Brüssel. Die Europäer machen kurzen Prozess: Beim EU-Gipfel in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs beschlossen, EU-Gesetze radikal zu streichen. Sie drücken EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihrer Kommission nicht bloß den Rotstift, sondern gleich einen dicken Pinsel mit Farbeimer in die Hand. Überall soll vereinfacht, entrümpelt, gekürzt werden. Verwaltungsaufwand soll drastisch reduziert werden, Brüssel soll weniger regulieren, sich künftig zurückhalten.

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Ein Befreiungsschlag für Unternehmen soll es werden, ein Europa der Entlastung. Das klingt verlockend nach frischer Luft für die Wirtschaft und dem sehnsüchtig erhofften Aufschwung. Doch am Ende könnte Europas gemeinsamer Rechtsordnung ein Kahlschlag drohen. Denn wer zu eifrig zusammenstreicht, der riskiert, dass am Ende nicht nur überflüssige Bürokratie wegfällt.

Wie Brüssel den deutschen Wein retten will

Deutsche Winzer stehen unter Druck wie selten zuvor: Klimawandel, Überproduktion, Absatzrückgang und US-Zölle lassen die Branche taumeln. Aus Brüssel kommt ein Hilfspaket – doch kann es Weinberge und Betriebe retten?

Die Erzählung von erdrückender Bürokratie ist gefährlich verkürzt. Sie unterstellt, dass die europäische Wirtschaft nur deshalb stottert, weil Brüssel ihr zu viele Vorschriften macht. Dass man nur ein paar Paragrafen löschen muss und schon ist der Aufschwung zurück. Schön wär’s! Doch so einfach ist es nicht. Die Probleme der europäischen Wirtschaft sind vielfältig und der Bürokratie-Rotstift allein wird die Unternehmen nicht wieder international wettbewerbsfähig machen.

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Europäisches Recht sorgt dafür, dass ein Chemiekonzern in Deutschland dieselben Umweltstandards einhält wie einer in Rumänien. Dass ein deutsches Start-up seine Software in Spanien verkaufen kann, ohne sich durch ein Dickicht nationaler Sonderregeln zu kämpfen. Ohne diesen gemeinsamen Rahmen droht ein Flickenteppich und damit genau das, was Europa einst überwinden wollte.

Gar keine Frage: Es gibt übertriebene Regelungen und davon jede Menge. Viele Klimagesetze der letzten Jahre wurden im Eiltempo verabschiedet, manches ging über das Ziel hinaus. Eine Überprüfung ist richtig und notwendig. Aber wer jetzt mit der Kettensäge durch EU-Gesetze geht, riskiert, dass mehr zum Opfer fällt, als gewollt ist: Schutzmechanismen für Verbraucher, für Gesundheit, für die Umwelt. Zu groß könnten die Kollateralschäden sein.

Europa braucht Reformen, ja. Aber mit Augenmaß! Auf zu viel Regulierung darf nicht zu viel Deregulierung folgen. Denn sonst wird man sich bald fragen, warum die EU ihre Bürger nicht besser vor gefährlichen Chemikalien geschützt oder die Klimakrise entschlossener bekämpft hat.

Für Politiker mag das Schwingen der Axt im Paragrafenwald verlockend sein, signalisiert es doch Tempo, Kraft, Entschlossenheit. Das aber darf nicht das Ziel staatlichen Handels sein. Politik ist eben kein Schnellverfahren. Maßvolle und kluge Entscheidungen brauchen Zeit – gerade dann, wenn der Applaus für einfache Lösungen am lautesten ist.