Lagarde appellierte in ihrer Rede beim Europäischen Bankenkongress in Frankfurt eindringlich an die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger, endlich „Jahre der Inaktivität“ zu überwinden. Das „alte Wachstumsmodell“ sei überholt, da die Abhängigkeit von Exporten zu einer „Schwachstelle“ geworden sei.

Lagarde erinnerte an eine EZB-Studie vor zwei Jahren, in der noch eine Steigerung der Exporte von acht Prozent in der Euro-Zone bis Mitte 2025 prognostiziert worden war. „In Wirklichkeit sind sie überhaupt nicht gestiegen“, so Lagarde.

Indirekte Kritik an Deutschland

Ohne Deutschland, das sich seit vielen Jahren als Exportweltmeister rühmt und darin bis heute seine Stärke sieht, direkt beim Namen zu nennen, sagte Lagarde: „Länder mit großen Produktionssektoren“ seien mit einem langanhaltenden Einbruch der industriellen Produktion konfrontiert. Heuer war laut „Financial Times“ die Industrieproduktion in Deutschland, Europas größter Wirtschaft, über den Sommer rückläufig – ausgelöst vor allem durch die Krise in der Autobranche.

Für Stärkung des Binnenmarkts

Lagarde forderte, stattdessen den europäischen Binnenmarkt zu stärken: „Unsere Erfahrung heuer hat gezeigt, dass eine widerstandsfähige Binnenwirtschaft Europa vor globalen Turbulenzen schützen kann“, so die EZB-Chefin.

Konkret forderte sie, angesichts des angespannten Welthandels den Abbau von Hürden im europäischen Binnenmarkt voranzutreiben. Sie stellte sich damit hinter den Plan ihres Vorgängers Mario Draghi, der für die EU-Kommission einen Bericht zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erarbeitet hat, der bisher aber nicht umgesetzt wurde.

Mehr als Ausgleich der US-Zölle

Mit der „Vollendung“ des Binnenmarkts könne Europa locker die Belastungen durch die höheren US-Zölle ausgleichen: „Wenn wir nur ein Viertel davon umsetzen würden, würde das ausreichen, um den Binnenhandel so anzukurbeln, dass die Auswirkungen der US-Zölle auf das Wachstum vollständig ausgeglichen würden“, so Lagarde.

Lagarde: Nicht alles muss harmonisiert werden

Lagarde betonte, es sei nicht notwendig, alles in der Europäischen Union zu harmonisieren. Nach ihrer Überzeugung würde es oft zum Beispiel ausreichen, dass etwas, das in der EU einmal genehmigt ist, in allen Mitgliedsstaaten zugelassen ist. „In mehreren wichtigen Bereichen verhindert die weiterhin erforderliche Einstimmigkeit im Europäischen Rat nach wie vor sinnvolle Fortschritte bei der Vollendung des Binnenmarkts“, sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank.

„Die Schritte, die wir unternehmen müssen, sind nicht unerreichbar“, sagte Lagarde. „Sie erfordern keine neuen Verträge, keine radikale Umgestaltung unserer Union“, so Lagarde. Es brauche nur den politischen Willen, „die Instrumente zu nutzen, über die wir bereits verfügen“.