Publiziert26. August 2025, 16:10

«Portrait einer Dame»: Von Nazis gestohlen, jetzt auf Maklerfoto über Sofa entdeckt

«Das hätte ich mir nicht im Traum  ausgemalt», sagt Peter Schouten. Der Niederländer hat Jahre nach einem von den Nazis gestohlenen Bild gesucht – und es jetzt unerwartet gefunden.

Ann Guenter

Die Nazis stahlen das «Portrait einer Dame» des Malers Giuseppe Ghislandi.

Jetzt ist es nach über 80 Jahren in Argentinien wieder aufgetaucht.

Journalisten entdeckten es zufällig auf dem Foto einer Immobilien-Seite.

Es hängt im Wohnzimmer einer Tochter des NS-Finanziers Friedrich Kadgien.

Der Finanzier von Hitler und Göring versteckte sich in der Schweiz, bevor er mit dem Bild nach Südamerika flüchtete.

Die Rückgabe an die wahren Besitzer des Gemäldes – die Familie des Kunstsammlers Jacques Goudstikker – wird schwierig.

Einst von den Nationalsozialisten aus den Niederlanden gestohlen, jetzt entdeckt über einer Couch im Wohnzimmer von Nazi-Nachkommen in Argentinien: Nach über 80 Jahren ist das «Portrait einer Dame» wieder aufgetaucht – auf einer Immobilien-Webseite, die das Innere einer zum Verkauf stehenden Villa zeigt.

Journalisten der niederländischen Zeitung Algemeen Dagblad (AD) hatten sich bereits vor Jahren auf die Suche nach dem Gemälde des italienischen Malers Giuseppe Ghislandi (1655-1743) gemacht. Sie vermuteten es in Argentinien und im Besitz der Töchter von Friedrich Kadgien.

Hitlers Finanzier aus Schweiz geflohen

Der wichtigste Finanzberater von Adolf Hitler und Hermann Göring hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Baden in der Schweiz versteckt und war dann über die sogenannte Rattenlinien nach Südamerika geflohen (s. Box). Das «Portrait einer Dame» soll 1946 zuletzt in der Schweiz gesehen worden sein, schreibt der «Buenos Aires Herald».

Die Töchter des 1978 verstorbenen Nazi-Finanziers wollten keine Auskunft geben zu dem bei ihnen vermuteten Kunstwerk. Dass dieses auch von der niederländischen Agentur für kulturelles Erbe (RCE) als vermisst gemeldet war, schien sie nicht zu beeindrucken. «Ich weiss nicht, welche Informationen Sie von mir wollen, und ich weiss nicht, von welchem Gemälde Sie sprechen», wurde AD-Journalist Peter Schouten abgewiesen.

«Ich bin kein Richter»

Schouten beschloss schliesslich, nach Argentinien zu fliegen. «Ich wollte wirklich mit den Damen sprechen», sagt Schouten. «Ich bin kein Richter, ich erzähle nur die Geschichte. Ich wollte ihnen eine Chance geben, ihren Teil zu erzählen». Er habe wenig Hoffnung gehabt, dass er empfangen werde, und sollte recht behalten.

Dennoch lohnte sich die Reise in die argentinische Küstenstadt Mar del Plata. Vor dem Haus einer Kadgien-Tochter entdeckte Schouten ein Maklerschild. Zurück im Hotel begann er, die Immobilienportale zu durchforsten und wurde bei Robles Casas & Campos tatsächlich fündig. Auf dem fünften Foto der ausgeschriebenen Villa entdeckte er über einem Sofa das gestohlene Ghislandi-Werk. «Das hätte ich mir nicht im Traum ausmalen können», so Schouten.

Noch ein gestohlenes Bild?

Die verständigten RCE-Experten haben keinen Grund zur Annahme, dass es sich um eine Fälschung handelt. Eine endgültige Bestätigung könne aber nur die Rückseite des Gemäldes geben; dort könnten sich noch Markierungen oder Etiketten befinden, die seine Herkunft bestätigen.

Die Kadgien-Familie soll neben dem «Damenportrait» noch ein weiteres gestohlenes Gemälde besitzen, ein Stillleben des niederländischen Malers Abraham Mignon aus dem 17. Jahrhundert, schreibt die britische «Times». Dennoch dürfte es schwer werden, sie zur Herausgabe der Bilder zu bewegen, obgleich diese nach niederländischen Recht als zwangsversteigert gelten und deswegen von den wahren Besitzern zurückgefordert werden können.

Schwieriger Kampf um Rückgabe

«Wenn ein Gemälde in Privatbesitz ist und der Besitzer sich weigert, es zurückzugeben, könnte es nach all den Jahren schwierig werden», sagen die Experten von der RCE.

Die Erben des niederländischen Kunsthändlers, dem das Portrait mit 780 weiteren Bildern gestohlen wurde, wollen dennoch darum kämpfen. «Meine Suche nach den Kunstwerken meines Schwiegervaters, Jacques Goudstikker, begann Ende der 1990er Jahre, und ich habe bis heute nicht aufgegeben», sagte Goudstikker-Schwiegertochter Marei von Saher (81). «Es ist das Ziel meiner Familie, alle aus der Goudstikker-Sammlung geraubten Kunstwerke zurückzuholen und das Erbe von Jacques wiederherzustellen.»

2006 erhielten die Goudstikker über 200 Gemälde zurück, die sich noch in den Niederlanden befanden. Über den Wert des gefundenen Damenbildnisses ist nichts bekannt. Die Werke von Giuseppe Ghislandi hängen in Museen in ganz Europa.

Friedrich Kadgien: Wer war Hitlers Finanzier?

Der hochrangige Nazi- und SS-Offizier Friedrich Kadgien war Hitlers und Görings wichtigster Finanzier. Er koordinierte den Verkauf von Aktien und Wertpapieren über Schweizer Tarnfirmen und Banken, war aber auch verantwortlich für die wirtschaftliche Ausbeutung der Gebiete, die Deutschland besetzte. Mit Treibstoffhandel verschaffte Kadgien der deutschen Kriegsmaschinerie Milliarden dringend benötigter Devisen. Amerikanische Ermittler für Kriegsverbrechen beschrieben ihn als «keinen echten Nazi, aber eine Schlange der niedrigsten Ordnung».

Als sich die Niederlage des Deutschen Reiches abzeichnete, flüchtete Kadgien 1945 in die Schweiz, wo er in Baden im Kurhotel Verenahof wohnte. Die Alliierten ersuchten die Schweiz um die Auslieferung des Kriegsverbrechers, doch der Deutsche habe auf die Protektion der Schweizer Behörden zählen können, die ihn vor dem Zugriff der Alliierten schützten, schrieb das «Badener Tagblatt» 2018. Auch der Bergier-Bericht hält fest, dass Kadgien in der Schweiz über gute Kontakte verfügte und das Wohlwollen namhafter Schweizer Behördenvertreter genossen hatte.

Kadgien setze sich 1949 zunächst nach Brasilien ab, wo er in Rio de Janeiro eine Bank gründete und «geheime Nazi-Gelder in Milliardenhöhe auf Schweizer Banken kontrollierte» (britische «Times»). In den 1950er Jahren zog Kadgien nach Argentinien, wo er ein wohlhabender Mittelsmann für deutsche Unternehmen wie die deutsche Waffenfirma Rheinmetall wurde. Er starb 1978.

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