DruckenTeilen
Ukraine-Krieg und Munition: Russlands anfänglicher Produktionsvorteil bei Artilleriegeschossen schwindet, da westliche Staaten aufholen.
Brüssel – „Bis vor Kurzem produzierte Russland mehr Munition als alle Nato-Verbündeten zusammen.“ Mit deutlichen Worten warnte Nato-Chef Mark Rutte vor der russischen Übermacht bei der Munitionsbeschaffung. Es ist keinesfalls die erste Warnung: Lange hatten verschiedene Nato-Chefs auf die westliche Schwäche bei der Munitionsproduktion hingewiesen. Jetzt steht angeblich die Kehrtwende bevor.
„Viel bessere Lage“ – Nato holt bei Munitions-Produktion zu Russland auf
Die Ausgangslage sprach dabei eher für Russland, was die Munitionsherstellung angeht. Jetzt sei das Verteidigungsbündnis dabei, den Rückstand gegenüber Russland zu schließen. Zwar wolle die Nato die genauen Schätzungen zur russischen Produktion nicht offenlegen, aber aktuell sei es so, dass die Verbündeten sich in einer „viel besseren Lage“ befinden als noch vor einigen Monaten. Das teilte ein Nato-Beamter gegenüber Business Insider (BI) mit. „Die Fähigkeit, benötigte Mengen schnell zu produzieren, verbessert sich weiterhin“, zitierte ihn das Blatt.

Mark Rutte im Oval Office (Symbolfoto). Der Ukraine-Krieg verschlingt Unmengen an Artillerie-Munition. Für Russland war das ein Vorteil. Jetzt holt der Westen allerdings auf. © IMAGO / ZUMA Press Wire
Sowohl Rutte als auch sein Vorgänger Jens Stoltenberg hatten wiederholt gewarnt, wie sehr Russland den Westen bei der Produktion von Munition abgehängt hätte. Ob die Nato aber bereits gleichgezogen hätte oder sich noch den russischen Zahlen annähert, ließ Rutte offen. Innerhalb der letzten zwei Jahre habe sich die Produktion von 155-Millimeter-Artilleriegeschossen versechsfacht.
Munition als Schlüssel-Problem im Ukraine-Krieg – deutsche Rüstungsunternehmen im Aufwind
Diese spezielle Munition steht im Mittelpunkt der westlichen Beschaffungsbemühungen, seitdem sich der Ukraine-Krieg in einen Abnutzungskrieg gewandelt hat. Das große Problem für die Nato dabei war, dass das Verteidigungsbündnis seit vielen Jahren seine Kriegsstrategien darauf ausgerichtet hat, Lufthoheit zu erlangen. Das ist dem Bündnis in verschiedenen Kriegen zweifellos gelungen – aber in der Ukraine sind die Vorzeichen andere. Keines der beiden Länder kann die Lufthoheit erlangen.
Darum herrscht in den Schützengräben zwischen Charkiw und Kherson ein Artilleriekrieg wie im 20. Jahrhundert. Sowohl Russland als auch der Westen kaufen den Markt leer, so gut sie können, und versuchen, die Produktion hochzufahren. Die westlichen Rüstungsunternehmen hatten davon enorm profitiert.
Ein Teil dieser Bemühungen sind neue Ventures des deutschen Rüstungsriesen Rheinmetall. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Konzern vor einem neuen Milliarden-Vertrag steht, bei dem es eben um Munitionsproduktion geht. „Wir sind im Augenblick in der finalen Verhandlung über einen großen Munitionsvertrag“, zitierte Reuters dazu den Rheinmetall-Chef Armin Papperger. Der Vertrag soll sich auf Kosten im zweistelligen Milliardenbereich belaufen.
Daneben baut der Konzern ein Munitionswerk für schwere Artillerie in Baisogala, Litauen. Dieses soll laut Papperger „für Europa und für die Nato von strategischer Bedeutung sein“.
Russland gegen Nato – so viel Munition wollen beide Seiten produzieren
Dabei stellt sich die Frage: Wie viel Munition müsste die Nato produzieren, um mit Russland gleichzuziehen? Innerhalb der vergangenen Jahre sahen die Zahlen ernüchternd aus. Im Jahr 2023 konnte Russland einen Feuervorteil von Geschosszahlen in Höhe von fünf zu eins gegenüber der Ukraine erzielen. Währenddessen hatte die Nato Schwierigkeiten damit, das von Kiew gesteckte Ziel über 356.000 Schuss pro Monat zu liefern.
Der Thinktank Atlas Institute geht davon aus, dass Russland in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 so viele Geschosse produziert hat wie die Nato in einem ganzen Jahr. Im Jahr 2025 soll Russland rund 4,2 Millionen Artilleriegeschosse der Typen 122 Millimeter und 152 Millimeter herstellen. Dieses Wachstum werde noch durch nordkoreanische Importe gestützt.
Die aktuellsten Ziele: Russland will 250.000 Geschosse pro Monat produzieren, während die Nato bis 2026 rund 267.000 Geschosse pro Monat anpeilt. Beide Seiten haben dabei jedoch größere Probleme. Der Nato fehlen wichtige Rohstoffe für die Produktion, darunter essenzielle Sprengstoffe. Hier verlässt sich Europa gänzlich auf einen Hersteller in Polen – andere Hersteller haben schon vor Jahren wegen mangelnder Nachfrage aufgegeben.
Russland wiederum hatte erst jüngst massive Schwierigkeiten in der Industrieproduktion berichtet. Über alle mit der Rüstungsindustrie verbandelten Branchen hinweg ging die Produktion zuletzt drastisch zurück, berichtete die Moscow Times.