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Estnische Grenze zu Russland

Vor allem baltische Staaten wie Estland – hier im Bild eine Grenzbrücke von der Stadt Narva nach Russland – gelten als mögliches Angriffsziel für Russland. (Archivbild) © Alexander Welscher/dpa

Russland könnte die Nato-Verteidigung in Estland herausfordern. Die Bedrohungslage ist nicht neu. Besonders brisant zeigt sich die Situation in Narva.

Kiew/Moskau – Nur knapp 870 Kilometer trennen die estnische Hauptstadt Tallinn und Moskau. Eine Distanz, die im Schatten des Ukraine-Kriegs eine neue geopolitische Brisanz gewonnen hat. Denn: Im Westen wächst die Sorge, Russland könnte früher oder später versuchen, Estland anzugreifen – und damit den Kern des Nato-Versprechens, Artikel 5, auf die Probe zu stellen. Der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München warnte zuletzt vor einem sogenannten Narva-Szenario. Die Idee dahinter ist nicht neu, doch angesichts jüngster Entwicklungen rückt die Grenzstadt mit ihrer russischsprachigen Mehrheit erneut ins Zentrum westlicher Aufmerksamkeit.

Russlands Angriff auf Estland: Warnung vor Bedrohung im Baltikum

101 Meter. So kurz ist der Weg zwischen Russland und Estland an einer Brücke, die einst symbolträchtig „Brücke der Freundschaft“ hieß. Heute ist sie mit Panzersperren blockiert, die estnische Regierung investiert hier besonders viel Geld in die Verteidigung. Denn das strategische Risiko bleibt: Moskau könnte eines Tages unter dem Vorwand, die russische Minderheit in Narva schützen zu wollen, den Einmarsch wagen.

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Russische Provokationen an der Nato-Außengrenze sind dokumentiert – von verschobenen Grenzbojen in der Narva bis zu demonstrativen Patrouillenfahrten. Der ehemalige Oberbefehlshaber der estnischen Streitkräfte, Riho Terras, warnt seit Jahren vor diesem Szenario. „Es darf aber keine selbsterfüllende Prophezeiung werden – die Nato muss mit Estland Stärke zeigen“, sagte er ntv. Die Mehrheit der Einwohner Narvas fühle sich fest an Europa gebunden. Doch während im fernen Alaska am kommenden Freitag erstmals ein Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin stattfinden und den Ukraine-Krieg einem Ende näher bringen soll, bleibt in Estland die Gefahr real – auch angesichts eines harten Kerns prorussischer Loyalität in Narva.

Nato-Verteidigung im Baltikum: Ex-General warnt vor Putin

Wann und ob Kremlchef Wladimir Putin einen Angriff wagen könnte, ist unklar. Doch Planspiele für den Ernstfall sind längst in die Einsatzpläne der Nato eingeflossen. „Es besteht immer die Möglichkeit, dass Putin sich überschätzt“ und Entscheidungen treffe, die nicht logisch sind, so Terras. „Falls Putin tatsächlich Estland oder einen anderen baltischen Staat angreifen sollte, muss die Nato bereit sein. Mich wundert es aber, dass Leute sich die Frage stellen, ob die Nato uns in Estland in dem Fall zur Hilfe kommt. Verdammt noch mal, wir sind die Nato!“ Zugleich betonte er, dass Erstland binnen 48 Stunden im Angriffsfall seine gesamte Reserve mobilisieren könnte.

Estlands Verteidigungsstrategie gegen Putin: Mehr Geld in Abschreckung

Wie wichtig der Schutz des gesamten Baltikums für die Nato ist, zeigt sich am gesteigerten Engagement des Bündnisses in der Region. Seit 2017 gibt es vier multinationale Battlegroups, die seit 2024 zu vollwertigen Brigaden aufgewertet werden. Zuletzt wurden im vergangenen Jahr mit dem Steadfast-Defender-Manöver auch Verteidigungsszenarien für das Baltikum geübt. Viele Maßnahmen zielen darauf ab, Russland von einem Angriff abzuschrecken und die Reaktionszeit für die sofortige kollektive Verteidigung nach Artikel 5 zu gewährleisten.

Die baltischen Staaten geben zudem überdurchschnittlich viel für ihre Verteidigung aus. In Estland waren es 2024 bereits 3,43 Prozent des BIP, wie die Deutsche Welle unter anderem berichtete. Angesichts der möglichen Bedrohung aus Russland verdeutlicht Terras: „Deshalb würde in Estland jeder Baum auf die russischen Truppen schießen, ob mit Nato oder ohne.“

Experten warnen vor Eskalation zwischen Russland und Nato

Wie nah eine Eskalation tatsächlich ist, kann niemand seriös sagen. Doch der Militärhistoriker Sönke Neitzel warnte bereits im Frühjahr vor einem möglichen „letzten Friedenssommer“. Hintergrund war die geplante russische Großübung „Zapad“ im September. Ein Manöver, das seit 2013 alle zwei Jahre auch Szenarien an der baltischen Grenze umfasst. „Wir sehen die sehr große Angst der baltischen Staaten, dass die Russen im Zuge dieses Manövers über die Grenze kommen“, sagte Neitzel der Bild. „Und wir sehen, dass dann wahrscheinlich die Beistandsklausel der Nato zumindest für die USA nicht mehr greift, die Abschreckung ist geschwächt.“

Laut dem Center for European Policy Analysis deutet der russische Truppenaufmarsch in Belarus darauf hin, dass Moskau seine Abschreckungspolitik verschärft. Die Nato reagierte jüngst mit der Verlegung von drei US-Langstreckenbombern nach Norwegen – womöglich ein Signal, dass der Westen bereit ist, diese Linie notfalls auch zu verteidigen. (fbu)