Höflich sei Léon Krier im persönlichen Gespräch aufgetreten, doch genauso gut konnte er hart in der Sache sein und beharrte auf seinen Positionen. „Für den Menschen maßgeschneidert“ seien die Städte einst gewesen.

Und genau das sollte der Sohn eines Schneiders als Architekturtheoretiker und Stadtplaner immer wieder anderen Ansätzen zum Vorwurf machen. Die öffentlichen Stellungnahmen, nicht zuletzt in seiner Heimat Luxemburg, machten Léon Krier für die Politik und Verwaltungen zum Feindbild. Da ist sich im Rückblick François Valentiny sicher.

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Mit dem Tod Kriers rückt für Luxemburg auch die Frage in den Raum: Hatte da jemand eigentlich recht, aber wurde verhindert und galt nichts im eigenen Land? Wurde er als rückwärtsgewandter Verklärer und „enfant terrible“ missverstanden? Als jemand, der unbequem reaktionär mit seinen Fragen der zeitgenössischen Architektur stoisch den Spiegel vorhielt und damit aneckte? „Léon Krier hat den Grundstein für ein weltweites Umdenken im Städtebau gelegt“, stellt Valentiny die internationale Bedeutung des Hochschullehrers Krier heraus.

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Die Auflösung der gewachsenen Strukturen der Luxemburger Stadt und der Kahlschlag im Bestand zugunsten einer rein vom Kapitalismus getriebenen, unsozialen Architektur waren, wenn man den Quellen glauben darf, eine der wesentlichen Triebfedern für Krier.

Und das floss in seinen Denkansatz ein, für den er international in den Fokus kam. „Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren wusste jeder in Luxemburg, wer Léon Krier war. Seine Kritik unter anderem an Kirchberg und dem dortigen städtebaulichen Plan war Thema in allen Medien. Die Politiker dieser Zeit sahen in ihm einen großen Gegner, einen Spinner und brachten ihn sogar in Misskredit“, so Valentiny.

Léon Krier hat den Grundstein für ein weltweites Umdenken im Städtebau gelegt.

François Valentiny

Architekt

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Im Telefon-Gespräch kurz nach der öffentlichen Todesmeldung betonte Valentiny die engere Verbindung zu Rob Krier, Léons Bruder, der ebenfalls als Architekt tätig war. Rob Kriers Nachlass – er war 2023 verstorben – ging an das Deutsche Architektur Museum in Frankfurt am Main.

Und wie soll mit Léons Arbeiten, die nun einmal nicht unwesentlich für den Rückblick auf die Baugeschichte des Landes sind, verfahren werden? Valentiny weiß von keinem Vorlass. Und somit wird die Frage wieder zum Thema, wie das bauhistorische Erbe des Landes zugänglich bleibt.

2011 legte Léon Krier eine Neufassung seiner Architekturtheorie gebündelt vor. Foto: Island Press

Das Bruderpaar Krier steht besonders mit einem zunächst gemeinsamen Bauauftrag in Verbindung: der Cité Judiciaire auf dem Heilig-Geist-Plateau. „Der Verfall ist leider sichtbar. Das liegt auch daran, dass dort zu viele Abstriche an der von den Krier-Brüdern geplanten Nachhaltigkeit und Materialqualität durch die Bautenverwaltung gemacht wurden“, sagt Valentiny.

Nach der langen Planungsphase und den harten Debatten um den Gerichtssitz sei Léon ausgestiegen, Rob Krier machte weiter. „Léon hat das Projekt Cité Judiciare physisch und psychisch nicht mehr ausgehalten. Ihm wurde, als er sich zurückzog, Hochnäsigkeit unterstellt. Aber in Wirklichkeit wäre er gebrochen, wenn er weiter mitgemacht hätte“, sagt Valetiny.

„Es braucht Liebe“

Spielball von nicht wirklich an einer menschengerechten Architektur interessierten Kräften zu sein, ist laut Valentiny Teil der gefühlten Enttäuschungen. „Léons tief fundierte und reflektierte Überlegungen im Städtebau wurden eigentlich verniedlich, verkitscht. Wenn etwas im öffentlichen Raum gebaut wurde, was tendenziell mit dem Städtebau von Krier zu tun hatte, war das eine Verformung, so wie sich die Politik und die Investoren das wünschten. Er wurde das Gefühl nicht los, dass nicht die Architektur selbst im Raum steht, sondern ganz andere Interessen plötzlich eine Rolle spielen.“

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In einer seiner letzten Stellungnahmen vor fünf Wochen gegenüber der Online-Architektur-Plattform Archifeed, forderte Krier bewusst kantig, die aktuelle Architekturausbildung weltweit über den Haufen zu werden. Es brauche eine Nähe zu den Menschen, zur Baupraxis, eine starke Fokussierung auf das eigene Talent und die eigenen Ideen, handwerkliche Kenntnis und vor allem Liebe.

Valentiny stimmt dem zu: „Man kann diesen Beruf nur ausüben, wenn man die Menschen liebt, wenn man die Gesellschaft liebt, in der man lebt.“ Vielleicht ist es ja gerade jetzt an der Zeit, Kriers Buch „The Architecture of Community“ in die Hand zu nehmen, um dessen Form dieser Liebe besser kennenzulernen.