Ende September richtet sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf New York. Denn wenn Staats- und Regierungschefs aus aller Welt zur Generaldebatte der 80. Generalversammlung der Vereinten Nationen zusammenkommen, steht die Palästina-Frage im Fokus.
Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Sommer angekündigt hatte, Palästina bei der Generalversammlung als Staat anzuerkennen, waren mehrere Länder diesem Beispiel gefolgt. Luxemburgs Regierung zögerte, sich in der Frage festzulegen. Vor der Chamber-Debatte am Montag stand Außenminister Xavier Bettel (DP) dem „Luxemburger Wort“ Rede und Antwort.
Xavier Bettel, bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen wird über die Frage der Anerkennung Palästinas als Staat abgestimmt – ein Thema, das auch in Luxemburg kontrovers diskutiert wurde. Können Sie schon etwas zur luxemburgischen Position sagen, oder ist die noch offen?
Es wird nicht abgestimmt – das ist eine Entscheidung, die jedes Land unilateral treffen kann, ob es die Anerkennung aussprechen will oder nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, wie meine Position ist, die ich auch dem Regierungsrat vorgestellt habe.
Damals, als Spanien, Irland und Norwegen 2024 die Anerkennung ausgesprochen haben, gab es die Diskussion, ob wir uns dem anschließen sollten. Da war der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 noch näher, das Recht auf Selbstverteidigung Israels stand mehr im Mittelpunkt.
Ich bin nach dieser Anerkennung nach Ramallah gefahren. Und dort hingen die Flaggen dieser Länder – aber das ist nicht das, was ich will. Ich will nicht, dass die luxemburgische Flagge dort hängt, wenn die Anerkennung nur symbolisch ist.
Im Video spricht Außenminister Xavier Bettel (DP) über seine Position zur Anerkennung Palistinas. Video: Christophe Olinger
Worauf kommt es Ihnen an?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass es wichtig wäre, dass die Geiseln freikommen und ein Waffenstillstand erreicht wird – aber auch, dass sich die Lage vor Ort ändern muss. Anhand der Tatsache, dass arabische und muslimische Länder die Taten der Hamas verurteilt haben, sehen wir einen großen Fortschritt; das war vorher nicht der Fall.
Auch das Engagement von Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, der nach zwei Jahrzehnten erstmals wieder Neuwahlen organisieren will, ist ein Fortschritt. Wenn wir sagen, die Geiseln müssen erst freikommen und ein Waffenstillstand muss her, dann geben wir im Grunde der Hamas und Netanjahu das Recht, zu entscheiden, wann der richtige Moment für die Anerkennung ist.
Xavier Bettel empfing das „Luxemburger Wort“ am Donnerstag zum Gespräch in seinem Büro im Außenministerium. Foto: Christophe Olinger
Jetzt gibt es eine Bewegung mit einer Gruppe von Ländern, die die Anerkennung aussprechen wollen. Wir sehen derzeit, dass Israel das Völkerrecht nicht respektiert. Wir sehen, dass humanitäre Hilfe nicht ankommt. Wir sehen, dass NGOs nicht arbeiten können. Die humanitäre Lage ist katastrophal, die Hilfe kommt nicht an.
Palästina braucht jetzt eine Möglichkeit, als Staat zu existieren, als Autorität zu existieren. Die Anerkennung soll den Weg zu einer Zweistaatenlösung ebnen. Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jetzt der richtige Moment ist, Palästina als Staat anzuerkennen – auch nach Gesprächen mit anderen Kolleginnen und Kollegen. Und ich hoffe, dass der Premierminister diese Meinung teilt.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben im Regierungsrat beschlossen, dass der Premierminister und ich diese Entscheidung zum geeigneten Zeitpunkt treffen. Wir haben das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen bekommen. Für mich ist die Richtung klar – Luxemburg sollte die Anerkennung aussprechen. Meine Meinung kennen Sie. Der Premier muss die finale Entscheidung mit mir besprechen.
Ich weiß nicht, ob das am 15. September in der Chamber-Außenkommission geschieht oder in New York. Bis dahin kann noch viel passieren. Inzwischen hat Frau von der Leyen eine Kursänderung vorgenommen. In ihrer Rede vor dem EU-Parlament sagte sie, man müsse Sanktionen gegen zwei israelische Minister verhängen und auch das Assoziierungsabkommen mit Israel überprüfen.
Das fordern wir schon seit Monaten. Ich hoffe, dass Ursula das Deutsche schafft, die deutsche Regierung zu überzeugen, in diese Richtung zu gehen.
Der Premier muss die finale Entscheidung mit mir besprechen.
Xavier Bettel (DP)
Außenminister
Berlin steht ja in der Frage der Sanktionen auf der Bremse.
Der deutsche Außenminister Johann Wadephul hat uns erklärt, dass schon die Entscheidung, keine Waffen mehr nach Israel zu liefern, sehr schwierig für eine deutsche Regierung war. Mein Traum wäre, dass wir als Benelux noch stärker in der Palästina-Frage gemeinsam auftreten.
Doch wie Sie wissen, ist die niederländische Regierung auseinandergefallen. Der Außenminister ist zurückgetreten, weil er seine Position in der Palästina-Frage nicht durchsetzen konnte. Jetzt muss man sehen, was nach den Wahlen herauskommt. So oder so engagieren wir uns als Luxemburger humanitär in Palästina, unsere Hilfsmaßnahmen liegen in diesem Jahr bei 16 Millionen Euro.
Sie hatten die Geiseln angesprochen. In dieser Woche hat Israel einen Luftangriff auf die Führungsspitze der Hamas in Katar durchgeführt. Das wurde als Rückschritt bei den Verhandlungen um die Freilassung der letzten Geiseln gewertet. Wie sehen Sie das?
Wir rechnen mit etwa zwanzig Geiseln, die noch leben. Nicht viel mehr. Fakt ist: Man muss verstehen, dass die Hamas – eine perfide Terrororganisation – keinen Frieden und keine Zweistaatenlösung will. Die Hamas will Krieg. Die Hamas will Hass. Die Hamas will, dass es Israel nicht gibt.
Doch auch in Israel habe ich das Gefühl, dass dort kein Wille zum Frieden seitens der Regierung besteht, dass diese im Grunde von der extremen Rechten getrieben wird. Es geht aber nur über die Zweistaatenlösung. Frieden in Palästina bedeutet die größte Sicherheit für Israel.
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In Gaza herrscht derzeit noch die Hamas. Im Westjordanland, dem Kernland Palästinas, regiert die Autonomiebehörde von Mahmoud Abbas, die von vielen als extrem schwach angesehen wird. Kann sie auch für Gaza ein Gestaltungspartner sein?
Das Problem ist, dass die palästinensische Autonomiebehörde nicht viel Autorität hat. Aber Tatsache ist auch: Sie haben kaum Mittel. Sie müssen wissen, dass Israel die Steuergelder, die den Palästinensern zustehen, blockiert – weil Norwegen Palästina anerkannt hat. Früher sind diese Gelder über Norwegen geflossen, um dann zurück nach Palästina zu gehen.
Doch die Israelis haben entschieden, das zu stoppen. Und dadurch fehlen Millionen über Millionen. Wenn ich mit den Palästinensern spreche, sagen sie uns: „Wir bekommen bald kein Geld mehr, um unsere Polizei zu bezahlen, um unsere Armee zu bezahlen.“ Und dadurch wird die Autorität immer kleiner. Ich denke, man muss den Palästinensern einen Neuanfang ermöglichen – mit einer technischen Übergangsregierung, die eine gewisse Zeit im Amt ist, die auch Vertrauen genießt bei den Ländern, die wirklich wollen, dass Palästina aus dieser Situation herauskommt.
Das Vorgehen Israels im Gazastreifen sorgt weltweit für Kritik. Das Foto zeigt Soldaten der israelischen Armee, die entlang des Grenzzauns zum Gazastreifen im Süden Israels neben einem gepanzerten Fahrzeug stehen. Foto: AFP
Und die Leute, die sagen, dass Palästina nicht existieren darf, sind genauso schlimm wie die, die sagen, dass Israel nicht existieren darf. Palästina – eine Zweistaatenlösung – so muss es sein. Und das bringt den Frieden. Das ist die einzige Möglichkeit. Und solange wir die nicht haben, wird es nichts. Wir waren nah am Frieden. Ich möchte nur daran erinnern, dass Jitzchak Rabin ermordet wurde – von einem Rechtsextremen, weil dieser keinen Frieden wollte.
Was mich am meisten stört, ist, dass man heutzutage, wenn man Israel kritisiert, fast den Stempel bekommt, ein Antisemit zu sein. Das ist nicht der Fall! Auch die Vorstellung, dass alle Juden die Regierung von „Bibi“ unterstützen würden – das ist ebenfalls nicht der Fall. Die Israelis wollen in Frieden leben. Deshalb brauchen wir die Zweistaatenlösung – auch für Israel.
Was mich am meisten stört, ist, dass man heutzutage, wenn man Israel kritisiert, fast den Stempel bekommt, ein Antisemit zu sein.
Xavier Bettel (DP)
Außenminister
Man kann aber keine Zweistaatenlösung ohne Israel gestalten. Das Verhältnis der Staaten, die Palästina anerkannt haben, zu Israel hat sich stark verschlechtert. Besteht da nicht auch ein Risiko für Luxemburg, dass es künftig weniger Zugang zur israelischen Regierung hat?
Also, ich habe weiterhin Austausch mit Israel; ich habe mit dem palästinensischen und dem israelischen Außenminister regelmäßig Kontakt. Ich sage ihnen, was ich nicht gut finde. Ich finde es wichtig, mit beiden Seiten zu sprechen. Ich kann mir vorstellen, dass eine Anerkennung keine Verbesserung der Beziehungen zwischen Luxemburg und Israel mit sich bringt, weil Israel das immer persönlich nimmt.
Aber nichts zu tun geht nicht. Es sind über 60.000 Menschen in Gaza gestorben. Und es sind nicht nur Terroristen – es sind sehr viele Kinder, sehr viele Frauen, sehr viele Freiwillige, Menschen in humanitären Einsätzen.