Wellblech polarisiert: Von improvisierten Bauten bis zu hochdesignten Architekturen. Immer öfters werden in der Schweiz Wellblech-Fassaden gebaut. Wieso das?
Im Zollhaus in Zürich (bei der Langstrasse) stehen Wohnungen und Ladenflächen. – Nau.chDas Wichtigste in Kürze
Wellblech-Fassaden seien praktisch und günstig, sagt ein ETH-Architekt.
Eine Immobilien-Expertin findet: Wellblech wirkt «kühl und distanziert».
Wir wollen von unserer Leserschaft wissen: Gefallen dir Wellblech-Häuser?
Wenn Kinder in der Schule ihr Traumhaus zeichnen, darf die Lehrperson selten Wellblech-Fassaden bestaunen.
Zumindest im Moment noch nicht: Denn diese «Favela-Häuser» sind hierzulande auf dem Vormarsch! Auch hier wohnen Menschen drin.
Man sieht sie in der Stadt Zürich zum Beispiel seit 2021 beim Zollhaus. Auch das ehemalige Industrieareal Manegg in Zürich-Leimbach hat die graue Metallfassade verpasst bekommen.
In der Agglo sind es auch kleinere Wohnblöcke, die schon mit dem Favela-Stil ausgestattet sind.
Graue Fassade beim Zürcher Zollhaus: Das sieht man in der Schweiz immer öfter. – Nau.chDie einen jauchzen, die andern trauen ihren Augen kaum: Höchste Zeit, dem Wellblech auf den Grund zu gehen.
Das ehemalige Industrieareal Manegg in Zürich. – Screenshot GoogleWenig Material, schnell befestigt
ETH-Architekt Marcel Fässler erklärt: «Wellblech bringt eine hohe Steifigkeit bei geringem Materialeinsatz. Es erlaubt eine einfache und schnelle Befestigung – sowohl an Fassaden und Dächern wie auch im Innenausbau.»
In den Favelas in Rio de Janeiro sind Wellblech-Dächer der Standard. – keystoneEin Baumaterial für Menschen mit schlankem Budget? Fässler entgegnet: «Wellblech ist nicht zwingend günstig – hochwertige, beschichtete oder farbig ausgeführte Bleche können kostenintensiv sein.»
Wellblech in der Zürcher Agglo. – Nau.chUnd doch: Die Wirtschaftlichkeit ergebe sich aus dem geringen Eigengewicht, der grossformatigen Verarbeitung und der einfachen Montage, so der Planer der «einsarchitekten».
Marcel Fässler: «Wellblech erlaubt eine einfache und schnelle Befestigung.» – einsarchitekten.ch«Kühl und distanziert»
Aber ist eine Wellblech-Fassade schön? Nau.ch fragt bei der Hinwiler Immobilien-Expertin Susanne Dreier nach: «Für Gewerbebauten oder bewusst minimalistisch gestaltete Wohnhäuser kann Wellblech spannend wirken und eine Nachfrage finden.»
Persönlich empfinde sie Wellblech allerdings als «kühl und distanziert», so die Inhaberin von «Lebensraum Immobilien».
Diplomierte Immobilienbewerterin und «Home Stylist Professional»: Susanne Dreier. – lebensraum-immobilien.ch«Es ist eine funktionale Hülle, die für manche Menschen Anonymität und Unpersönlichkeit verkörpert. Vielleicht gibt es Menschen, die genau das suchen: Abstand und Anonymität.»
Doch was würde es für unser Zusammenleben bedeuten, wenn Architektur nur noch Distanz vermittle, fragt sich die «Home Stylistin».
Für Dreier sei die Nachfrage nach Wellblech-Fassaden daher eher speziell und für den breiten Wohnungsmarkt weniger geeignet.
Sieht man auch in der Schweiz immer mehr Wellblech-Bauten, wie hier in den Favelas in Rio? – keystoneDer Zürcher Architekt Marcel Fässler ist derweil begeistert: «Natürlich gefällt mir Wellblech. Vorausgesetzt, man nutzt es clever. Und genau darin liegt ja die Baukunst: einem einfachen Material Sinnhaftigkeit zu verleihen.»
Aber mal abgesehen von der optischen Wirkung: Verglüht man im Sommer nicht vor Hitze? Und wenn es regnet, braucht man drinnen eine Regenjacke?
«Wellblech kann laut sein. Aber Regen auf Blech kann sogar eine angenehme, fast poetische Atmosphäre schaffen», findet Fässler.
1Ja, hat Style!
2Nein, gar nicht.
Und ja, thermisch reagieren Blechdächer sehr schnell: Sie erhitzen rasch und kühlen ebenso rassig wieder ab. Stark reflektierende Oberflächen reduzieren die Aufheizung.
Wäre Marcel Fässler noch ein Kind, würde er in der Schule seinem Traumhaus vielleicht eine Wellblech-Fassade verpassen.
Zumindest sagt er zu Nau.ch: «Wellblech hat eine rohe, direkte Präsenz und eine eigene architektonische Sprache. In seiner Schlichtheit steckt eine Konsequenz, die man selten findet.»