Zwei Bettler wehren sich gegen die Polizeiverordnung der Stadt Luxemburg. Die Plädoyers seitens der Stadt und des Innenministeriums bringen interessante Gegensätze zutage.

Zwei Bettler gegen Léon Gloden (CSV), die Stadt Luxemburg und das umstrittene Bettelverbot: Am Montagnachmittag geht es beim Verwaltungsgericht auf Kirchberg um Dekrete aus dem 18. Jahrhundert, eine Verfassungsrevision, eine Rechtsunsicherheit im Strafgesetzbuch und mehrere Gutachten. Highlight des Prozesses ist aber die Argumentation der Anwälte des Innenministeriums und der Stadt Luxemburg.

Zur Erinnerung: Die hauptstädtische Polizeiverordnung verbietet in Artikel 42 „toute autre forme de mendicité“. Während die ehemalige Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) das Inkrafttreten dieser Verordnung blockierte, revidierte Gloden diese Entscheidung kurz nach Amtsantritt. Dagegen haben nun die beiden Bettler geklagt. Gloden und Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) argumentieren seitdem, dass damit nur die „organisierte Bettelei“ anvisiert sei.

Kritik hagelte es vonseiten der Staatsanwaltschaft, des Verfassungsexperten Luc Heuschling und zuletzt auch durch ein Gutachten der Chamber, das das Bettelverbot als „wahrscheinlich verfassungswidrig“ einstufte. Hinzu kommt noch eine Rechtsunsicherheit im „Code pénal“: Während die hiesige Gerichtsbarkeit in mittlerweile zwei Urteilen die Lesart verfolgt, dass die „mendicité simple“ abgeschafft wurde (was unter „toute autre forme de mendicité“ fallen dürfte), meinte nicht zuletzt Léon Gloden, dass die „mendicité simple“ nicht aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. „Es ist ein sehr technisches Dossier“, resümiert Me Frank Rollinger, der die beiden Bettler vor Gericht vertritt, vor dem Prozess gegenüber dem Tageblatt. Me Frank Rollinger ließ sich vor Gericht vertreten, was den vorsitzenden Richter ob der „politischen Dimension“ zu einer Rüge veranlasste. Auch der Umstand, dass bei einem der beiden Bettler ein fester Wohnsitz ermittelt werden konnte, ließ Zweifel an deren Notwendigkeit des Bettelns aufkommen.

Auf dieser Frage gründete nebst prozeduraler Bedenken die Argumentation der Stadt und des Innenministeriums. Diese argumentierten, dass die beiden Kläger keine Beweise erbracht hätten, dass sie Bettler sind und auf das Betteln angewiesen seien. Zudem müsste die Gegenseite belegen, dass das Betteln an den spezifischen Orten und Uhrzeiten, die mit der Polizeiverordnung verboten wurden, notwendig sei. Und letztens: „Sie müssen beweisen, dass Artikel 42 eine konkrete Auswirkung auf ihre Situation hat“, so der Rechtsbeistand der Stadt Luxemburg. Er jedenfalls könne keine Besserung, keine „mise en pratique“ dieses Reglements feststellen, da noch immer zahlreiche Bettler anzutreffen seien. Auf Klägerseite würden somit jegliche Beweise für ein konkretes Interesse an der Klage fehlen. Das Gegenteil dessen, was Lydie Polfer also vor einigen Monaten behauptete, als sie die Wirksamkeit der Maßnahmen nach einem Jahr Bettelverbot hervorhob.

Die Auslegung des Strafgesetzbuches, das „tendenziöse und falsche Gutachten“ der Chamber und die Frage, nach welcher Verfassung (im Juli 2024 trat die neue Verfassung in Kraft, Innenminister Léon Gloden traf seine Entscheidung Ende 2023) letztendlich geurteilt werden müsse, steht in diesem Gerichtsverfahren im Raum. Und auch über die Anwendbarkeit des Lacatus-Urteils des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg wird am Montagnachmittag auf Kirchberg diskutiert. Während Me Frank Rollinger im Urteil ein „Recht auf Betteln, das im Prinzip jedem zusteht“ erkennt, meint die Gegenseite, dass die Umstände dieses Urteils nicht auf den vorliegenden Fall zutreffen. Das Urteil soll noch vor der Sommerpause gesprochen werden.

Der Fall einer Romni, die in Genf gebettelt hatte, wurde 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt. Das Urteil ist unter dem Namen Lacatus-Urteil bekannt. Betteln war in der Schweiz grundsätzlich verboten und mit einer Gefängnisstrafe geahndet. Dadurch, dass es aber der einzige Lebensunterhalt der Frau sei, könne sie nicht strafrechtlich belangt werden, so das Urteil der Richter. Ein allgemeines Bettelverbot und die darauf ausgeschriebenen Gefängnisstrafen seien ein unverhältnismäßiger Eingriff ins Privatleben.

Luxemburger Richter Georges Ravarani im Lacatus-Urteil zum Recht auf Betteln:
„Die Entscheidung, zu betteln, ist Teil des Rechts auf Selbstbestimmung und der persönlichen Autonomie, ein Prinzip, das der Auslegung der Garantien in Artikel 8 (der Europäischen Menschenrechtskonvention, Anm. d. Red.) zugrunde liegt“, schreibt der Luxemburger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und zitiert aus weiteren Urteilen: „So definiert ist Betteln als Form des Rechts, sich an andere zu wenden, um Hilfe zu erhalten, eindeutig als eine elementare Freiheit zu betrachten.“