9. September 2025
Sebastian Pollok ist Mitgründer des Deep Tech-Fonds Visionaries Tomorrow, Serienunternehmer und Vordenker für Industrietechnologien. Im Gespräch erklärt er, warum Europa seine industrielle DNA mit moderner Wissenschaft verbinden muss, wie KI auf der Werkbank ganze Produktionsketten verändert – und weshalb die Kapitalmarktunion, weniger Bürokratie und mehr Mut die eigentlichen Gamechanger sind.
Carsten: Sebastian, warum siehst du ausgerechnet in Deep Tech Deutschlands größte Chance?
Sebastian: Europa war immer ein Industriekontinent. Deep Tech ist die logische Fortsetzung unserer Stärken: Ingenieurskunst + Wissenschaft. Was uns gefehlt hat, ist die Kommerzialisierung. Wenn starke Forschung, mutige Gründer:innen und langfristiges Kapital zusammenkommen, können wir im „physischen Tech“ global führen.
Carsten: Welche Rolle spielen dabei Familienunternehmen und Industrie?
Sebastian: Eine enorme. Der deutsche Mittelstand sitz auf einem Datenschatz aus Jahrzehnten an Prozess- und Maschinendaten und kennen ihre Märkte in- und auswendig. Wenn wir das mit KI kombinieren, entsteht ein Wettbewerbsvorteil, den kein Silicon Valley kopieren kann. So könnte unser Google im Mittelstand entstehen, wenn man so will.
Carsten: In welche Transformationsfelder investiert ihr konkret?
Sebastian: Drei große:
Energie & Dekarbonisierung – von Fusionsenergie (Proxima Fusion) bis Hydrogen Exploration (Hestia). Ziel: Versorgungssicherheit, Unabhängigkeit und CO₂-Reduktion.
Rohstoff-Resilienz & Zirkularität – z. B. Chemikalien aus Post-Consumer-Plastik (Portfolio: Radical Dot). Wir reduzieren Abhängigkeiten von kritischen Ressourcen.
Physical AI & Robotics – KI auf der Werkbank: Produktion, Logistik, In-Line-Qualitätsprüfung, Materialforschung. Beispiele: Siren Opt für Echtzeit-Qualitätskontrolle an Nanoschichten und ganz fundamental im AI Stack: Arago mit Photonics-basierten Chips für effizienteres AI-Training.
Carsten: Du sprichst vom „Cloud-Moment“ des Deep Tech. Was meinst du?
Sebastian: Vor 20 Jahren wurde Software durch Cloud-Infrastruktur plötzlich kapitaleffizient. Etwas Ähnliches passiert jetzt im Deep Tech: Spezialisierte KI-Modelle, High Performance Computing, jahrzehntelange Industriedaten sowie neue Sensorik machen Entwicklung, Test und Skalierung deutlich günstiger – bevor man überhaupt „schwere Hardware“ baut. Das erhöht die Trefferquote und senkt das Kapitalrisiko.
Carsten: Viele sagen: Deep Tech dauert lange und ist teuer. Warum lohnt es sich trotzdem?
Sebastian: Ja, der erste Umsatz kommt in Software schneller. Aber Software ist auch leichter kopierbar. In Deep Tech ist die Hürde höher – genau das schafft Eintrittshürden gegen neue Konkurrenz und deshalb im Ergebnis oft oligopolartige Märkte. Wer hier gewinnt, baut nachhaltige Marktpositionen in extrem großen Märkten auf.
Carsten: Wo siehst du KI als größten Hebel – jenseits von Chatfenstern?
Sebastian: In der physischen Welt. In-Line-Qualitätsprüfung, adaptive Produktionsstraßen, smartere Logistik. Und: Europas Vorteil sind proprietäre Industriedaten. Die müssen wir souverän nutzen – idealerweise für eigene Anwendungen und so, dass die Kontrolle hier bleibt.
Carsten: Was braucht es auf der Kapitalseite, um global mitzuhalten?
Sebastian: Erstens eine Kapitalmarktunion. Europa hat 35 Börsen und über 200 Handeklsplätze – ein Flickenteppich, auf dem keine großen Exits passieren können. Wir brauchen einen echten Kapitalmarkt für einen starken Kontinent. Zweitens viel mehr institutionelles Kapital in VC/Deep Tech, ohne regulatorische Bremsen wie extrem hohe Eigenkapitalunterlegung. Drittens Programme, die privates Kapital spiegeln – EIF, DTCF, KfW & Co.– das funktioniert, wenn Private vorangehen.
Carsten: Und politisch/behördlich – wo sind die Quick Wins?
Sebastian:
Wir brauchen Bürokratie auf Startup-Tempo: Fachkräfte-Visa und Gründungen in Stunden statt in Wochen. In Estland dauert eine Gründung online Minuten, in Deutschland füllt man noch Aktenordner.
Innovationsfreundliche Regulatorik für neue Technologien, wie z.B. Fusionsenergie, um einen verlässlichen Rahmen zu schaffen. Idealerweise mit dem Staat, als starkem Kunden, der mit öffentlichen Aufträgen für frühe Nachfrage sorgt – Vorbild DARPA in den USA.
Europaweit denken: Beispielsweise wäre die EU-nc als einheitliche Rechtsform ein Booster, weil sie Gründungen vereinfacht. Rechtsklarheit schaffen und den Gründer:innen Zeit geben würde, sich auf den Markt statt auf Formulare zu kenzentrieren.
Carsten: Wie nimmst du das Mindset in Deutschland wahr – und was müsste sich ändern?
Sebastian: In der Startup-Bubble ist die Energie da. Wir brauchen mehr Vorbilder, Offenheit und Handlung statt Frust: im Startup-Verband mitarbeiten, an Unis gehen, Open Innovation leben. Auch in der Politik: Präsenz zeigen, neugierig sein, Mut machen.
Carsten: Öffnen sich die Schleusen bei Family Offices & Corporates?
Sebastian: Es bewegt sich was. Viele Familienunternehmer:innen investieren bereits – nicht aus Hype, sondern aus Langfristorientierung. Sie denken in Generationen, nicht in Quartalen. Gleichzeitig müssen regulatorische Bremsen weg, damit auch Versicherer/Pensionskassen stärker in Innovation gehen.
Carsten: Was sind deine Top-Hebel in den Bereichen Kapital, Bürokratie, Talent?
Sebastian:
Kapital: Kapitalmarktunion – große Exits in Europa ermöglichen. Public-Private-Programme wie DTCF, EIF & Co. ausbauen.
Bürokratie: „Startup-in-a-Day“ – Gründung in Stunden statt Wochen.
Talent: Die besten Köpfe der Welt haben die Wahl. Wir müssen um sie werben (Wissenschaftler, die nicht mehr in den USA sein wollen!) und um sie kämpfen. Weg von der Formulation wieder hin zur Gründernation.
Carsten: Danke dir – klarer Fahrplan fürs Industrieland 2.0.
Sebastian: Danke, Carsten. Wir wissen, was zu tun ist. Jetzt geht es um Mut, Tempo und „Just do it“.