Am regionalen Sicherheitsforum Shangri-La-Dialog bezeichnet der französische Präsident die Rivalität zwischen den USA und China als die grösste Gefahr für die Welt.

Edgar Su / Reuters
Der jährlich stattfindende Shangri-La-Dialog ist das führende Forum für Sicherheitsfragen im indopazifischen Raum. So mag es überraschen, dass die jeweils viel beachtete Eröffnungsrede dieses Jahr von einem Europäer gehalten wurde.
Präsident Emmanuel Macron machte aber von Beginn an klar: Frankreich sieht sich als Akteur im Indopazifik. Paris kontrolliert von Mayotte und La Réunion bis Neukaledonien und Französisch-Polynesien Gebiete im Indopazifik. 1,6 Millionen französische Bürger leben dort, 8000 französische Soldaten sind dort stationiert.
Die Ukraine ist für Südostasien weit weg
Macron nahm sich in seiner Rede das Recht heraus, immer wieder im Namen Europas zu sprechen. Ihm schwebt ein Europa vor, das sich als Alternative zu den beiden Grossmächten China und den USA zu präsentieren versucht. Denn, so Macron: «Die Rivalität zwischen den USA und China ist gegenwärtig die grösste Gefahr für die Welt.» Dagegen brauche es neue Koalitionen zwischen Europa und Asien. «Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass unsere Länder nicht zu den Leidtragenden der Ungleichgewichte werden, die durch die Entscheidungen der Supermächte verursacht werden.»
Macron versuchte seine asiatischen Zuhörer davon zu überzeugen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine auch für die Sicherheit Asiens relevant sei: «Wenn wir zulassen, dass sich Russland einen Teil der Ukraine aneignet – ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen – was könnte dann in Taiwan geschehen?»
Das Problem ist: Für die meisten asiatischen Länder ist die Ukraine weit weg. Vor einem Jahr sprach am Shangri-La-Dialog niemand von der Ukraine – bis am zweiten Tag überraschend Präsident Wolodimir Selenski in Singapur auftauchte. Er zog zwar viel Aufmerksamkeit auf sich, einen nachhaltigen Effekt scheint sein Besuch aber nicht gehabt zu haben. Mit Ausnahme der Philippinen und Singapurs führen heute alle südostasiatischen Länder normale Beziehungen zu Moskau. Die Association of Southeast Asian Nations (Asean) ebenso.
Macron unternahm jetzt also einen neuen Versuch. Er sieht aber die USA und Europa in der Verantwortung: Gemeinsam müssten sie den Krieg in der Ukraine zu einem Ende führen. Wenn dies nicht gelinge, dann werde die Glaubwürdigkeit der USA und Europas, eine Krise in der asiatischen Region lösen zu können, sehr gering sein.
Damit sprach er auch einen Zuhörer im Publikum sehr direkt an, den amerikanischen Verteidigungsminister Pete Hegseth, der am Samstag am Forum seinen Auftritt hat. Macron konnte sich einen Seitenhieb gegen Präsident Trump nicht verkneifen: «Wir möchten nicht täglich vorgeschrieben bekommen, was erlaubt ist, was nicht erlaubt ist und wie sich unser Leben aufgrund der Entscheidungen einer einzelnen Person verändern soll.»
Dem Versuch der Trump-Regierung, eine breite Allianz gegen China zu schmieden, gibt Macron eine Abfuhr: «Frankreich ist ein Freund und Verbündeter der Vereinigten Staaten. Und mit China arbeiten wir zusammen, auch wenn wir manchmal uneinig sind.» Der Balanceakt zwischen den beiden Grossmächten, der Versuch, Washington wie Peking auf Abstand zu halten, heisst in Macrons Worten «strategische Autonomie».
Asien und Europa hätten ein gemeinsames Interesse, das Auseinanderbrechen der globalen Ordnung zu verhindern, sagte Macron. Macron verwies auf die Konferenz von Bandung von 1955. Es war der Versuch zahlreicher asiatischer und afrikanischer Länder, die meist erst seit kurzem unabhängig waren, sich im Kalten Krieg nicht einem Lager anschliessen zu müssen. Die Zeit der Blockfreiheit sei zwar vorbei, sagte Macron: «Die Zeit der Koalitionen des Handels ist gekommen.»
Frankreich will seine Rolle im Indopazifik sichtbar machen
Mit seinen Gebieten im Indopazifik beansprucht Frankreich für sich in Europa ein Vorreiterrolle. Macron verwies darauf, dass sein Land bereits 2018 ein Strategie für den Indopazifik erarbeitet habe. Andere Länder wie Deutschland oder die Niederlande, aber auch die EU als Ganzes, zogen später nach.
Für Paris ist es wichtig, dass diese Rolle in der Region auch wahrgenommen wird. So entsandte die Regierung zu Beginn des Jahres den Flugzeugträger «Charles de Gaulle» mit Begleitschiffen auf eine fünfmonatige Tour in den Indopazifik. Der Verbund besuchte sieben Länder der Region und nahm an vier multilateralen Manövern teil.
Den Shangri-La-Dialog wollte die französische Diplomatie offenbar schon länger als Plattform nutzen. Man habe jahrelang darauf hingearbeitet, sagte ein französischer Vertreter im Vertrauen, nun habe es endlich geklappt. Macron ist der erste Europäer, der die Eröffnungsrede am Forum gehalten hat.
Der Auftritt gab Macron nun auch die Gelegenheit, einem aufkommenden Narrativ der Trump-Regierung entgegenzutreten. Aus verschiedenen Äusserungen der letzten Wochen und Monate wird klar, dass Washington findet, europäische Marinen sollten sich auf den Atlantik und das Mittelmeer konzentrieren. Die «Financial Times» berichtete Anfang Monat, das Pentagon habe den Briten klargemacht, dass es die gegenwärtige Mission des Flugzeugträgers «Prince of Wales» im Indopazifik für wenig sinnvoll hält.
Das ist eine Kehrtwende gegenüber der Regierung Biden, welche das Engagement seiner europäischen Alliierten im Indopazifik befürwortete. Zwar ändern einzelne britische, französische, deutsche oder italienische Kriegsschiffe im Indopazifik nichts an der Machtbalance. Doch sie sind ein Zeichen, etwa indem sie mit einer Durchfahrt durch die Strasse von Taiwan zeigen, dass nicht nur die Amerikaner dort auf die freie Seefahrt pochen.