40 Jahre alt wird Schengen in diesem Jahr. Nicht der luxemburgische Grenzort an der Mosel vis-à-vis vom saarländischen Perl. Der ist älter. Gemeint ist das Abkommen, das 1985 in dem kleinen Weindorf auf dem Fahrgastschiff Marie Astrid unterzeichnet wurde und mit dem der Grundstein für ein grenzenloses Europa gelegt wurde. Pünktlich zum Jubiläum hat die EU-Kommission nun einen Bericht über den Zustand dieses grenzenlosen Europas vorgelegt. Der sogenannte Schengen-Statusbericht stellt einigen Ländern kein ganz so gutes Zeugnis aus. Auch Deutschland kommt nicht ganz so gut weg. Und das könnte auch Folgen für die neue Bundesregierung haben.

29 Länder gehören zu dem sogenannten Schengen-Raum, darunter auch die Nicht-EU-Länder Island, Norwegen, Lichtenstein und Schweiz. Mit der Aufnahme von Bulgarien und Rumänien kann ohne Grenzkontrollen in gut 24 Stunden mit dem Auto von Trier an die bulgarische Schwarzmeer-Küste fahren. Theoretisch. Denn trotz der Vereinbarung der Schengen-Staaten für einen grenzenlosen Personen- und Warenverkehrs haben einige Länder wieder die Schlagbäume geschlossen. Und das trübt nach Ansicht der EU-Kommission das Jubiläumsjahr des Abkommens. Grenzkontrollen, so heißt es in dem nun vorgelegten Statusbericht, widersprächen der Vereinbarung. Im Schengen-Raum seien Grenzkontrollen nicht vorgesehen. „Wo Kontrollen durchgeführt werden, müssen Maßnahmen getroffen werden, um deren Auswirkungen auf ein Minimum zu begrenzen“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission auf Anfrage unserer Redaktion.

EU-Kommission stellt Deutschland kein gutes Zeugnis aus

Auf 74 Seiten listet die Kommission den aktuellen Zustand des Schengen-Raums auf. Und im Großen und Ganzen stellt die Kommission diesem ein gutes Zeugnis aus. Die Schengen-Vorschriften würden gut angewandt, die Zusammenarbeit der Staaten funktioniere und die gemeinsamen Anstrengungen hätten EU-weit zu einem Rückgang der irregulären Grenzübertritte an den Außengrenzen des Schengen-Raums geführt, heißt es in dem Bericht. Der Schengen-Raum sei das Rückgrat des EU-Binnenmarktes und erleichtere das Leben von fast 450 Millionen Menschen. Im vergangenen Jahr seien über eine halbe Milliarde Reisende in den Schengen-Ländern gezählt worden. Damit sei der Schengen-Raum „das weltweit am häufigsten besuchte Ziel“.

Sechs Länder stehen in der Kritik

Soweit die positiven Aspekte, die die EU-Kommission herausstellt. Deutliche Kritik übt sie an den sechs Ländern, die im vergangenen Jahr Grenzkontrollen eingeführt oder verlängert haben. Neben Deutschland sind das Österreich, Dänemark, Frankreich, Schweden und Norwegen. Kritisch setzt sich die Kommission dabei vor allem mit Deutschland auseinander. Dieses habe die Kontrollen auf alle seine Grenzen ausgedehnt. Die Kommission dränge darauf, dass Deutschland in diesem Jahr wieder den vereinbarten freien Personen- und Warenverkehr ermögliche. Man arbeite eng mit allen Mitgliedstaaten zusammen, die derzeit Binnengrenzkontrollen durchführen, sowie mit den von den Kontrollen betroffenen Mitgliedstaaten, sagte der Kommissionssprecher. In diesem Zusammenhang wird in dem Bericht auch auf die Beschwerde Luxemburgs bei der Kommission gegen die Verlängerung der deutschen Grenzkontrollen hingewiesen. Es habe daraufhin verschiedene Konsultationen gegeben mit dem Ziel die grenzüberschreitenden Behinderungen zu verringern und nach gemeinsamen, alternativen Maßnahmen zu suchen.

Verhindern EU-Kommission und Luxemburg die geplanten dauerhaften Grenzkontrollen?

All das klingt nach einer klaren Ansagen der EU-Kommission an Deutschland – und damit auch an den wohl künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz. Der CDU-Chef hat bei der Vorstellung seiner Ministerriege am Montag in Berlin noch einmal deutlich gemacht, dass ab dem Tag eins einer neuen Regierung die Staatsgrenzen noch besser kontrolliert würden und es Zurückweisungen in größerem Umfang geben werde. Merz versprach im Januar ein „faktisches Einreiseverbot“ für Menschen ohne gültigen Pass und für Asylsuchende. Er kündigte dauerhafte Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen an. Auch der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat einen harten Migrationskurs angekündigt: „Wir werden an den Grenzen dafür sorgen, dass die Zurückweisungen deutlich steigen.“

Ausgerechnet der CDU-Chef des Saarlandes, Stephan Toscani, das wie kaum ein anderes Bundesland von einem grenzenlosen Europa profitiert, verteidigte nun die Grenzkontrollen. Es sei eine qualitative Veränderung bei den Kontrollen, wenn Menschen zurückgewiesen werden, die keinen Anspruch auf Einreise nach Deutschland hätten, sagte Toscani. Dies werde „eine Begrenzung und Verminderung der illegalen Migration“ mit sich bringen. Allerdings sagte er auch, Kontrollen an den Binnengrenzen dürften nur eine Ausnahme sein. Ziel bleibe müsse ein effektiver Außengrenzschutz sein.

Im Koalitionsvertrag einigten sich SPD und Union darauf, dass diese Zurückweisungen im Einvernehmen mit den Nachbarländern erfolgen sollen. Länder wie Österreich und Luxemburg haben bereits angekündigt, keine von Deutschland an der Grenze abgewiesenen Asylbewerber zurücknehmen zu wollen. Auch wegen der klaren Ansage der EU-Kommission scheint es mehr als fraglich, ob der rigide Migrationskurs von Merz überhaupt umsetzbar ist. Denn dauerhafte Grenzkontrollen und damit ständige Einschränkungen des freien Personenverkehrs widersprechen dem Schengen-Abkommen. Verstößt Deutschland dauerhaft dagegen, droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Zudem würde Merz Krach mit den anderen EU-Staaten riskieren. Was in Zeiten, in denen es um eine gemeinsame Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik geht, in denen ein geeintes Europa im Hinblick auf Russland und die USA, wichtiger denn je ist, ein gefährliches Spiel ist.