Solidarität mit Israel ist für deutsche Politiker riskant geworden – angesichts einer grassierenden Israel-Aversion. Das zeigt sich nun in NRW. Das Land wird erstmals die Feiern zum israelischen Unabhängigkeitstag ausrichten. Auf den Applaus seiner Bürger darf es dabei nicht schielen – vor allem bei einer Bevölkerungsgruppe.

Was ist schon so besonders daran? Ein befreundetes Land wird eingeladen, sich den Bürgern vorzustellen: mit Info-Ständen, einer Bühne für Tanzeinlagen, mit Open-Air-Küchen, die landestypische Gerichte anbieten. Und mit vielen kleinen bunten Fähnchen, die das Ganze schmücken. Daran ist alles besonders – wenn es sich bei dem Land um Israel handelt (und nicht etwa um Österreich oder Tunesien). Dann werden öffentlich zugängliche Stände und Bühnen zu Hochrisikozonen. Die vielen blau-weißen Fähnchen mit Davidstern verwandeln sich in den Augen mancher Bürger zu Provokationen. Und Passanten werden für die Polizei zu einem Sicherheitsproblem erster Güte.

Der vermeintlich unbeschwerte Schein

Trotzdem hat das Land NRW den Staat Israel eingeladen, sich in Düsseldorf vorzustellen. Mit Erfolg regte es sogar an, den israelischen Nationalfeiertag, den Unabhängigkeitstag am 14. Mai, in NRW zu begehen. Das bestätigten Staatskanzlei und israelische Botschaft WELT. Bislang wurde dieser Tag bundesweit nur in Berlin gefeiert. Israels Botschaft nahm das Angebot aus NRW jedoch dankend an, weil sie ohnehin plant, außerhalb der Hauptstadt mehr Präsenz zu zeigen. „Künftig“, erklärte ein Sprecher, „wollen wir in den einzelnen Ländern aktiver sein. NRW macht den Anfang.“

Das klingt so unbeschwert wie das Programm: Ein Star-Koch und bekannte Musiker aus Israel sollen eingeflogen werden. Auch soll es „viel Platz für zwischenmenschliche Begegnungen“ geben. Aber der Eindruck täuscht. Einzelheiten über Ort und Zeit der Feier werden nicht genannt. Aus Sicherheitsgründen. Bekannt ist nur so viel: Gefeiert wird im und am Landtag, weil der gut zu bewachen ist. Die Botschaft beteuert aber, man könne „einen sicheren und trotzdem fröhlichen Ablauf garantieren“.

Jüdisches Leben in der Öffentlichkeit? Kaum mehr möglich!

Für die Sicherheitskräfte dürfte all das eine Herausforderung sein. Denn seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers, ist in NRW „unbeschwertes jüdisches Leben fast nur noch in geschützten Räumen möglich“, beobachtet Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe.

Insbesondere unter Jugendlichen, nicht selten muslimischen Glaubens, konstatieren auch Lehrerverbände offen aggressiv-antisemitische Tendenzen, wie der Präsident des NRW-Lehrerverbandes, Andreas Bartsch, dieser Zeitung bestätigt. Und der Kriminalpolizeiliche Meldedienst warnte Ende 2024, die Zahl antisemitischer Straftaten habe „einen Höchststand erreicht“. Weswegen das Land die bereits jetzt millionenschweren Zuschüsse für Sicherheitspersonal rund um jüdische Einrichtungen für 2025 noch einmal um weitere Millionen erhöht hat.

Kämpferische Israelfreundschaft

Zum Ausgleich dürfen Ministerpräsident Hendrik Wüst und Nathanael Liminksi, der NRW-Minister für internationale Angelegenheiten, die Zusage der israelischen Botschaft als Anerkennung werten. Denn NRW ist in Sachen Solidarität mit Israel eine Art Musterknabe unter den Bundesländern. Das beschränkt sich nicht auf Rhetorik, wenn etwa Liminski betont, „als wehrhafte Demokratien“ teilten Israel und Deutschland „Werte und Interessen. Neben unserer historischen Verantwortung ist das der Kern unserer besonderen Verbundenheit mit Israel“.

Dieses Bekenntnis wird auch praktisch durch ein bundesweit einzigartiges Geflecht an Kooperationen mit Israel bekräftigt. Natürlich mit Städtepartnerschaften und Schüleraustausch, vor allem aber mit einem eigenen Verbindungsbüro in Israel, das dieser Tage fünften Geburtstag feiert. Es soll die Beziehung zwischen NRW und Israel weiter vertiefen. Unter den Bundesländern verfügt sonst nur Bayern über solch ein Büro.

Wenn Schulen den Konflikt mit Israel hassenden Schülern scheuen

Nach dem siebten Oktober 2023 erwachte zudem eine geradezu kämpferische Israelfreundlichkeit in der schwarz-grünen NRW-Regierung. Das Schulministerium überschüttete die Schulen mit Kursen und Fortbildungen zu den Themen Antisemitismus und Israelfeindschaft. Und die damalige NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger suchte in erstaunlicher Direktheit den Konflikt mit der Lehrerschaft. Etliche Lehrkräfte hatten sich im Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas neutral gegeben, weil sie sonst in ihren Klassen einen schweren Stand gehabt hätten. Dagegen setzte die Beauftragte die Lehrkräfte unter Druck, gerade nicht neutral zu bleiben. Vielmehr sei es ihre Pflicht, aktiv „antisemitische Hetze zu widerlegen und klarzustellen, warum es unter Umständen strafbar ist, Israel das Existenzrecht abzusprechen“.

Außerdem vermittelte das NRW-Verbindungsbüro nach dem siebten Oktober Solidaritätspartnerschaften vorwiegend für NRW-Kommunen. Sie sollten Israelis helfen, die von Massakern, Überfällen und Bombardements der Hamas oder der Hisbollah betroffen waren. Gut 20 dieser Hilfsaktionen wurden unter dem Titel „Shalom Chaveruth“ (Hebräisch „Frieden und Freundschaft“) umgesetzt. „Wo Terroristen jüdisches Leben auslöschen wollten, wird Nordrhein-Westfalen helfen, es wieder zum Blühen zu bringen“, benennt Liminski das Ziel dieser Initiativen.

Die Solidaritätswelle wirkt kraftlos

Allerdings ist auch ihm ein Schönheitsfehler nicht entgangen: Von 427 NRW-Kommunen haben sich seit 2023 nur gut 20 beteiligt. Wohl aus diesem Grund mahnt er, „Freundschaft“ müsse „konkret sein“, weshalb er mehr Städte und Gemeinden dafür gewinnen wolle. Die maue Beteiligung verweist auf ein grundsätzliches Problem: Mit ihrer solidarischen Beschwingtheit rennt die Landesregierung nicht überall offene Türen ein.

Dabei sind die initiierten Projekte durch und durch humanitär geprägt. So wurden Verwandte, Freunde oder Jugendsportteams zu Erholungsurlauben eingeladen, deren Angehörige, Freunde oder Teammitglieder beim Massaker des siebten Oktobers starben. Spezialisten für Traumata und deren Therapie halfen sich wechselseitig mit neuestem Know-how (wobei die Israelis ebenso großen Bedarf wie Expertise in dem Bereich besitzen). Und jüngst begann das Klinikum Duisburg seine Unterstützung eines Krankenhauses in Tel Aviv: Es baut eine Einheit auf, die sich auf die Behandlung schwerster Verbrennungen konzentriert (hier hat der Krieg den Bedarf gleichfalls massiv erhöht).

Warum gibt es nichts Vergleichbares für palästinensische Opfer?

In einzelnen Kommunalparlamenten wurde jedoch gefragt, warum es dergleichen nicht für palästinensische Kriegsopfer gebe. Hier dränge sich der Eindruck von Ungleichbehandlung auf. Das trifft zu. Für diese Ungleichbehandlung gibt es jedoch Gründe. Weil die Bundesrepublik die palästinensische Autonomiebehörde nicht als Staat anerkennt, werden die meisten Bewohner der palästinensischen Autonomiegebiete hierzulande als staatenlos eingestuft. Damit aber sind sie faktisch kaum abschiebbar.

Deshalb verfolgte schon die Bundesregierung unter Olaf Scholz die Linie, die Zuwanderung von Staatenlosen niedrig zu halten. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versucht, Palästinensern möglichst keinen Schutzstatus zuzuerkennen. Und das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser (SPD) warnte vor „Sicherheitsrisiken“ und „unklaren Rückkehrperspektiven“, falls man behandlungsbedürftige Palästinenser ins Land hole. Unter diesen Umständen kann ein Bundesland sich nicht genauso um palästinensische wie um israelische Kriegsopfer kümmern.

Die Bevölkerungsmehrheit steht nicht hinter Israel

Diese Ungleichbehandlung ereignet sich indes in einer Zeit, in der das Ansehen Israels stark gelitten hat. In Umfragen erklären knapp 60 bis 70 Prozent, Israel müsse wegen seiner Reaktion auf die Hamas- und Hisbollah-Angriffe härter kritisiert werden. Der von Angela Merkel ausgerufenen Maxime, Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, stimmen nur noch 37 Prozent der Befragten zu. Eine Umfrage der NRW-Antisemitismusbeauftragten kam Ende 2024 zu dem Ergebnis, „insbesondere bei Jugendlichen sei ein israelfeindliches Weltbild ausgeprägt“.

Antisemitismusforscher der TU Berlin warnten, Lehrkräfte hätten große Schwierigkeiten, diese Israelfeindschaft auch nur abzuschwächen. Speziell in der wachsenden Bevölkerungsgruppe der Muslime ist nach Umfragen etwa die Hälfte von israelfeindlich-antisemitischen Einstellungen geprägt. Und betont israelkritische Parteien wie die Linke oder BSW haben unter Muslimen bei Wahlen zuletzt überproportional gut abgeschnitten. Kurz: Ein Gewinner-Thema ist Solidarität mit dem Staat des jüdischen Volkes weniger denn je.

Kann Politik auf die Stimmen der Israelkritiker verzichten?

Hier zeigt sich, wie ernst es Wüst und Liminski mit ihren Freundschaftsbekundungen für Israel ist. Denn selbstverständlich wissen sie um diese Stimmung. „Als wir in diesem Konflikt für Israel Partei ergriffen haben, war uns bewusst, dass sich die Bilder bald ändern würden und die Menschen in Deutschland eines Tages nicht mehr von der Hamas zerstörte Kibbuzim sehen würden, sondern israelische Raketen, die im Gazastreifen einschlagen“, bestätigt Liminski. Dann fährt er fort: „Unser Mitgefühl muss allen Opfern gelten. Aber wer das Ziel einer sicheren Existenz Israels nicht unterstützt, dem laufe ich nicht hinterher.“ Zur Not müsse „die Politik auf deren Stimmen eben verzichten“. Ob dieser Standpunkt Zukunft hat?