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Russland verstärkt Truppen und Befestigungen im Norden der Allianz. Murmansk wäre sonst nach einem Angriff auf das Baltikum von den Finnen abgeschnitten.

Helsinki – „Für die Russen war die Nato historisch gesehen so etwas wie der Satan, wenn nicht sogar der Satan selbst“, sagte Matti Pitkäniitty. Der britische Guardian zitiert den Kommandanten des Grenzschutzbezirks Nordkarelien – die Nahtstelle zwischen Russland und Finnland gilt als einer der Hotspots zwischen Wladimir Putins Großmachtstreben und der Verteidigung der westlichen Werte durch die Nato. Darauf bereitet sich der Diktator bereits vor, während der Ukraine-Krieg mit unverminderter Härte tobt. Wie Newsweek berichtet, plane Putin, die Befestigungen an seiner Grenze zu Finnland zu verstärken.

„Könnte die finnisch-russische Grenze nach dem Ukraine-Krieg zum nächsten Konfliktgebiet werden?“

Newsweek berichtet aktuell, dass Dmitri Medwedew geäußert habe, Russland würde sich gegen Finnland stärker wappnen wollen – laut dem Magazin begründe der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats den Ausbau von Befestigungen mit dem Beitritt des nordischen Landes zum Militärbündnis im Jahr 2023. „Jetzt sind wir Teil davon, und das verändert ihre Sicht auf die Finnen“, zitiert der Guardian den finnischen Grenzer Pitkäniitty. „Es sei seine Aufgabe als Teil des Nato-Bündnisses, sich, auf das Schlimmste vorzubereiten‘“, äußert auch Sami Nurmi. Gegenüber dem Guardian betonte der Generalmajor und Strategiechef der finnischen Streitkräfte, dass er „sehr genau“ beobachte, was Wladimir Putins Invasionskräfte an der Grenze zwischen seinem Staatsgebiet und Russland, also der Ostgrenze der Nato, machten.

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Zelte, Unterstände für Kampfjets und Lagerhallen für Militärfahrzeuge zeugten von einer verstärkten russischen Präsenz in der Nähe des zweitjüngsten Nato-Mitglieds, schrieb Mitte des Jahres die New York Times (NYT). Russland will sich aber wohl noch stärker verbarrikadieren. Laut Brendan Cole habe Medwedew einen Besuch des Grenzübergangs in Swetogorsk, nahe Leningrad, dazu genutzt zu erklären, Russland wolle „die Zuverlässigkeit des Grenzschutzes erhöhen“, wie ihn der Newsweek-Autor zitiert. „Könnte die finnisch-russische Grenze nach dem Ukraine-Krieg zum nächsten Konfliktgebiet werden?“, hat jüngst Grégoire Sauvage gefragt. Der Autor des Senders France24 bezieht sich auf eine konkrete Drohung, die der Kreml bereits ausgesprochen hatte, als Finnland seine Neutralität aufgab.

„Vor allem aber besteht kein Zweifel an Helsinkis eiserner Entschlossenheit, der russischen Aggression Widerstand zu leisten, und an der Bereitschaft der finnischen Bevölkerung, zur Verteidigung ihres Landes zu den Waffen zu greifen.“

Russland bezeichne Finnlands Nato-Beitritt als gefährlichen historischen Fehler, berichten im April 2023 Andrew Osborn und Jake Cordell. Die Autoren der Nachrichtenagentur Reuters schrieben zu der Zeit, die russische Militärführung sei damals von der eigenen Regierung gewarnt worden, dass der Beitritt Finnlands „das Risiko einer erheblichen Ausweitung des Konflikts birgt“, wie der damalige Verteidigungsminister Sergei Schoigu erklärt haben soll: „Einer der Hauptgründe für Russlands Kampf in der Ukraine besteht darin, zu verhindern, dass das Nachbarland zu einem Nato-Außenposten wird, der die eigene Sicherheit bedrohen würde“, schreiben Osborn und Cordell über die Befürchtungen der russischen Regierung. Offenbar sei die Antipathie Russlands gegenüber den Finnen auch auf die Bevölkerung übergeschwappt, so die Reuters-Autoren.

Russland hat keinen Zweifel, „dass sich Finnland durch seinen Beitritt (zur Nato) selbst Probleme schafft“

Sie zitierten zum Beleg einen Einwohner St. Petersburgs, der sich als „Nikolai“ ausgegeben habe: „Es besteht absolut kein Zweifel daran, dass sich Finnland durch seinen Beitritt (zur Nato) selbst Probleme schafft, denn wir betrachteten es früher als ein Bruderland der kapitalistischen Welt, das uns im Geiste, in den Beziehungen und in den für beide Seiten vorteilhaften Wirtschaftsbeziehungen am nächsten steht. Aber jetzt werden wir es als einen Staat betrachten, der uns gegenüber unfreundlich ist“, so der Russe laut der Nachrichtenagentur. Allerdings bereiten sich Finnland und die Nato tatsächlich auf ein militärisches Szenario vor, wie das finnische Magazin Iltalehti berichtet hat.

Im finnischen Mikkeli würde ein Unterstab der Nato-Landstreitkräfte eingerichtet – von dort geleitet würden dann die Ausbildung und die Operationen einer Nato-Brigade von bis zu 5.000 Soldaten aus Finnen und Norwegern zum Schutz der finnischen Grenze starten. Wie das Magazin Nordic Defense Review (NDR) zeitgleich berichtet hat, hätte Mikkeli als Standort aufgrund seiner strategischen Lage und der dort bestehenden militärischen Strukturen den Zuschlag bekommen, so NDR. Mikkeli liegt Luftlinie rund 400 Kilometer vom russischen Petrosawodsk entfernt. Laut der NDR werde das dortige Nato-Hauptquartier „einige Dutzend ausländische Offiziere beherbergen, mit der Möglichkeit einer späteren Erweiterung“.

„In Mikkeli ist ein sogenanntes hoch einsatzbereites Nato-Unterhauptquartier stationiert“

Aus diesem Hauptquartier heraus sollen die Vorgeschobenen Landstreitkräfte (Forward Land Forces, kurz FLF) unter schwedischem Kommando regelmäßig üben, um in Krisen schnell reagieren zu können. „In Mikkeli ist ein sogenanntes hoch einsatzbereites Nato-Unterhauptquartier stationiert, das rund um die Uhr in operativer Alarmbereitschaft ist“, schreibt Lauri Nurmi für Iltalehti. Die weitere Ausweitung der Nato sei ein „Eingriff in unsere Sicherheit und in die nationalen Interessen Russlands“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Reuters zum Zeitpunkt von Finnlands Nato-Beitritt. Tatsächlich müsse Russland die Abgrenzung zu Finnland ernster nehmen als bisher – eine mögliche Kontaktlinie zur westlichen Verteidigungsallianz ist um mehr als 1.300 Kilometer gewachsen.

Ein finnischer Wehrpflichtiger während einer Seeverteidigungsübung.

Wehrhaft zu allen Jahreszeiten: Ein finnischer Wehrpflichtiger während der Seeverteidigungsübung Freezing Winds24 unter Leitung der finnischen Marine im Schärenmeer vor Emäsalo, Porvoo im vergangenen November. Finnland hat die Wehrpflicht immer beibehalten und Notfallpläne für Landwirtschaft und Industrie entworfen. © IMAGO/Heikki Saukkomaa

„Sollten die Nato und Russland im Baltikum Krieg führen, werden die Finnen nicht einfach tatenlos zusehen“, so Ed Arnold laut France24. „Sie werden wahrscheinlich einen Gegenangriff starten und die Murmansk-Halbinsel annektieren“, wie der Analyst des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI) äußert. In Murmansk sind die russischen Atomstreitkräfte sowie die Nordflotte stationiert. Die Finnen hätten die Möglichkeit und die Kampfkraft, einen Keil zwischen Murmansk und St. Petersburg zu treiben und somit die Versorgung der russischen Truppen zu unterbrechen. Finnland fiele damit die Hauptrolle in einem möglichen Krieg um das Baltikum zu – insofern ist für Russland existenziell, mögliche Einfallstore abzuriegeln.

Experte findet schwierig, Russlands Verhalten „als rein defensiv oder offensiv zu interpretieren“

Allerdings scheinen die Finnen gelassen auf die Manöver jenseits ihres Grenzzauns zu reagieren, wie der Telegraph im Mai berichtet hat: „Die jüngsten Bewegungen und Anzeichen von Bauarbeiten sind nur eine weitere taktische oder operative Veränderung in einer langen Reihe russischer Aktivitäten“, sagte Jarmo Lindberg gegenüber dem britischen Blatt. Der ehemalige Verteidigungsminister teile die Besonnenheit mit anderen finnischen Politikern, betonte Telegraph-Autorin Iona Cleave. Laut Emil Kastehelmi seien alle russischen Unternehmungen auch bereits vor 2022 angelegt worden. Der Analyst des finnischen Thinktanks Black Bird Group hat zwar beobachtet, dass Russland im Jahr 2024 den bedeutenden Militärbezirk Leningrad wieder eingerichtet hätte und dort kleine, schon vor dem Ukraine-Krieg dort stationierte Brigaden fast verdreifachen und zu Divisionen mit über 10.000 ausbauen würde.

Ihm zufolge sei es schwierig, Russlands Verhalten „als rein defensiv oder offensiv zu interpretieren“, wie ihn der Telegraph zitiert. „Es gibt eine Vielzahl von Szenarien und Unsicherheiten.“ Allerdings habe Russland allen Grund, Finnland zu fürchten. Vermutlich fände Putin in seinen westlichen Nachbarn ein ebenso zäh kämpfendes Volk, wie ihm das in der Ukraine gegenübersteht. Das jedenfalls behauptet Stefan Hedlund in einer Analyse für den Liechtensteiner Thinktank Geopolitical Intelligence Services (GIS). Der Forschungsdirektor am Zentrum für Russische und Eurasische Studien der Universität Uppsala lobt an den Finnen die schnelle Reaktion auf die durch den Ukraine-Krieg blitzartig aufkeimende Aggression Russlands.

Die Wehrpflicht hatte Finnland ohnehin beibehalten, aber nach dem Überfall im Februar 2022 habe Finnland den Wehretat erhöht, die Produktion von Artilleriegranaten hochgefahren und mit Landwirten sowie Industriebetrieben Notfallpläne ausgearbeitet, so Hedlund: „Vor allem aber besteht kein Zweifel an Helsinkis eiserner Entschlossenheit, der russischen Aggression Widerstand zu leisten, und an der Bereitschaft der finnischen Bevölkerung, zur Verteidigung ihres Landes zu den Waffen zu greifen.“