Ein brisantes Urteil des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen sorgt derzeit für Aufsehen. Demnach kann in Österreich bei Streitigkeiten das Recht der Scharia gelten – “Heute” berichtete. Die Empörung über den Spruch ist groß, für die FPÖ ist es ein “absoluter Wahnsinn”. Doch was steht eigentlich genau im Urteil?
Vertragspartner einigten sich auf Scharia-Regeln
Dazu muss man vorneweg wissen, dass es sich im konkreten Fall um eine reine Vertragsstreitigkeit zwischen zwei Personen handelt. Diese fassten untereinander eine weitreichende Vereinbarung. Sie einigten sich darauf, dass eine bestimmte Person (Mag. E*) “alle Streitigkeiten, die entstanden sind und/oder künftig zum Zusammenhang mit Verträgen entstehen” entscheiden soll.
Und diese Entscheidung treffen soll er “anhand der islamischen Rechtsvorschriften (Ahlus-Sunnah wal-Jamaah) nach Billigkeit in der Sache nach bestem Wissen und Gewissen” treffen. Als eine der Beiden dann zur Zahlung von 320.000 Euro angewiesen wurde, zweifelte er plötzlich das selbst vereinbarte Schiedsgericht und dessen Entscheidung auf Basis der Scharia an.
Nur Entscheidung ist wichtig, nicht der Weg dahin
Das geht, denn laut österreichischem Recht kann jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein. Und dieses Schiedsgericht (im konkreten Fall Mag. E*) entscheidet auf Basis von zuvor vereinbarten Rechtsregeln, hier ist das die Scharia. Aufzuheben wäre ein Schiedsspruch nur, wenn er Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung widerspricht.
Genau das hatte das Landesgericht letztlich zu untersuchen. Weil durch diese Bestimmung die österreichische Rechtsordnung vor einer “unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen” geschützt werden soll, ist nur das Ergebnis des Schiedsspruchs wichtig – und nicht dessen Begründung bzw. die Entscheidung als Gesamtes.
Eine Ausnahme wäre nur denkbar, wenn das Schiedsgericht völlig willkürlich entschieden hätte – Hinweise dafür gibt es im konkreten Fall nicht und wurden auch nicht behauptet. Bei der Scharia handelt es sich außerdem klar um ein System von Handlungsanordnungen und somit um Rechtsregeln, die wirksam vereinbart werden können. Es kam deshalb keinen Grund, den Schiedsspruch aufzuheben.
Scharia-Anspruch auf 1 kg Gold scheiterte
Abseits davon können Bestimmungen der Scharia in Österreich oft auch gar nicht rechtlich durchgesetzt werden. Erst vergangenes Jahr musste der OGH über einen Fall entscheiden, bei der eine Frau einen Mann heiratete, weil er ihr als Brautgabe ein Kilo Gold versprach.
Als es 24 Jahre später zur Scheidung kam und die Frau das Gold verlangte, wurde die damals getroffene Vereinbarung nach islamischen Recht für ungültig erklärt, weil es einen Notariatsakt gebraucht hätte.