Ein animiertes Huhn mit Brille

Der Film «Himmel und Huhn» wurde wohl nicht in der Schweiz gedreht.

Walt Disney Co. / Everett Collection / Keystone

Angeblich garantiert die Schweiz mit ihrer Gesetzgebung einen besseren Tierschutz als andere Länder. Aber ist das wirklich so? Swissinfo nimmt das Verbot für Brillen und Kontaktlinsen für Hühner unter die Lupe.

Vor einiger Zeit veröffentlichte die Sendung Quite Interesting des britischen Senders BBC auf ihrer Facebook-Seite eine kuriose AnekdoteExterner Link über die Schweiz.  Der Titel lautete: «In der Schweiz ist es illegal, Hühner zum Tragen von Brillen oder Kontaktlinsen zu zwingen.»

Da könnte der Eindruck entstehen, dass der Redaktion ein Fehler unterlaufen sei. Kontaktlinsen und Brillen für Hühner sollen gesetzlich verboten sein? Was soll denn das?

Und doch ist der Sachverhalt korrekt beschrieben. Artikel 20 der TierschutzverordnungExterner Link (TSchV) listet die verbotenen Praktiken bei Hausgeflügel auf. Unter die Verbote fallen: «Das Verwenden von Brillen und Kontaktlinsen sowie das Anbringen von Hilfsmitteln, die das Schliessen des Schnabels verhindern.»

Hintergrund dieses Verbots ist nicht etwa die Entscheidung, Züchter:innen zu rügen, die sich als Optiker:innen versuchen.  Dahinter steckt ein ernsthafter Grund, der mit einer Praxis zusammenhängt, die in verschiedenen Ländern noch immer erlaubt, wenn auch nicht mehr sehr verbreitet ist. 

Ein Haufen Hühner

Hühner mit Scheuklappen in Nanjing, China, fotografiert im Jahr 2014.

AFP / Fei Bojun

Tatsächlich ist die Verwendung von Brillen und Kontaktlinsen bei Geflügel ein Versuch, diese Tiere an «nicht-tierfreundliche Haltungsbedingungen anzupassen», wie Sibel Konyo von der Zürcher Stiftung Tier Im RechtExterner Link (TIR) erläutert. Diese Stiftung verfolgt das Ziel, die Beziehung zwischen Mensch und Tier aus rechtlicher, ethischer und sozialer Sicht zu verbessern.

Wenn Hähne und Hühner auf engem Raum ohne ausreichende Ablenkung zusammenleben, können sie sich gegenseitig verletzen und kannibalistische Tendenzen entwickeln. Um die Verletzungsgefahr zu verhindern, wird weltweit nach wie vor das Schnabelkürzen praktiziert.

Eine weitere Methode sind «Brillen». Diese sollen die Sehkraft nicht verbessern, sondern im Gegenteil beeinträchtigen, entweder durch rote Gläser oder durch echte Scheuklappen.

Durch die farbigen Gläser, die ursprünglich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA hergestellt wurden, sollte verhindert werden, dass das Geflügel die Farbe des Blutes erkennen kann, dessen Anblick Hühner und Hähne angeblich aggressiver macht.

Wochenschau aus dem Jahr 1947 über Brillen für Hühner des US-amerikanischen Herstellers «National Band and Tag Company»: (auf Englisch):

Externer Inhalt

«Allerdings ist das Anbringen dieser Vorrichtungen – entweder durch Festklemmen oder durch Einstechen einer Nadel in den Schnabel – für die Tiere schmerzhaft. Zudem besteht die Gefahr, dass sie gegen Gegenstände laufen, die sie nicht mehr sehen können», erklärt Konyo.

Kontaktlinsen dienen dem gleichen Zweck. In den 1980er-Jahren patentierteExterner Link und bewarb das US-Unternehmen Animalens die Verwendung von roten Kontaktlinsen für Geflügel.

Illustration eines Huhns mit Brille

Hühnerbrille, Patent von 1903. Illustration eines von Andrew Jackson Jr. entworfenen Geräts.

Keystone

Animalens pries die angeblichen Vorteile der Erfindung: höhere Eierproduktion, geringerer Futterverbrauch und geringere Sterblichkeit. Später publizierte StudienExterner Link zeigten jedoch auf, dass der einzige nennenswerte Unterschied zwischen einer Legehennenhaltung mit Kontaktlinsen und einer ohne Kontaktlinsen die Augeninfektionen waren.

Eine sprachliche Kuriosität

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Schweiz in einer umfassenden Änderung der Tierschutzverordnung 2008 dieses Verbot explizit eingeführt hat. Es muss jedoch erwähnt werden, dass es ähnliche Vorschriften bereits in anderen Ländern gab, darunter im Vereinigten Königreich.

Der BBC kann jedoch kein Vorwurf gemacht werden, dass sie diese Vorschrift als eine Besonderheit der Schweiz bezeichnet hat.

Das britische GesetzExterner Link verwendet nämlich technischere Begriffe: «Es ist verboten, Vorrichtungen anzubringen, die den Zweck oder die Wirkung haben, die Sicht der Hühner durch eine schmerzhafte Methode zu beeinträchtigen, die das Durchstechen oder die Verstümmelung der Nasenscheidewand beinhaltet. Auch danach, wenn die mit Brillen oder Kontaktlinsen ausgestatteten Tiere gegen Objekte laufen, erfahren sie Schmerzen.»

Die Schweizer «Hühnerbrille» ist also eher eine sprachliche Kuriosität als eine rechtliche Besonderheit.

Tierwürde explizit erwähnt

Auch wenn das Verbot von Brillen und Kontaktlinsen für Hühner keine ausschliesslich schweizerische Besonderheit ist, kennt die Schweiz im Bereich des Tierschutzes durchaus Eigenheiten.

Das bekannteste Beispiel ist das Meerschweinchen. In der Schweiz ist es illegal, nur ein einziges Meerschweinchen zu haltenExterner Link. Denn Meerschweinchen sind soziale Tiere, die – wie auch Kaninchen, Frettchen und Papageien – leiden, wenn sie keine Artgenossen haben. «Meerschweinchen sind kein Kinderspielzeug», sagt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.

Zwei Meerschweinchen auf Heu

Lieber allein als in schlechter Gesellschaft: Das gilt für Meerschweinchen in der Schweiz nicht.

Keystone / Ole Berg-Rusten

Auch diese Vorschrift zu den Meerschweinchen trat mit der Revision der Tierschutzverordnung (TSchV) von 2008 in Kraft, die wiederum im Zuge der umfassenden Änderung des entsprechenden Bundesgesetzes (TSchG) im Jahr 2005 ausgearbeitet wurde.

Diese Revision wird als grosser Erfolg für den Schweizerischen TierschutzverbandExterner Link gesehen, dessen Forderungen zum Grossteil aufgenommen wurden, wie der damalige Präsident Heinz Lienhard in einem Interview mit Swissinfo erklärte (auf Italienisch).

«Der wichtigste und einzigartige schweizerische Aspekt ist jedoch die Einführung des Begriffs ‚Tierwürde‘ im revidierten Tierschutzgesetz von 2005», so Sibel Konyo.  «Die Wahrung der Würde der Tiere stellt einen Meilenstein und einen Schritt in Richtung einer biozentrischen Dimension dar, die Tieren unabhängig von ihrer Wahrnehmungsfähigkeit einen rechtlich geschützten Wert zuerkennt», erklärt die Expertin.

Aus ihrer Sicht ist es ein wichtiger Schritt, aber sie sieht Raum für weitere Verbesserungen. Und erwähnt ein konkretes Beispiel: «Aufgrund des Fehlens einer spezifischen Strafbestimmung, wie sie beispielsweise im deutschen Tierschutzgesetz enthalten ist, bleibt die Tötung eines Tieres ohne triftigen Grund nach Schweizer Recht straffrei.»

Zucht unterliegt Einschränkungen

Die Gesetzgebung hat sich seit 2008 weiterentwickelt. Bemerkenswert für die präzise Formulierung ist eine der letzten, im Februar 2025 eingeführten Änderungen der Tierschutzverordnung.

Im entsprechenden Artikel wird die maximale Anzahl der Tiere festlegt, die jährlich an Dritte abgegeben werden dürfen. Wird diese Menge überschritten, müssen die Züchter:innen eine kantonale Bewilligung beantragen.

Wer mehr als «300 Mäuse, Ratten, Hamster oder Gerbils» pro Jahr züchtet, braucht demnach eine kantonale Bewilligung. Noch präziser ist die Bewilligungspflicht bei der Zucht bestimmter Vögel: «Die Nachzucht von mehr als fünfundzwanzig Vogelpaaren bis zur Grösse eines Nymphensittichs, von mehr als zehn Vogelpaaren, die grösser als Nymphensittiche sind, oder von mehr als fünf Ara- oder Kakadupaaren.» (Art. 101 – Abs.7, TSchVExterner Link)

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Die Gesetzgeber:innen  der Eidgenossenschaft setzen sich also weiterhin für das Wohl der Tiere ein, auch wenn sie dies gelegentlich nicht mit der nötigen Gelassenheit tun.

«Wir sind zu einem Zoo geworden, weil wir ständig über Tiere reden», sagte die ehemalige Ständerätin Géraldine Savary 2015 etwas ironisch während einer Sitzung im Parlament, in der über den Import von Haifischflossen diskutiert wurde.

Als sie kurz darauf das Plenum aufforderte, einen Antrag zur Bekämpfung einer Krankheit von Schafen, der ModerhinkeExterner Link, zuzustimmen, konnte sie selbst einen Lacher nicht unterdrücken.

Ständerätin Géraldine Savary 2015 im Parlament (auf Französisch):

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Editiert von Daniele Mariani, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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