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Der Iran-Israel-Konflikt eskaliert weiter. Welche Ziele verfolgt Netanjahu? Wie könnte sich der Konflikt weiter entwickeln? Ein Experte schätzt die Lage ein.

Tel Aviv/Teheran – Die Lage im Konflikt zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran eskaliert zunehmend. Am Freitag hatte Israel unerwartet Luftangriffe gegen den Iran gestartet, um militärische Ziele auszuschalten und das iranische Atomprogramm zu stoppen. Die israelische Regierung hat sich auf einen längeren Krieg mit dem Mullah-Regime eingestellt. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sprach davon, dass „es so viele Tage dauern wird, wie es eben braucht“. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA erklärt Nahost-Experte Dr. Andreas Böhm von der Universität St. Gallen, wie es nun weitergehen könnte.

Am Dienstag häuften sich die Spekulationen in den US-Medien, Präsident Donald Trump ziehe es ernsthaft in Erwägung, den Iran militärisch anzugreifen. Dazu meint Böhm, der weitere Verlauf des Krieges in Israel hänge von den USA, „genauer an der Person von Präsident Trump“ ab. „Wenn er Netanyahu zu einem Waffenstillstand und weiteren Verhandlungen anhält, müsste dieser nachgeben. Wenn er den Einsatzbefehl gibt, sind die USA Kriegspartei, mit allen entsprechenden Folgen.“

Israel im Krieg mit Iran: Raketen fliegen, Menschen werden evakuiert

Lichtblitze durchzucken den nächtlichen Himmel über Tel Aviv.

Fotostrecke ansehenEskalation zwischen Israel und dem Iran: Könnte Donald Trump in den Konflikt eingreifen?

Auf Truth Social schrieb der US-Präsident am Dienstag: „unconditional surrender“ (bedingungslose Kapitulation) und forderte damit wohl das iranische Regime auf, die Waffen bedingungslos niederzulegen. Aus strategischer Sicht ein Fehler, meint Böhm. „Mit der Forderung nach ‚unconditional surrender‘ hat er sich selbst strategischer Optionen beraubt. Eine Unterwerfungsgeste Chameneis ist nicht zu erwarten und Verhandlungen, wie sie Teheran vorgeschlagen hat, lehnt Trump ab.“ Eigentlich bleibt dem US-Präsidenten somit nur eine Option: „Angesichts der aktuellen Lage läuft alles auf einen aktiven Kriegseintritt der USA hinaus.“

Vom G7-Gipfel reiste der US-Präsident verfrüht ab. Angekommen in Washington, berief Trump eine Krisensitzung des nationalen Sicherheitsrats ein. Die Sitzung dauerte wohl rund 20 Minuten – was genau der Republikaner mit seinem Stab besprochen hatte, wurde zunächst nicht bekannt. US-Vizepräsident JD Vance stärkte Trump den Rücken und erklärte auf der Social-Media-Plattform X, die USA sei zu „weiteren Maßnahmen“ bereit, „um die iranische (Uran-)Anreicherung zu beenden.“ Die US-Streitkräfte hatten außerdem den Flugzeugträger „USS Nimitz“ in die Region beordert. Laut Verteidigungsminister Pete Hegseth solle das die „Verteidigungsposition“ der Vereinigten Staaten im Nahen Osten stärken.

Weitet sich der Konflikt zwischen dem Iran und Israel zu einem größeren regionalen Krieg aus?

Im iranischen Fernsehen hatte Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei Trumps Forderung nach einer Kapitulation des Mullah-Regimes abgelehnt – im Gegenteil. Er mahnte: „Das iranische Volk ist entschlossen und wird sowohl gegen einen auf erzwungenen Krieg als auch gegen einen auf erzwungenen Frieden Widerstand leisten.“ Der Sprecher des iranischen Außenministeriums warnte unterdessen in einem Interview mit dem Nachrichtensender Al-Dschasira vor einer Einmischung Drittstatten in den Konflikt. Jede Einmischung von Außen wäre eine „Einladung zu einem umfassenden Krieg, der die gesamte Region erfassen und sogar darüber hinausgehen würde“, betonte Esmail Baghaei.

Dass sich der Konflikt zu einem größeren regionalen Krieg entwickelt, ist eher unwahrscheinlich. Gegenüber der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA erklärt Böhm: „Der Iran hat keine Verbündeten, die ihm zur Seite springen könnten. Realistischer wäre, dass beispielsweise verbündete Milizen im Irak amerikanische Stellungen angreifen, dass Terroraktionen stattfinden und versucht wird, umliegende Länder (z. B. Jordanien) zu destabilisieren.“ Sollte die USA also tatsächlich eingreifen, müssten sich auch die US-Militärbasen in der Region auf Angriffe einstellen.

„Mr. President, finish the job“. Ein Plakat in Tel Aviv. Israel Iran

„Mr. President, finish the job“. Ein Plakat in Tel Aviv. Angesichts des eskalierenden Konflikts zwischen dem Iran und Israel drängen die Israelis Donald Trump zum Eingreifen in den Krieg. © GIL COHEN-MAGEN/AFP

Es stellt sich die Frage, wieso Israel ausgerechnet jetzt den Iran angreift. Das Atomprogramm des iranischen Regimes ist bereits seit Jahrzehnten bekannt. Außerdem ist Israel nach wie vor mit der radikalislamischen Hamas beschäftigt. Böhm erklärt unserer Redaktion: „Netanyahu warnt seit 30 Jahren, dass der Iran unmittelbar vor dem Besitz von Atombomben steht. Aber nach allem, was man sieht, auch mit Blick auf das israelische Vorgehen im Libanon und in Syrien, muss man davon ausgehen, dass Israel die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen Irans angreift.“ Es gehe Israel nicht nur um einen Regimewechsel, sondern auch „um einen schwachen Staat, einen ‚Failed State‘ im Iran“.

Was genau ist ein „Failed State“?

Ein „Failed State“ (deutsch: gescheiterter Staat) ist ein Staat, der grundlegende Aufgaben und Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Dazu gehören die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, die Kontrolle über das eigene Staatsgebiet, die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.

Typische Merkmale:

– Verlust des Gewaltmonopols (staatliche Autorität wird nicht mehr anerkannt)
– Weite Teile des Staatsgebiets werden von nicht-staatlichen Akteuren kontrolliert
– Zusammenbruch staatlicher Institutionen (z. B. Polizei, Justiz, Verwaltung)
– Wirtschaftlicher Niedergang und Korruption
– Mangel an Grundversorgung (Gesundheit, Bildung, Infrastruktur)
– Häufige Menschenrechtsverletzungen und soziale Unruhen

Beispiele:

Bekannte Beispiele für „Failed States“ sind in den letzten Jahren Somalia, Syrien oder der Südsudan gewesen.

Folgen:

Ein gescheiterter Staat stellt oft eine Gefahr für die regionale und internationale Sicherheit dar, da er ein Nährboden für Terrorismus, organisierte Kriminalität und Flüchtlingsströme sein kann.

Nach Einschätzung von Böhm ist das jedoch „hochgradig gefährlich“. „Schließlich ist der Iran eine sehr diverse, multiethnische Gesellschaft in einer Region, die geopolitisch ebenso relevant wie vulnerabel ist.“ Dabei sei die Erfahrung des Iraks nach 2003 schlimm genug, „aber Iran ist wesentlich größer und komplexer.“

Golfstaaten durch eskalierenden Konflikt zwischen Iran und Israel in der Zwickmühle

Mit dem eskalierenden Konflikt und dem Krieg in Israel sind auch die Golfstaaten in einer Zwickmühle, denen „die gesamte Situation sehr unangenehm“ sei. „Ebenso wenig wie sie die Ausweitung iranischer Macht in der Region begrüßt haben, wünschen sie eine israelische Hegemonie“, meint Böhm. Aktuell versuchen Saudi-Arabien und die Emirate das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell „grundsätzlich neu zu ordnen“. Das sei eine „Genetationenaufgabe“ für die Länder und nicht über Nacht umzusetzen. Das Problem: Dafür brauche es Stabilität in der Region.

Auch der Krieg im Gazastreifen ist ein Problem für die Golfstaaten: „Daher ist es ganz pragmatisch, sowohl mit dem Iran als auch mit Israel Beziehungen zu pflegen. Die ethnische Säuberung in Gaza erschwert dies enorm, denn dadurch ist ein derart großer Widerstand in den Bevölkerungen entstanden, den selbst die absoluten Monarchen am Golf in Betracht ziehen müssen.“

Wie geht es mit dem Atomprogramm Irans weiter? Experte mit düsterer Prognose

Langfristig wird der Krieg mit Israel auch für das iranische Atomprogramm folgen haben – aber nicht unbedingt so, wie sich das Israel vorstellt. Denn für den Iran und jede zukünftige Regierung sei nun klar, „dass sie nach Atomwaffen streben muss, um nicht angreifbar zu sein“, erklärt Nahost-Experte Böhm unserer Redaktion. „Militärisch kann der Iran nicht viel machen. Durchhalten kann er ihn prinzipiell noch länger, denn eine Bodeninvasion ist ausgeschlossen. Politisch kommt die Stunde der Wahrheit, wenn der Krieg vorbei ist.“ Die breite gesellschaftliche Unterstützung, die das Regime in Irakkrieg während den 1980er Jahren hatte, sei ins Gegenteil gekippt.

Geopolitisch hat der Konflikt ebenso Auswirkungen auf die Türkei und Saudi-Arabien, die nun nach Einschätzung Böhms „hochgradig aufrüsten werden, um nicht angreifbar zu sein“. Besonders heikel: „Gut möglich, dass eine atomare Bewaffnung in Betracht gezogen wird.“ Politische resultiere aus Israels Angriff auf den Iran, eine faktische Hegemonie Israels in der Region, das seine Macht ungehindert projiziere: „In den Libanon, Syrien, Jordanien, bis in die Golfregion. Dies kollidiert wiederum mit den Interessen der Türkei, was in Syrien auf einen Konflikt hinauslaufen könnte. Wie so oft in der Geschichte wird diese weitgehend unbeschränkte Macht Gegenmacht herausfordern. Israels Ziel müsste es sein, die militärische Macht politisch zu unterfüttern, aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen“, warnt Nahost Experte Böhm gegenüber der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.

Gleichzeitig dient der Krieg gegen den Iran für Israel auch als Ablenkung. Böhm erklärt weiter: „Der Krieg gegen den Iran lenkt die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ab und Israel kann die ethnische Säuberung des Gazastreifens und des Westjordanlandes weitgehend ungestört fortführen.“ (sischr)