AboAbstimmung vom 28. September –

Drohungen, Anzeigen und eine Ohrfeige: Der irre Streit zwischen den E-ID-Gegnern

Bildmontage mit vier E-ID-Gegnern: Nicolas Rimoldi, Nils Fiechter, Philipp Burger,  und Nicole Rüegger.

In der Sache vereint, im Kampf offenbar getrennt: Die Gegner der E-ID Nicolas Rimoldi, Nils Fiechter, Philipp Burger und Nicole Rüegger (von links).

Bildmonage: Michael Treuthardt. Fotos: Raphael Moser, Matthias Spicher, Keystone

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In Kürze:Die E-ID-Gegner bekämpfen sich trotz gemeinsamen Ziels mit Strafanzeigen und Handgreiflichkeiten.Mass-voll-Präsident Rimoldi sorgte mit einer Ohrfeige gegen EDU-Politiker Samuel Kullmann für Aufsehen.Die Piratenpartei verlor ihre gesammelten Unterschriften an eine neu gegründete Partei.Gemäss aktueller Umfrage sprechen sich 56 Prozent der Stimmberechtigten für die E-ID aus.

In diesen Tagen erhalten die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Abstimmungsbüchlein für den 28. September nach Hause geschickt. Dort finden sie auf den Seiten 28 bis 29 die Argumente der Gegner der E-ID. Wer die beiden Seiten aufmerksam studiert, erfährt nicht nur die Position der Gegnerschaft – sondern auch etwas über deren interne Differenzen.

Gleich drei verschiedene Komitees sind im Abstimmungsbüchlein aufgeführt und verweisen auf ihre jeweiligen Websites: das offizielle E-ID-Nein-Komitee, die Organisation Mass-voll sowie die Piratenpartei. Die Bundeskanzlei musste im Vorfeld mit den drei Parteien aushandeln, wer im Abstimmungsbüchlein wie viel Platz erhält.

Obwohl sie alle für dieselbe Sache kämpfen, sind sich die Gegner des elektronischen Identitätsnachweises (E-ID) untereinander spinnefeind. Hinter den Kulissen bekämpfen sich die Gruppierungen seit Monaten. Die Streitigkeiten gipfelten in Strafanzeigen und sogar Handgreiflichkeiten.

Medienkonferenz wurde geheim gehalten

Diese Redaktion hat mit mehreren involvierten Personen gesprochen. Die meisten wollen den Streit nicht öffentlich kommentieren. Wie prekär das Verhältnis zwischen den drei Gruppierungen bis heute ist, zeigte sich letztmals am 6. August, als das offizielle Nein-Komitee im Medienzentrum des Bundeshauses eine Medienkonferenz abhielt. Im Vorfeld wurde der Termin tagelang geheim gehalten. Erst am Tag davor wurden einzelne Journalistinnen und Journalisten eingeladen.

Viele Medienschaffende im Bundeshaus haben aber bis zuletzt nicht mitbekommen, dass die Pressekonferenz überhaupt stattfindet. Dies, weil auch die Bundeskanzlei von den Gegnern angewiesen wurde, den Termin im Vorfeld geheim zu halten. Grund für das Versteckspiel war die Angst vor Störaktionen aus dem eigenen Lager.

Schon beim Start eskaliert es

Eine der zentralen Figuren in diesem Konflikt ist Nicolas A. Rimoldi, Präsident der Bewegung Mass-voll. Während der Coronapandemie erarbeitete er sich den Ruf als radikaler Massnahmengegner. Rimoldi gehört zu den E-ID-Gegnern der ersten Stunde. Als am 9. Januar 2025 die Referendumsfrist beginnt, sind er und seine Organisation Mass-voll die Ersten, die mit dem Sammeln der Unterschriften beginnen.

Nicolas Rimoldi in Pfäffikon, umgeben von lilafarbenem Rauch, stehend auf einer grünen Wiese.

Nicolas Rimoldi ist einer der lautesten E-ID-Gegner.

Foto: Jonathan Labusch

Mit diesem «Vorpreschen», wie es ihm später vorgeworfen wird, fährt Mass-voll der Piratenpartei in die Parade. Die Partei mit Spezialgebiet Digitalpolitik führt seit Jahren ein Mauerblümchen-Dasein im politischen Diskurs der Schweiz. Bis heute hat sie vor allem dank den grosszügigen Spenden von PKZ-Erbe Philipp Burger überlebt, der bis vor wenigen Wochen zugleich auch Vizepräsident der Piratenpartei war.

«Rechtsextreme sind hier nicht willkommen»

Im Referendum zum E-ID-Gesetz sehen die Piraten eine einmalige Gelegenheit, sich schweizweit profilieren zu können. Doch sie mussten sich beim Sammeln der Unterschriften irgendwie mit Rimoldis Mass-voll-Bewegung arrangieren.

Die Zusammenarbeit zwischen Piraten und Mass-voll scheiterte Anfang Januar schon nach wenigen Tagen spektakulär. Das zeigen Chatprotokolle, die dieser Redaktion vorliegen. Der Streit eskalierte, als Rimoldi ein Mitglied der rechtsradikalen Jungen Tat in den Chat der E-ID-Gegner einlud. 

«Sorry, aber Rechtsextreme sind hier nicht willkommen», schrieb ein Mitglied der Piratenpartei daraufhin in den Chat.

«Entweder gilt hier ein konstruktiver Geist im Sinne der Sache, oder du machst hier auf Coronafascho-Inzest und wir verzichten seitens Mass-voll auf jede Kooperation», antwortete Rimoldi.

«Rächen bei den Verrätern»

Kurz vor Ende der Sammelfrist eskalierte die Situation auch innerhalb der Piratenpartei. Zwei Mitglieder des Präsidiums, Pascal Fouquet und Philipp Burger, kündigen Ende März eine Medienkonferenz an. Wenige Stunden später sagen Jonas Sulzer und Nicole Rüegger, zwei weitere Vorstandsmitglieder, die Medienkonferenz ab. Wieder zwei Stunden später bekommen die Journalisten ein weiteres Mail von Fouquet und Burger: Doch, die Medienkonferenz finde statt.

Der Machtkampf im Vorstand der Piratenpartei schwelte da schon seit Monaten. Nachdem die Piraten 2023 mit dem versuchten Referendum gegen eine andere Vorlage gescheitert waren und die nötige Unterschriftenzahl verfehlt hatten, wollte es die Partei diesmal besser machen. Früh genug wurde ein Komitee gebildet, wurden die personellen Ressourcen organisiert. Den Lead für die Unterschriftensammlung übernahmen seitens des Vorstands Nicole Rüegger und Jonas Sulzer. Ausserdem war auch Monica Amgwerd, Generalsekretärin der Zürcher Sektion, involviert. Diskussionen gab es intern zur Frage, wer gegenüber der Öffentlichkeit informiert.

Jonas Sulzer, Kampagnenchef, bei der Unterschriftenabgabe gegen das E-ID Gesetz vor dem Bundeshaus in Bern am 17. April 2025, umgeben von weiteren Personen und Plakaten.

Jonas Sulzer von der Digitalen Integrität Schweiz (rechts) beim Einreichen der Unterschriften Mitte April 2025.

Foto: 20min/Matthias Spicher

Der Streit um die Medienkonferenz von Anfang März gipfelte in einer Strafanzeige von Rüegger gegen ihren Vorstandskollegen Burger. Dieser hatte in internen Chats gedroht, er werde das Leben derer «zerstören», die seinen Einsatz nicht würdigten. Und er werde sich «rächen bei den Verrätern». Auch weitere Piraten-Mitglieder berichten von verbal grenzwertigem Verhalten, die internen Chat-Protokolle liegen dieser Redaktion vor. An einer Parteiversammlung von Anfang April kommt es zum Showdown mit dem Resultat, dass Rüegger und Sulzer den Parteivorstand verlassen.

Strafanzeige gegen die Post

Das Referendum an sich ist für Kleinstgruppen eine Herausforderung. Doch im Fall der E-ID waren die Gegner nicht nur mit dem Sammeln von Unterschriften beschäftigt, sondern vor allem mit ihrem Streit.

Neben Piraten und Mass-voll sammelten zu dieser Zeit auch die Junge SVP, die EDU und die Covid-Massnahmen-Gegner «Freunde der Verfassung» Unterschriften. Kurz vor Ablauf der Referendumsfrist eskalierte auch im rechten Lager der Gegner der Streit. Die «Freunde der Verfassung», die EDU und die Junge SVP wollten mit Rimoldi und seiner Mass-voll-Bewegung nichts mehr zu tun haben.

Samuel Kullmann spricht in einem Strassencafé in Bern, während er eine Tasse Kaffee auf dem Tisch vor sich hat.

EDU-Politiker Samuel Kullmann wurde zum Ziel von Rimoldis Angriff.

Foto: Raphael Moser

Auf diese Kränkung reagierte der Mass-voll-Leader unzimperlich. Zuerst verpasste er dem EDU-Politiker Samuel Kullmann in aller Öffentlichkeit eine Ohrfeige. Den «Freunden der Verfassung» drohte er in den Medien mit einer Strafanzeige. Eine solche reichte Mass-voll später gegen die schweizerische Post und gegen unbekannt ein: Rimoldi ist überzeugt, dass aus dem Postfach von Mass-voll in Zürich Unterschriften geklaut wurden. Wichtigster Beweis sei eine Mitarbeiterin der Post, welche bezeugt habe, dass sie die Unterschriftenbögen bereitgestellt habe. Bevor Mass-voll sie abholen konnte, seien diese jedoch laut Rimoldi bei der Post verschwunden.

Beim Einreichen der Referendumsunterschriften herrschte das totale Chaos. Nachdem Rüegger und Sulzer aus dem Piratenvorstand abgewählt worden waren, gründeten sie zusammen mit Monica Amgwerd kurzerhand eine eigene Partei: die «Digitale Integrität Schweiz». Die rund 20’000 Unterschriften, die im Namen der Piratenpartei gesammelt worden waren, erklärten sie zum Eigentum dieser neuen Partei.

Am 17. April reichten die «Digitale Integrität Schweiz» gemeinsam mit den «Freunden der Verfassung», der EDU und der Jungen SVP rund 40’000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein. Die Piraten und Mass-voll wurden über diesen Schritt nicht informiert. Nachdem Rimoldi und seine Leute fünf Tage später selbst rund 15’000 Unterschriften eingereicht haben, stehen die Piraten mit abgesägten Hosen da. Damit sie im Abstimmungsbüchlein überhaupt noch als Partei erwähnt werden, musste eine Handvoll Piraten kurz vor Ende der Referendumsfrist gemeinsam bei der Bundeskanzlei einen Bogen unterschreiben.

Getrennte Siegesfeier – wenn es denn eine gibt

Als die Bundeskanzlei am 9. Mai vermeldete, dass das Referendum zustande gekommen ist, war die Gegnerschaft in Rechtshändel verstrickt. Die Strafanzeige gegen Philippe Burger ist hängig. Die Piraten ihrerseits prüfen rechtliche Schritte gegen die «Digitale Integrität Schweiz». Samuel Kullmann zeigte Nicolas Rimoldi wegen der Ohrfeige an. Und dann wäre da noch die Klage gegen die Post. Eine Nichtanhandnahme der Zürcher Staatsanwaltschaft hat Rimoldi beim Obergericht angefochten.

Und wie stehen die Chancen dieser schillernden Gegnerschaft? Laut der jüngsten Umfrage sind 56 Prozent für die Vorlage, 42 Prozent dagegen. Klar ist: Sollten die Gegner dennoch gewinnen, wird die Party an mehreren Orten stattfinden.

E-ID-Abstimmung vom 28. September

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