
Der konservative Kandidat und sein Kontrahent Rafal Trzaskowski dürften sich bei der Stichwahl am Sonntag ein enges Rennen liefern.Bild: keystone
Polen ist zu einem der wirtschaftlich wichtigsten Partner in Europa aufgestiegen. Am Sonntag entscheidet sich, welchen Kurs das Land künftig einschlagen wird.
27.05.2025, 18:0627.05.2025, 18:06
Marcel Hirsiger* / ch media
Die Ergebnisse der ersten Runde der polnischen Präsidentschaftswahlen waren ein regelrechter Schock: Der als Favorit geltende Kandidat der regierenden Bürgerkoalition, Warschaus Stadtpräsident Rafal Trzaskowski, lag nur knapp vor Karol Nawrocki, dem Kandidaten der Partei Recht und Gerechtigkeit PiS.
In der zweiten Runde kommt es nun zum Showdown zwischen den gemässigten Kräften um Ministerpräsident Donald Tusk und den radikalen Nationalisten von PiS-Doyen Jaroslaw Kaczynski.

Warschaus Stadtpräsident, Rafal Trzaskowski.Bild: keystone
Der knappe Wahlausgang ist für Polen auch überraschend, weil die PiS-Partei bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 eine empfindliche Niederlage einstecken musste. Die sechstgrösste Volkswirtschaft der EU verabschiedete sich damit vorerst von der Autokratisierung der vorangegangenen Jahre.
Donald Tusk kündigte denn auch umgehend Reformen an, um den Abbau der Rechtsstaatlichkeit durch die frühere PiS-Regierung umzukehren. Allerdings erreichte er nur sehr wenig: Allzu oft stand ihm der scheidende Präsident Andrzej Duda mit seinem Veto im Weg. Und fast ebenso häufig zerstritt sich die Koalition, noch bevor es zu einer Abstimmung im Parlament kommen konnte.
Wird am Sonntag überraschend Karol Nawrocki zum Präsidenten gewählt, ist dies ein Rückschritt in unsichere Zeiten. In den kommenden Jahren werden sich damit Regierung und Staatsoberhaupt gegenseitig blockieren.

Karol Nawrocki, bei Medieninterviews in Warschau.Bild: keystone
Dies hätte gerade für die Wirtschaft verheerende Folgen. Tausende von Unternehmen haben sich in den letzten Jahren in Polen niedergelassen, um dort vom Zugang zu hochqualifizierten und motivierten jungen Menschen zu profitieren. Dazu zählen auch über 200 Schweizer Firmen, die in sogenannten Nearshorings insbesondere konzerninterne Dienstleistungen in Ostmitteleuropa ansiedeln.
Gesamthaft dürfte inzwischen rund eine halbe Million Arbeitskräfte in solch wissensintensiven Bereichen tätig sein. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass Polen zum wirtschaftlich erfolgreichsten Land Europas geworden ist.
Firmen setzen auf proeuropäische Kräfte
Dieser Sektor setzt aber stark auf Stabilität und Zuverlässigkeit. Die Investitionen lohnen sich für Unternehmen nur, wenn sich eine proeuropäische Regierung an die dringend notwendigen Reformen machen kann. Und obschon Polen zahlreiche ausländische Investitionen anlocken konnte, steht das Land vor grossen Herausforderungen, etwa bei der Umstellung auf erneuerbare Energien und eine nachhaltige Wirtschaft. Dies kann nur zusammen mit ausländischen Investoren geschehen.
Hinzu kommt die geografisch und historisch wichtige Rolle des ostmitteleuropäischen Landes. Polen hat unter Ministerpräsident Tusk eine entscheidende Rolle eingenommen, wenn es um die Unterstützung der benachbarten Ukraine geht. Zusammen mit England, Deutschland und Frankreich führt Polen die Koalition der Willigen an. Dies ist – mit Blick auf die durchaus spannungsgeladene Geschichte dieser Nachbarn – alles andere als selbstverständlich.
Für die Schweiz hat Polen eine zentrale Funktion eingenommen in den Bemühungen um eine Lösung der bilateralen Beziehungen mit der EU. Während der EU-Ratspräsidentschaft, die noch bis Ende Juni Polen zusteht, war die Schweiz immer wieder inoffizieller Gast in Gesprächen. Und nicht zuletzt stehen in den kommenden Jahren rund 320 Millionen Schweizer Franken bereit, die im Rahmen des Kohäsionsbeitrages in bilaterale Projekte mit Polen investiert werden.
Trzaskowski setzt nun auf die junge, urbane und insbesondere auch weibliche Bevölkerung. Diese ging schon im Oktober 2023 überproportional an die Urne und schaffte die Abkehr von der Autokratisierung.
Eine Wahl Nawrockis und damit eine Stärkung des rechten Randes wäre für die Wirtschaft – auch in der Schweiz und dem übrigen Europa – eine Hiobsbotschaft. (nib/aargauerzeitung.ch)
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