Mit »Gullivers Reisen« zeigen Nils Strunk und Lukas Schrenk auf zauberhafte Weise, was Theater alles kann. Die Kinderseite der »Presse« durfte bei einer Probe im Burgtheater vorab dabei sein.
Sie kommen im strengen schwarzen Gewand mit weißen Rüschenkragen, wie sie zu Shakespeares Zeit in Mode gewesen sind: die sechs Musikerinnen und Musiker, die vor der Bühne Platz nehmen. Gleichzeitig tritt der beflissene Intendant des Richard-Simpson-Theaters in London vor den Vorhang: Die vier legendären Reisen seines Onkels, Lemuel Gulliver, bekomme das Publikum heute zu sehen. „Wer war Gulliver? Bitte was, bitte wer?“ – mit einem Rap, der gar nicht zu ihrem altmodischen Outfit passt, eröffnet die Band das Stück. Dann werden die Klänge sanfter, melodiöser. Im Stil eines 80er-Jahre-Popsongs erfahren die Zuschauer, wer Gulliver war: nämlich Schiffsarzt und Abenteurer.
Der Vorhang geht auf, und schon fällt ein Matrose vom Mast: Gulliver ist zur Stelle und verarztet den Verletzten. Der junge Schiffsarzt hat in London Medizin studiert, doch die Großstadt drohte ihn zu erdrücken. So lernte er in den Nächten alles über die Seefahrt, Nautik, Sterne und Navigation und stach schließlich in See – das authentische Seemannsflair dazu liefert das fantastische Bühnenbild von Maximilian Lindner. In einem Sturm sinkt der Dreimaster, Gulliver schafft es, sich zu retten, und wacht gefesselt auf: Auf seiner Brust steht ein Mini-Mensch mit Gipsmaske, der eine fremde Sprache spricht. Gulliver ist in Liliput gelandet, und was er hier und auf den weiteren Stationen seiner Reise erlebt, bringen Nils Strunk und Lukas Schrenk so mitreißend, gewitzt und intelligent auf die Bühne, dass sie dem Medium Theater eine Sternstunde bescheren.
Die Regisseure nutzen die gesamte Theater-Trickkiste: Da fällt etwa eine riesige Bananenschale von oben herab und macht klar, dass Gulliver im Land der Riesen gelandet ist. Dass er gegen die elfjährige Glumdalclitch, die mit zwölf Metern klein für ihr Alter ist, ein Zwerg ist, veranschaulichen regelmäßige Perspektivenwechsel. Fantasievolle Kostüme (ein türkiser Reifrock der Königin) und Requisiten, fetzige, schmachtende oder poppige Musik, die originelle Sprache der Romanvorlage (Laputa, Stultbrux, Hoynims), aber auch Slapstick-Szenen, vor allem mit Martin Schwab, der sich als köstlich verschrobener Buchautor Lemuel Gulliver immer wieder in die Stückgestaltung einmischt, zeigen, wie packend Theater sein kann – ganz analog. TikTok-Trends wie Six-Seven fließen ein, aber auch historische Anspielungen, etwa mit dem Shanty „We rise up to power, we conquer the sea!“. Großartig auch die Schauspieler: allen voran Gunther Eckes als charismatischer Gulliver, Stefko Hanushevsky, der nicht nur hinreißend spielt, sondern auch einige Trompeten-Soli hinlegt, oder Lola Klamroth als berührende Glumdalclitch.
Das neue Familienstück des Burgtheaters feiert am 16.11., 18 Uhr, Premiere und ist zB am 22.11., 1., 8., 9.12 zu sehen. burgtheater.at