Spätestens seit dem großflächigen Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine im März 2022 ist es eine der umstrittensten Entscheidungen ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft (2005–2021): Auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest stemmte sich die damalige Kanzlerin Angela Merkel (70) vehement gegen eine Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO.
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▶︎ Der damalige US-Präsident George W. Bush (78) wollte die beiden Staaten kurz vor dem Ende seiner Amtszeit (2001–2009) über den sog. „Membership Action Plan“ („MAP“, eine Vorstufe zur Aufnahme in die Nato, d. R.) enger an das Militärbündnis binden; mit dem Ziel einer baldigen Aufnahme beider Staaten in das Bündnis. Merkel verhinderte das Seite an Seite mit dem damaligen französischen Präsidenten, Nicolas Sarkozy (69).
In einem Vorabdruck ihrer Ende November erscheinenden Memoiren „Freiheit“ in der „Zeit“ nimmt die Ex-Kanzlerin nun ausführlich zu ihrer Ukraine-Politik Stellung – und räumt keine Fehler ein.
2008 in Bukarest: der damalige US-Präsident George W. Bush und Bundeskanzlerin Angela Merkel gerieten in der Ukraine-Frage heftig aneinander
Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS
Lesen Sie auchMerkel war um Sicherheit der Nato besorgt
Die Aufnahme der Ukraine in den „Membership Action Plan“ „hätte eine endgültige Entscheidung des Bündnisses über die Mitgliedschaft zwar noch nicht vorweggenommen, wäre politisch gleichwohl eine kaum mehr umkehrbare Zusage für eine Mitgliedschaft beider Länder in der Nato gewesen“, führt Merkel darin ihren Standpunkt aus.
Warum sie das eben nicht wollte? Aus Sorge um die Sicherheit der NATO selbst. Merkel erklärt: „Die Aufnahme eines neuen Mitglieds sollte nicht nur ihm ein Mehr an Sicherheit bringen, sondern auch der NATO. Deshalb gibt es Kriterien für die Aufnahme eines Landes, die neben seinen militärischen Fähigkeiten auch die innerstaatliche Struktur des Beitrittskandidaten berücksichtigen.“
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Nach ihrer Logik sollte ihr Vorgehen auch Russlands Präsidenten Wladimir Putin (72) nicht weiter provozieren: „Über den MAP-Status für die Ukraine und Georgien zu beraten, ohne auch Putins Sicht der Dinge zu analysieren, hielt ich für grob fahrlässig“, zitiert die „Zeit“ aus ihren Memoiren. Aufgegangen ist das freilich nicht: Putin zeigte sich in den Jahren darauf immer enthemmter, schon 2014 annektierte Russland völkerrechtswidrig die Krim.
Weiter führt sie aus, dass die Zusage einer Nato-Mitgliedschaft an die Ukraine auch zu einer „Verquickung mit russischen Militärstrukturen“ geführt hätte. Grund: Schon zu dem Zeitpunkt war die Schwarzmeerflotte der russischen Marine auf der ukrainischen Krim stationiert.
Ihre letzte Begegnung nach 16 Jahren Kanzlerschaft. Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch im Moskauer Kreml mit Russlands Staatschef Wladimir Putin
Foto: ALEXANDER ZEMLIANICHENKO/AFP
Merkel: Kompromiss war „notwendig“
Ihre Position hält Merkel auch heute für richtig. Der damals gefundene Kompromiss, der Ukraine und Georgien den MAP-Status zu verwehren, gleichzeitig eine generelle Zusage für ihre Mitgliedschaft in Aussicht stellen, „war notwendig, wenn er auch, wie jeder Kompromiss, seinen Preis hatte.“ Merkels räumt allerdings ein, dass Putin dies das Ja zur Nato-Mitgliedschaft beider Länder als „eine Kampfansage“ verstanden habe.
Trotzdem, so die Ex-Kanzlerin, wäre eine engere Bindung, wie sie die USA wollten, falsch gewesen. Merkel: „Die Annahme, dass Putin die Zeit zwischen dem MAP-Beschluss und dem Beginn einer Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens einfach so verstreichen lassen würde, hielt ich für Wunschdenken, Politik nach dem Prinzip Hoffnung.“
Angela Merkels Memoiren „Freiheit“ erscheinen am 26. November
Foto: Kiepenheuer & Witsch