Neue Klimagebühr –
Abfallsäcke könnten in der Schweiz bald viel teurer werden
Die Kehrichtverbrennungsanlagen wollen klimaneutral werden. Dazu braucht es eine Infrastruktur zur Speicherung von CO₂ – und deren Finanzierung.

Gemäss der Rechnung der Abfallwirtschaft könnte der Preis für einen 35-Liter-Zürisack um 2 Franken auf 3.60 Franken steigen. Aktuell liegt der Preis bei 1.60 Franken.
Foto: Silas Zindel
Der Weg der Schweiz zur Klimaneutralität ist eine technische Herkulesaufgabe, besonders für die Abfallwirtschaft. Wo Alternativen fehlen, bleibt nur die Flucht nach vorn: Die Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) müssen das klimaschädliche CO₂ künftig direkt aus ihren Abgasen abfangen, verflüssigen und dauerhaft entsorgen. Beispielsweise tief unter dem Meeresboden der Nordsee. «Carbon Capture and Storage» (CCS) heisst das Verfahren, auf das die Branche ihre Hoffnung setzt, um eine Vereinbarung mit dem Bund aus dem Jahr 2022 zu erfüllen.
Doch die ökologische Verarbeitung des Güsels wird teuer, wie die NZZ berichtet. Ein Blick in den Kanton Glarus zeigt die Dimensionen: In Niederurnen steht die KVA Linth in den Startlöchern, um als erste Anlage der Schweiz im grossen Stil CO₂ abzuscheiden. In fünf Jahren könnten jährlich 100’000 Tonnen Treibhausgas aus den Abgasen gefiltert werden. Wirtschaftlich ist das Projekt ein Wagnis. Die Kosten pro Tonne abgeschiedenem CO₂ liegen aktuell bei rund 400 Franken, was allein für die Glarner Anlage eine jährliche Mehrbelastung von 40 Millionen Franken bedeuten würde.
Nationale Solidarität gefordert
Für Robin Quartier, Geschäftsführer des Verbands der KVA-Betreiber, ist klar: «Es ist ausgeschlossen, dass die Gemeinden im Einzugsgebiet der KVA Linth diese Kosten allein tragen.» Damit die Pionierarbeit nicht an den Finanzen scheitert, lanciert die Branche die Idee einer nationalen Klimagebühr. Über einen Aufschlag auf die Sackgebühr sollen die Kosten solidarisch auf alle Schweizer Haushalte und Gewerbebetriebe verteilt werden.
Der Einstieg wäre moderat: Mit 10 Franken pro Tonne Abfall – umgerechnet 5 Rappen pro 35-Liter-Sack – liesse sich das Glarner Pilotprojekt finanzieren. Doch langfristig drohen Preiserhöhungen. Da der Bund plant, die CO₂-Abscheidung ab 2030 massiv auszuweiten, müssten die Gebühren mitziehen. Quartier rechnet bis 2050 mit einem Aufschlag von 2 Franken pro Sack. Ein 35-Liter-Sack würde in Zürich dann statt 1.60 künftig 3.60 Franken kosten, in Basel nähert sich der Preis der 5-Franken-Marke.
Gesamtschweizerisch geht es um hohe Summen. Eine Studie des Bundes beziffert die Kosten für Aufbau und Betrieb der CCS-Infrastruktur auf 16 Milliarden Franken. Ein Drittel davon verschlingt ein geplantes Pipelinenetz im Inland. Letzteres ist entscheidend: Mit Pipelines könnten die Kosten pro Tonne CO₂ auf 180 Franken mehr als halbiert werden.
Gemischte Reaktionen im Bundeshaus
Im Bundeshaus sorgt der Vorstoss der Abfallwirtschaft für gemischte Reaktionen, wie die NZZ weiter schreibt. Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt unterstützt die nationale Finanzierungslösung und will sie rasch via Energiekommission aufgleisen. Auch die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter signalisiert Zustimmung.
Ganz anders tönt es von rechts. SVP-Nationalrat Mike Egger warnt vor versteckten Kostenfallen bei Klimavorlagen. Die Rechnung werde dem Bürger scheibchenweise präsentiert. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen zweifelt grundsätzlich an der Strategie, CO₂ mit Dieselschiffen Tausende Kilometer in den Norden zu transportieren. Er plädiert dafür, die Milliarden lieber in lokale Massnahmen gegen den Klimawandel wie den Hochwasserschutz zu investieren.
Bundesrat Albert Rösti (SVP) treibt die CCS-Pläne voran und sicherte der Schweiz im Juni per bilateralem Abkommen Zugang zu norwegischen Speichern. Sein Departement arbeitet derweil an einem Rahmengesetz für Pipelines und Speicher. Die Frage, wer am Ende die Milliardenrechnung bezahlt, hat der Energieminister bisher offengelassen.
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