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Es besteht die Befürchtung von Wolodymyr Selenskyj, dass hinter der Militärübung Russlands im September mehr steckt. Der ukrainische Staatschef spricht aus Erfahrung.
Warschau – Drei Jahre lang müssen die Ukrainer nun schon am eigenen Leib erfahren, wozu Wladimir Putin fähig ist. Dessen Bodentruppen mühen sich unter großen Verlusten kaum merklich tiefer hinein ins Nachbarland, während der Kreml-Chef abseits des Kampfgebiets beinahe pausenlos Luftschläge niedergehen lässt. Die Raketen erwischen dabei vor allem die Zivilbevölkerung, die in ständiger Alarmbereitschaft leben muss.
Schon lange warnen Politiker und Militärexperten, der Ukraine-Krieg könnte nur der Anfang sein. Diesen Befürchtungen gibt Wolodymyr Selenskyj nun neue Nahrung. Wie Suspilne, der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Ukraine, berichtet, deutete der ukrainische Präsident am Rande des Gipfels der Drei-Meere-Initiative in Warschau an, dass Moskau in diesem Sommer „etwas vorbereitet“ und dafür Militärübungen als Vorwand nutzt.
Selenskyj warnt vor Putin-Angriff auf Nato: „Russland bereitet etwas vor“
Putin plant im September sein Großmanöver Sapad 2025 in Belarus. Ins Deutsche übersetzt lautet der Titel Westen 2025. Der wohl engste Verbündete Moskaus um Diktator Alexander Lukaschenko besitzt eine Grenze zum Nato-Gebiet. Namentlich: zu Polen, Litauen und Lettland. Als Russlands Präsident vier Jahre zuvor zu Sapad 2021 aufrief, zog er Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen – sein Befehl zur Invasion samt erfolglosem Sturm auf Kiew folgte nur wenige Monate darauf.

Achtung bei russischen Militärübungen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.) mahnt die Verbündeten zu besonderer Achtsamkeit. © IMAGO / Ukrinform, IMAGO / SNA
Nun mahnt Selenskyj, beide Augen auf die Vorgänge zu richten: „Schauen Sie sich Belarus an – diesen Sommer bereitet Russland dort unter dem Deckmantel von Militärübungen etwas vor. So beginnen normalerweise seine neuen Angriffe.“
Er könne nicht sagen, auf welches Land sich Putin diesmal fokussieren könnte: „Die Ukraine? Litauen? Polen? Gott bewahre! Wir müssen alle bereit sein. Alle Institutionen sind zur Zusammenarbeit offen.“
Ukraine auf neues Putin-Manöver vorbereitet: „Verdeckte Bildung offensiver Truppenverbände“
Es ist erst ein paar Wochen her, als Kiews Oberkommandeur der Streitkräfte Oleksandr Syrskyj in einem Interview mit dem ukrainischen Portal LB gefragt wurde, ob das Manöver als Vorbereitung einer neuen Offensive gegen die Ukraine genutzt werden könnte. Daraufhin betonte der General: „Jede Übung hat einen Zweck. Und einer dieser Zwecke ist die verdeckte Bildung offensiver Truppenverbände.“

Alle vier Jahre wieder: Kreml-Chef Wladimir Putin (M.) lässt sich im Jahr 2021 von Waleri Gerassimow (l.), Generalstabschef der russischen Streitkräfte, und vom damaligen Verteidigungsminister Sergei Schoigu zeigen, wie seine Militärübung Sapad läuft. © IMAGO / ITAR-TASS
Übungen wie diese seien „der akzeptabelste Weg, Truppen zu verlagern, sie in eine bestimmte Richtung zu konzentrieren und eine Truppengruppierung zu schaffen“. Für ihn sei 2022 absehbar gewesen, worauf Putin mit seinem Manöver hinauswollte, nachdem dieses fortgesetzt wurde und Truppen an der Grenze zur Ukraine verblieben. Syrskyj erwartet zwar nicht unbedingt, dass es wieder so ablaufen wird: „Aber wir müssen diesen Faktor in Betracht ziehen.“
Greift Putin den Westen an? Militärhistoriker fordert „politisch einiges Europa“
Für Sönke Neitzel wäre es wohl alles andere als eine Überraschung, würde Putin seine Truppen erneut in Richtung Westen vorstoßen lassen. „Alle Stimmen aus Sicherheitskreisen, die ich kenne, gehen davon aus, dass Russland die Nato in den nächsten Jahren testen wird“, sagte der Militärhistoriker von der Universität Potsdam laut dem Tagesspiegel.
Daher rät der 56-Jährige Europa dazu, sich darauf einzustellen, Putin entschlossen entgegentreten zu müssen: „Die Antwort auf die militärische Stärke Russlands kann nicht Schwäche sein.“ Für die eigene Sicherheit könne nicht nur auf Diplomatie und Wirtschaftskraft gesetzt werden: „Es braucht ein politisch einiges und militärisch kampfkräftiges Europa.“

Das ist keine Übung: Ein im Ukraine-Krieg eingesetzter Mehrfachraketenwerfer feuert im Dunkeln seine Ladung ab. © IMAGO / ITAR-TASS
Putin könnte Bundeswehr herausfordern: „Brauchen erhebliche weitere Modernisierung“
Die Bundeswehr wäre also besonders gefordert. Wie der NDR berichtet, bereitet sich die Truppe auf einen erneuten Einsatz an der Nato-Ostflanke vor. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf Russlands Militärübung im Herbst gelegt. Generalmajor Heico Hübner, Kommandeur der 1. Panzerdivision, verdeutlicht: „Wir beobachten sehr genau, was im Einzelnen abläuft, welche Truppenkörper verlegt werden, wo sie bleiben und welche Verfahren angewandt werden.“
Der 56-jährige Offizier hält die Bundeswehr für „übungsbereit, aber eher nicht verteidigungsbereit“. Es wartet also erwartungsgemäß noch einiges an Arbeit. Zwar könnten immer verlässlich Truppenkontingente nach Litauen entsandt werden: „Um aber als Division in Gänze einsatzbereit zu sein und auch in der aktuellen Lage wirklich voll kriegstüchtig zu sein, brauchen wir erhebliche weitere Modernisierung.“
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Zwischen Deutschland und Litauen liegt Polen. Dessen stellvertretender Verteidigungsminister Cezary Tomczyk kündigte bereits in einem Interview mit dem Radiosender RMF FM an, Warschau werde „angemessen“ auf Sapad 2025 reagieren. Die Übung von Putin nimmt der 40-Jährige aber nicht als Bedrohung für sein Land wahr.
„Es wird große polnische und Nato-Übungen geben, große Manöver in Polen“, verriet der Parteifreund von Ministerpräsident Donald Tusk und demonstrierte angesichts der Verbündeten Stärke: „Wir sollten uns auch daran erinnern, dass wir im vergangenen Jahr Zeugen der größten Nato-Übungen der Geschichte waren, an denen rund 100.000 Soldaten teilnahmen. Die Nato ist stärker als Russland.“
Gemeint ist Steadfast Defender 24. Die mehr als ein Dutzend Manöver dauerten von Januar bis Mai 2024. Daran nahmen alle 32 Nato-Staaten teil und demonstrierten so in der Zeit vor der Rückkehr von Donald Trump als US-Präsident Einigkeit. Involviert waren laut dem transatlantischen Verteidigungsbündnis mehr als 80 Flugobjekte, mehr als 50 Schiffe, mehr als 1100 Kampffahrzeuge und 90.000 Soldaten. (mg)