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Nach einer Corona-Infektion leiden laut Studien rund zehn Prozent der Betroffenen an Long Covid oder Post Covid. Die Zahl der Erkrankten ist enorm, die Forschung hinkt aber hinterher.

Nach einer Corona-Infektion leiden laut Studien rund zehn Prozent der Betroffenen an Long Covid oder Post Covid. Die Zahl der Erkrankten ist enorm, die Forschung hinkt aber hinterher. © 5-Jahre-Corona-Long-Covid

Die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen. Millionen kämpfen mit Long Covid. Die Versorgung bleibt prekär und die Forschung hinkt hinterher.

München – Heiko (55), Justizbeamter: Arbeitsunfähig seit April 2021. Luisa (28), Studentin: Arbeitsunfähig seit August 2024. Yannick (37), IT-Fachmann: Arbeitsunfähig seit Februar 2023. Thea (39), Psychologin: Arbeitsunfähig seit März 2023.

Seit Corona dringender Handlungsbedarf: Geschätzt 2,58 Millionen Deutsche leiden an Long Covid

Die Patientenorganisation NichtGenesen setzt sich dafür ein, den vielen Menschen, die noch immer unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden, Gehör zu verschaffen. Schätzungen zufolge sind in Deutschland mindestens 2,58 Millionen Menschen von Long oder Post Covid betroffen.

Die Versorgungssituation in Deutschland bleibt für diese Menschen auch fünf Jahre nach der Pandemie prekär. Es fehlt an allen Ecken und Enden, wie NichtGenesen-Sprecherin Mareike Mitschele IPPEN.MEDIA erklärt. Handlungsbedarf besteht in den Bereichen Forschung, Versorgung und Anerkennung.

Was ist NichtGenesen?

Der Zusammenschluss aus Erkrankten von Post Covid, ME/CFS, Post Vac sowie deren Angehörigen setzt sich für Forschung, Anerkennung und Versorgung der Betroffenen ein. NichtGenesen wurde im April 2022 gegründet, um den erkrankten Menschen ein Gesicht zu geben. Denn durch ihre Corona-Folgeerkrankung verschwinden sie aus dem öffentlichen Leben und werden unsichtbar, schreibt die Patientenvertretung.

Symptome von Long Covid, Post Covid und ME/CFS sind enorm schwer

Ein zentrales Symptom von Long Covid, Post Covid und ME/CFS ist die Post-Exertionelle Malaise (PEM). Diese Belastungsintoleranz führt nach selbst geringfügiger körperlicher oder geistiger Anstrengung zu einem drastischen Leistungsabfall. Symptome wie Schmerzen, Erschöpfung, Atemnot oder Herz-Kreislaufprobleme verschlimmern sich erheblich, was Betroffene als „Crash“ bezeichnen.

Was ist ME/CFS?

Die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Betroffene leiden neben einer schweren Fatigue (körperliche Schwäche), die das Aktivitätsniveau erheblich einschränkt, unter neurokognitiven, autonomen und immunologischen Symptomen. ME/CFS beginnt häufig nach einer Infektionskrankheit. Bekannte Pathogene sind z.B.: Das Epstein-Barr-Virus, die Influenza oder eben das Coronavirus COVID-19.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für ME/CFS

Mitschele beschreibt das Leben mit ME/CFS als einen „andauernden Marathonlauf“. Selbst einfache Tätigkeiten wie Zähneputzen werden für Betroffene so anstrengend wie extreme körperliche Anstrengungen für Gesunde. Die Symptome variieren stark, von leichten Beeinträchtigungen bis hin zur vollständigen Pflegebedürftigkeit. „Ganz schwer Betroffene sind bettlägrig, können nicht alleine essen oder schlucken, brauchen eine Bettpfanne“, erklärt Mitschele. Viele sind zudem äußerst licht- und geräuschempfindlich und liegen „wie lebendige Mumien“ in dunklen Räumen.

„Komplett überfordertes Gesundheitssystem“: Long Covid stellt Deutschland vor massive Probleme

„Das alles trifft auf ein komplett überfordertes Gesundheitssystem ohne gesicherte Diagnose- und Therapiemöglichkeiten“, so der Sozialverband VdK Nord.

Es fehlen klare Richtlinien für die Gewährung von Erwerbsminderung, Pflegegraden oder Behinderung im Zusammenhang mit Long Covid oder ME/CFS. Dies führt zu langwierigen Prozessen bei Fachärzten und Behörden. „Viele warten seit zwei Jahren auf Erwerbsminderung“, berichtet Mitschele.

Folgen von Long Covid und Corona: Zahl der Anträge auf Erwerbsminderung seit Pandemie verdreifacht

Die Zahl der bewilligten Erwerbsminderungsrenten ist im Vergleich zur hohen Anzahl der Betroffenen sehr gering. Laut der Deutschen Rentenversicherung wurden von 2021 bis Ende 2023 insgesamt 3581 Erwerbsminderungsrenten mit Post Covid bewilligt, im Zusammenhang mit Covid sind es 3813. Seit 2022 hat sich die Zahl der Antrags- und Klageverfahren laut VdK verdreifacht, während die Zahl der bewilligten Renten ebenfalls gestiegen ist.

Erwerbsminderungsrenten mit Post Covid:

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Erwerbsminderungsrenten in Zusammenhang mit Covid:

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„Prekäre Versorgungslage“ für Millionen Kranke seit Corona

„Die Zustände sind schlimm“, klagt Mitschele. „Betroffene sind im Alltag auf die Hilfe anderer angewiesen und müssen sich juristisch alles erkämpfen.“ Die Krankheit wird oft medizinisch stigmatisiert. Das Fatigue-Syndrom wird fälschlicherweise häufig mit Long Covid gleichgesetzt und von vielen Ärzten als psychosomatisch abgetan. Eine Studie unter Mitwirkung der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und der Charité Berlin zeigt, dass dies eine fatale Fehleinschätzung ist. Trotz empirischer Belege für eine biologische Ursache werden teils schädliche Therapien empfohlen, wie etwa Sport. Fehlendes Wissen und unzureichende Forschung „manifestiert sich für Betroffene in einer prekären medizinischen Versorgungslage“, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS.

IPPEN-Serie: Fünf Jahre Corona

In der Serie zum fünften Jahrestag der Corona-Pandemie spricht IPPEN.MEDIA mit Menschen, die die Pandemie aus verschiedenen Blickwinkeln erlebt, durchlebt und größtenteils noch lange nicht abgeschlossen haben. Auf der Suche nach Folgen, Lehren und der Aufarbeitung.

Im Moment lesen Sie Teil 5 der Serie.

In Teil 1 zieht Virologe Hendrik Streeck Bilanz und spricht über Folgen, Lehren und die Zukunft nach Corona. Teil 2 dreht sich um Deutschlands womöglich größten Corona-Fehler, der vor allem Kinder trifft. Und Teil 3 dreht sich um den „aussichtslosen Kampf“ Tausender Corona-Geimpfter. Und in Teil 4 behandeln wir das Aufkommen der Querdenken-Bewegung und den Umgang mit Verschwörungstheorien.

Long-Covid-Behandlung kaum möglich: Kein Medikament gegen ME/CFS oder seine Symptome

Es gibt kein spezifisches Medikament zur Linderung der Symptome von ME/CFS. Eine Heilung oder akute Behandlung für Long Covid fehlt ebenfalls. Die Patientenorganisation NichtGenesen spricht von einem erheblichen Forschungsrückstand. ME/CFS kann auch durch andere Infektionen als Corona ausgelöst werden und war bereits vor der Pandemie mit rund 300.000 Betroffenen in Deutschland bekannt, ähnlich wie bei Multipler Sklerose.

Seit der Pandemie hat sich die Zahl der Betroffenen schätzungsweise mindestens verdoppelt. Aus Sicht von NichtGenesen wurde in den letzten Jahren zu wenig in die Forschung zu Long Covid investiert. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und die Initiative Long Covid Deutschland fordern eine Änderung. Sie haben einen Maßnahmenkatalog an die designierten Regierungsparteien (Union und SPD) geschickt und plädieren dafür, das Thema Post Covid im Koalitionsvertrag zu verankern. Kritik von Covid-Patienten gegenüber der Politik gab es schon zuvor.

Unterschätzte Volkskrankheit: Long Covid kostet Deutschland laut Studie jedes Jahr 7,4 Milliarden Euro

Aktuell gibt es keine Wasserstandsmeldungen zu den Sondierungsgesprächen der Parteien. Am 10. Februar 2025 hat das Bundesgesundheitsministerium jedoch ein Koordinierungsnetzwerk für die Long-Covid-Forschung gestartet. 30 versorgungsnahe Forschungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von 73 Millionen Euro wurden bewilligt. Ein zweiter Forschungsschwerpunkt mit Maßnahmen zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Long Covid in Höhe von etwa 45 Millionen Euro soll bald abgeschlossen sein.

Insgesamt sind das 138 Millionen Euro, was angesichts der enormen Fallzahlen nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS spricht von einem Forschungsrückstand von 40 Jahren. Um diesen aufzuholen, wären laut einer vereinfachten Vergleichsrechnung mit der Studienanzahl zu Multipler Sklerose (2,8 Millionen Betroffene) schätzungsweise 4 Milliarden Euro an weltweiter Förderung pro Jahr notwendig. Das klingt nach viel, doch eine Studie aus dem Jahr 2020 beziffert den jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden durch ME/CFS in Deutschland auf 7,4 Milliarden Euro. Mehr Unterstützung für Betroffene könnte sich somit auch finanziell lohnen. (moe)