Mediziner, denen im Ausland wegen schwerer Behandlungsfehler, Abrechnungsbetrug oder sogar Sexualstraftaten die Lizenz entzogen wurde, können häufig unbehelligt in deutschen Kliniken oder Praxen weiterarbeiten. Das geht aus einer umfangreichen internationalen Recherche hervor, an der unter anderem ZDF frontal, Der Spiegel, die Times und Verdens Gang beteiligt waren.
Ein besonders drastischer Fall: In Norwegen verlor ein deutscher Arzt 2021 seine Zulassung, nachdem mehreren Patienten – darunter Finn Åge Olsen – schwere gesundheitliche Schäden zugefügt worden waren. Olsen musste sich nach misslungenen Operationen am Bein einer Amputation unterziehen. Die norwegische Gesundheitsbehörde zahlte insgesamt 1,3 Millionen Euro an ihn und über 50 weitere Betroffene. Außerdem warnte sie die deutsche Botschaft eindringlich vor dem Arzt. Heute arbeitet der Mediziner in einer Praxis am Bodensee – ganz legal.
„Basierend auf unserem Wissen ist er weiterhin eine Gefahr für Patienten“, sagt Sjur Lehmann von der norwegischen Gesundheitsaufsicht im Interview mit ZDF frontal. Die deutschen Behörden lassen ihn dennoch gewähren.
Internationale Recherche legt Missstände offen
Im Rahmen des Rechercheprojekts „Bad Practice“ untersuchten rund 50 Redaktionen weltweit 2,5 Millionen Dokumente aus Justiz, Behörden und Datenbanken. Ergebnis: Über 30 Mediziner mit Lizenzentzug im Ausland praktizieren derzeit in Deutschland. Darunter Ärzte mit disziplinarischen Verurteilungen oder sogar strafrechtlichen Verurteilungen, etwa wegen sexuellen Übergriffs an Patientinnen.
Ein Beispiel aus Großbritannien: Der Arzt P. entließ 2017 eine schwer kranke Patientin aus der Notaufnahme – sie starb noch in derselben Nacht. Die Ermittlungen ergaben, dass sie an einer unerkannten Lungenentzündung litt und mit weiterer Behandlung überlebt hätte. Nach weiteren Zwischenfällen in Großbritannien und den Niederlanden wurde P. dort die Zulassung entzogen. Heute praktiziert er als niedergelassener Arzt in Süddeutschland. Die Vorwürfe weist er zurück, er lasse durch seinen Anwalt lediglich sein Mitgefühl mitteilen.
Behörden kannten Vorstrafen – reagierten aber nicht
Wie die ZDF-Recherche zeigt, waren deutsche Behörden in mehreren Fällen über die ausländischen Disziplinarmaßnahmen informiert – unter anderem durch das europäische Informationssystem IMI. So etwa im Fall des Arztes O. aus Norwegen und auch bei P. Die Approbationsbehörden, etwa das Regierungspräsidium Stuttgart, haben anscheinend keine Konsequenzen gezogen und äußern sich auch nicht dazu.
Ein weiteres Problem offenbart sich beim Austausch mit Nicht-EU-Staaten. Ein Arzt, der in der Schweiz wegen eines sexuellen Übergriffs auf eine Patientin verurteilt und mit Berufsverbot belegt wurde, konnte in Düsseldorf weiterarbeiten – ohne dass deutsche Behörden zunächst davon wussten. Die Schweiz ist nicht Teil des IMI-Systems. Erst durch die Medienrecherche wurde der Fall bekannt, nun läuft ein Prüfverfahren.
Kritik an fehlender Transparenz und Konsequenz
In Deutschland gibt es – anders als etwa in Großbritannien – keine öffentlich zugänglichen Register über Disziplinarmaßnahmen gegen Ärzte. Patienten können sich also kaum unabhängig informieren. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), zeigt sich im Interview mit ZDF frontal entsetzt: „Wer wegen Sexualstraftaten oder grober Behandlungsfehler seine Lizenz verliert, darf hier ganz besonders nicht praktizieren.“ Er fordert eine Reform der Meldeverfahren und eine Prüfung der Gesetzeslage.
Die zuständige Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) äußerte sich trotz mehrfacher Anfrage nicht zu dem Thema.
Für Finn Åge Olsen, der bis heute unter den Folgen der fehlerhaften Operation leidet, ist der Fall ein Skandal: „Es tut mir leid für die deutschen Patienten. Es ist beängstigend.“

