutschland als Technologieführer, heute ist die Industrie nahezu vollständig abgewandert, nicht zuletzt wegen strategischer Rohstoffpolitik und massiver staatlicher Unterstützung in China. Mit der Folge: Eine Energiewende, die ohne chinesische Lieferketten auskommt, ist kaum denkbar.

Die Social-Media-App TikTok gehört ebenfalls in diese Reihe. Die Unterhaltungsplattform wird weltweit von Hunderten Millionen Menschen genutzt – vor allem von jungen, meinungsprägenden Zielgruppen. Dass die App einem chinesischen Konzern unterliegt, der auf Anweisung der Kommunistischen Partei Daten offenlegen könnte, sollte in westlichen Demokratien zunehmend Besorgnis auslösen. Es geht längst nicht mehr nur um Tanzvideos. Sondern um Einfluss auf öffentliche Meinungsbildung, um Algorithmen, die Inhalte priorisieren. Und um die Frage, wem digitale Aufmerksamkeit eigentlich gehört.

Chinas wirtschaftlicher Erfolg folgt derweil keinem Zufallsprinzip. Er ist Teil einer geopolitischen Strategie, die auf Dominanz durch wirtschaftliche Abhängigkeit setzt. China weiß: Wer die Lieferketten kontrolliert, kontrolliert die Weltmärkte. Wer die Plattformen beherrscht, steuert die Konsumdaten.

Das zeigt sich in afrikanischen Staaten, deren Infrastruktur mit chinesischen Krediten finanziert wurde – daraus folgen dann langfristige politische Abhängigkeiten. In Ländern wie Kenia, Tansania, Südafrika oder Äthiopien.

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