Ende Oktober sitzt Anabel Ferre zu Hause auf dem Sofa, als draußen, wie sie erzählt, auf einmal ein Schuss fällt. Daraufhin geht sie hinaus, sieht mehrere Jäger und schließt darauf, dass in der Nähe gerade eine Treibjagd läuft. „Was mich rasend macht, ist, dass die ganze Straße nicht darüber informiert war, dass direkt daneben eine Treibjagd stattfindet“, so Ferre gegenüber dem LW.
Mitte Oktober begann die Saison, die noch bis Ende Januar läuft. Informationen zu Zeit und Ort der Treibjagden sind im Internet unter www.geoportail.lu zu finden. Ebenfalls im Internet finden sich derzeit Beiträge von Nutzerinnen und Nutzern, die negative Erfahrungen mit der Jagd, insbesondere Treibjagden beschreiben.
Irritation über nahe Treibjagd
So auch Anabel Ferre, die hinter ihrem Haus eine Jäger-Gruppe beobachten und hören kann. Dann kommt ein weiterer Jäger von der anderen Seite des Feldes aus hinzu und informiert die anderen über die Sichtung von 15 Tieren. Auf die Frage einer Jägerin, ob er „einen gekriegt“ habe, antwortet er laut Ferre, „nee, aber die sind in eine Ecke gedrängt. Die haben Angst, die kriegen wir schnell.“ Die Reaktion sei gewesen: „Ah geil, dann komm.“ In diesem Moment sei der Anwohnerin klar geworden, dass hier mit scharfer Munition geschossen werde. „Das fand ich nahe den Häusern nicht in Ordnung“, sagt die sie.
Auch den Umgang mit den Tieren und ihrer Angst kritisiert sie. „Die haben sich lustig gemacht und Spaß gehabt“, betont Ferre. „Ich weiß, dass die Jäger Tiere schießen sollen, weil die hohe Dichte sonst dem Wald schadet, das kann ich nachvollziehen. Aber nicht, dass sie sich dabei so einen Spaß machen.“
Eine Anwohnerin kritisierte eine Treibjagd in der Nähe ihrer Siedlung gleich aus mehreren Gründen. Foto: Gerry Huberty
Jägerverband äußert sich
Richard Frank, Sekretär der Fédération Saint-Hubert des Chasseurs du Grand-Duché de Luxembourg (FSHCL), geht auf LW-Anfrage ausführlich auf die Schilderung ein – auch wenn er, wie er anmerkt, „nicht dabei gewesen“ sei und daher die genaue Situation nicht kenne. Zur Anmeldung der Treibjagden erklärt Frank: „Ein Jagdpächter muss alle Treibjagden mit mehr als elf Leuten, die er plant, anmelden. Er kann während der Zeit, in der es erlaubt ist, so viele Treibjagden machen, wie er will, aber er muss sie anmelden.“
Es ist ganz klar, dass im Dorf oder der Stadt selber nicht gejagt wird. Das heißt, es wird nicht Richtung Häuser geschossen.
Richard Frank
Sekretär des Jägerverbands Luxemburg
Dazu muss der Jagdpächter ein Formular mit allen relevanten Informationen von der Jagdzeit bis zum gejagten Revierteil ausfüllen und an das zuständige Arrondissement der Naturverwaltung (ANF) senden. „Außerdem bekommen die jeweiligen Gemeinden gleichzeitig einen Avis de publication für ihren Reider. Wie die Gemeinde damit umgeht, ist ihre Sache.“ So könne eine Gemeinde online oder am Aushängekasten darüber informieren.
Bezüglich der Nähe zur Siedlung sagt der FSHCL-Sekretär: „Es ist ganz klar, dass im Dorf oder der Stadt selber nicht gejagt wird. Das heißt, es wird nicht Richtung Häuser geschossen. Wenn ich aber mit dem Rücken zu den Häusern stehe und Richtung Wald schieße, dann begehe ich keinen Verstoß – das darf ich.“
Richard Frank, Sekretär des Jägerverbandes FSHCL, betont: „Es ist ganz klar, dass im Dorf oder der Stadt selber nicht gejagt wird.“ Foto: Gerry Huberty
Auf die Freudenäußerung der Jäger angesprochen, unterstreicht Frank: „Jäger sollen respektvoll gegenüber Mensch und Tier sein.“ Dass sie sich über eine entsprechende Sichtung von Tieren freuen, sei vielleicht mit Blick auf die vorgeschriebenen Abschussquoten verständlich. „Sie müssen eine Quote erfüllen. Und wenn sie dann teilweise kaum Wild sichten, ist es nachvollziehbar, dass sie sich in einem solchen Moment freuen.“
Konflikt bei der Ansitzjagd
Eine Frau*, die um Anonymität bittet, berichtet, sie sei Mitte November nachmittags mit ihren Hunden durch den Wald gegangen, als ein Jäger sie von einem Hochsitz herunter angesprochen habe. „Er sagte zu mir: ,Ich habe fast Ihren schwarzen Hund erschossen‘“, so die Frau gegenüber dem LW. Dabei habe er mit seinem Gewehr auf sie gezeigt und sei „sehr verärgert“ gewesen.
Bald darauf sei der Jäger vom Hochsitz gestiegen. „Er zeigte da nicht mehr mit dem Gewehr auf mich, ging aber hinter mir“, schildert die noch immer schockierte Spaziergängerin. Sie ist negativ überrascht, dass, „wenn ein einzelner Jäger beschließt, jagen zu gehen, er das einfach so machen kann“, ohne dass deshalb Warnschilder aufgestellt werden müssen. Für solche Jagden müsse es festgelegte Uhrzeiten geben, findet sie, etwa abends oder nachts.
Von einem Hochsitz wie auf diesem Symbolbild soll ein Jäger eine Spaziergängerin angegangen und sein Gewehr in ihre Richtung gehalten haben. Foto: Gerry Huberty
„Halten zu respektvollem Umgang an“
Richard Frank fällt es schwer sich vorzustellen, dass der Jäger das Gewehr direkt auf die Frau gerichtet haben soll, er könne sich aber angesichts der bedingten Informationen schlecht dazu äußern. Sollte der Jäger tatsächlich das Gewehr auf die Frau gerichtet haben, „geht das natürlich nicht, da müssen wir nicht diskutieren“. Die Waffe müsse ein Jäger stets in eine ungefährliche Richtung halten.
Die FSHCL führe jährlich mindestens sechs Sicherheitstrainings durch, und bei der Prüfung zur Jagdbefähigung werde ebenfalls die Sicherheit geprüft. „Wenn da jemand bei der Prüfung eine geladene Waffe falsch hält oder sich nach dem Schießen mit geladener Waffe vom Schießstand in Richtung Menschen abwendet, dann ist die Prüfung vorbei.“ Überhaupt gelten scharfe Vorgaben für die Handhabung der Schusswaffe.
Was das beschriebene Verhalten des Jägers angeht, betont Frank: „Wir halten unsere Jäger dazu an, Menschen mit Respekt zu begegnen. Er hätte vernünftig mit ihr reden müssen, beide Seiten müssen aufeinander zugehen.“ Dass sich der Jäger gestört gefühlt habe, könne er grundlegend nachvollziehen. „Wenn ich jagen gehe, werde ich häufiger gestört, als dass ich nicht gestört werde.“ Dass immer mehr Menschen im Wald unterwegs seien, sorge dafür, dass sich das Wild immer weiter zurückziehe.
Die FSHCL wünscht sich Möglichkeiten zur Selbstregulierung, erklärt Frank im Gespräch mit dem LW. Foto: Gerry Huberty
Dass der Jäger gesagt habe, er hätte fast den Hund erschossen, kann sich Frank nur damit erklären, dass er der Frau habe Angst machen wollen. „Ein Jäger kann einen Hund von Wild unterscheiden. Aber das ist natürlich nicht die richtige Art, mit Leuten umzugehen.“
Jägerverband will selbst regulieren können
Wenn sich ein „schwarzes Schaf“ so verhalte wie beschrieben, wünscht sich der Jägerverband Möglichkeiten zur Selbstregulierung. „Wir bräuchten eine Handhabe, damit wir in einem solchen Fall, wenn wir informiert werden, um welchen Jäger es sich handelt, ihn zum Gespräch zur Seite nehmen und ihm im Extremfall den Jagdschein entziehen können“, so Frank. Eine solche Berechtigung habe der Luxemburger Jägerverband allerdings nicht: Sie liegt derzeit ausschließlich bei der ANF und den zuständigen Gerichten.
Die Irritation darüber, dass nicht jede Jagd ausgeschildert ist, teilt Frank nicht – es sei nicht möglich, jedes Mal an allen Waldwegen Warnungen anzubringen, wenn man auf einen Hochsitz steige. Was hingegen eine nächtliche Jagd angeht, sagt er: „Das können wir nur unterschreiben! Wir fordern das seit sieben oder acht Jahren. Das Problem ist, dass hierfür eine Gesetzesänderung notwendig wäre.“
Vor Treibjagden stellen Jäger entsprechende Warnschilder auf – aber nicht für jede Ansitzjagd auf dem Hochsitz. Das sei gar nicht möglich, gibt Frank zu bedenken. Foto: Gerry Huberty
Gesetzlich darf ab einer Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach deren Untergang gejagt werden. Frank ärgert, „dass wir als Vollkasko für die Schäden aufkommen müssen, die Wild nachts auf den Feldern unseres Jagdloses verursacht, ohne dass wir es daran hindern können. Auch wenn wir unsere Abschussquote erfüllt haben, müssen wir für diese Schäden aufkommen.“
Sicherheit bei der Jagd
Im Laufe des Gesprächs geht Frank auch näher auf die Sicherheitsbedingungen bei der Treibjagd ein. „Wenn jemand sich nahe dem Wild befindet, schießen wir nicht“, unterstreicht er. So sind erlaubter Schusswinkel und Gefahrenzone klar definiert. Zudem dürfe ein Jäger in Luxemburg nicht mit einem geladenen Gewehr herumlaufen, so Frank weiter.
Wer sich an die strengen Transportbedingungen von Gewehren nicht hält, dessen Permis ist schnell weg, genauso, wenn man das Gewehr mit mehr als 0,5 Promille führt.
Richard Frank
Sekretär des Jägerverbands Luxemburg
Allgemein gelten für die Schusswaffen strenge Transportbedingungen. „Wer sich daran nicht hält, dessen Permis ist schnell weg, genauso, wenn man das Gewehr mit mehr als 0,5 Promille führt.“ Er betont die Verantwortung jedes Jägers für seinen eigenen Schuss und das Begraben der Kugel im Boden.
Richard Frank bittet darum, die Warnschilder zur Treibjagd zu respektieren – zur Sicherheit aller Beteiligten. Foto: Gerry Huberty
Zur Sicherheit aller Beteiligten plädiert Frank dafür, dass Personen sich an Warnschilder zur Treibjagd halten. „Ja, man darf das Gebiet trotzdem betreten – in Belgien ist das übrigens verboten – aber die Absperrbänder sind aus gutem Grund da“, unterstreicht er. Er fragt sich, ob man „unbedingt da lang muss, wenn man eine Absperrung sieht. Pro Gebiet finden im Schnitt vielleicht ein bis zwei Treibjagden pro Jahr statt“. Zudem ist es verboten, eine Treibjagd wissentlich zu behindern. „Und wenn man sich bewusst in das Gebiet einer Treibjagd begibt, tut man ja genau das.“
Mehr Kommunikation nötig
„Vielen Leuten fehlt vielleicht das Verständnis für die Jagd“, resümiert Richard Frank. „Vielleicht müssen wir als Jäger da auch mehr kommunizieren.“ So sprächen teilweise Leute davon, dass Wild durch Treibjagden vermehrt auf die Straße laufe. Es gäbe aber noch eine andere Ursache, so der Jäger: „Die Treibjagden fallen in die Zeit, in der es wegen der Winterzeit früher dunkel wird und die Leute genau zu der Zeit unterwegs sind, in der vermehrt Wild unterwegs ist.“
Angesichts negativer Erfahrungen von Jägern wie Beschimpfungen und zerkratzten Autos spricht Frank von verhärteten Fronten. „Wir gehen auf bestimmte Äußerungen gegen uns gar nicht mehr ein.“ Es tue ihm allerdings weh, wenn Jägern etwa nach einer gemeinsamen Aktion zur Rettung von Rehkitzen mit den Landwirten unterstellt werde, „dass wir sie nur retten, um nachher ein paar lebende Zielscheiben mehr zu haben“. Das sei sicher nicht der Grund, frühmorgens ein Rehkitz vom Feld zu holen „und es zwei Stunden später, wenn die Mähmaschinen weg sind, wieder dort auszusetzen, damit die Mutter es wiederfindet“.
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Es müssten beide Seiten aufeinander zugehen, meint der FSHCL-Sekretär am Ende des Gesprächs nachdenklich. Allerdings, das müsse er auch sagen, sei die Einstellung vieler Menschen gegenüber der Jagd bereits positiver geworden.
Die Polizei verweist auf eine LW-Anfrage zu den beschriebenen Vorfällen hin auf die ANF. Deren Antworten liegen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch nicht vor.
*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.