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Der Sicherheitsexperte Ischinger betont: Die Aufrüstungspläne der Nato seien auch ohne Druck Trumps notwendig gewesen. Denn ohne bliebe die EU „hilflos“.
München – Nach dem Nato-Gipfel in Den Haag, bei dem die Allianz sich auf eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung einigte und das Programm extra für US-Präsident Donald Trump einkürzte, äußert sich nun ein Sicherheitsexperte zur sogenannten Trump-Strategie der Nato.
Der ehemalige Präsident der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, begrüßte die Nato-Beschlüsse und machte deutlich: „Jeder muss verstehen, dass es dabei nicht darum geht, Donald Trump happy zu machen“, sagte Ischinger der Mediengruppe Bayern am Montag (30. Juni). „Es ist schlicht für unsere eigene Sicherheit notwendig.“
Deutschland nicht in den Top 3: Die Nato-Länder mit den größten Truppenstärken

Fotostrecke ansehenNato-Gipfel zeigte dramatische Abhängigkeit von Trump: Europäer wären „vollkommen schutz- und hilflos“
Der Nato-Gipfel habe gezeigt, wie dramatisch abhängig Europa nach wie vor von den USA sei und welche katastrophalen Folgen es hätte, wenn die USA sich von Europa abwenden würden. „Wir wären vollkommen schutz- und hilflos. Wir haben keine eigene Satellitenaufklärung. Wir haben keine Luftabwehr. Wir wären jedem Angreifer ausgeliefert“, führte Ischinger aus. „Das ist die nackte Wahrheit nach über 30 Jahren Vernachlässigung der eigenen Verteidigungsfähigkeit.“
Deutschland und die anderen Nato-Alliierten müssten alles daran setzen, die einseitige Abhängigkeit von den USA in den kommenden Jahren Schritt für Schritt systematisch so zu reduzieren, dass Europa sich selbst verteidigen könne.

Donald Trump auf dem Nato-Gipfel. © Piroschka Van De Wouw
Es sei „verantwortungslos, dass 450 Millionen Europäer sich nicht um ihre eigene Sicherheit kümmern“. Der Bevölkerung müsse „noch deutlicher“ gemacht werden, dass es um „Kriegsverhütung und Kriegsverhinderung“ gehe und nicht um „Kriegführung“, forderte Ischinger. „Und es geht um Abwehr von Gefahren und Bedrohungsszenarien auch für unsere Nato-Partner, etwa im Baltikum, die womöglich noch viel stärker bedroht sind als wir selbst.“
Sicherheitsexperte verteidigt Trump: Hilflosigkeit der Nato „ausschließlich die Schuld von uns Europäern“
Die Situation, von US-Präsident Trump außenpolitisch an die Seite gedrängt worden zu sein, schmerze ihn persönlich sehr, sagte Ischinger weiter. „Der Kleinst-Staat Katar am Golf hat im Augenblick mehr Gewicht als 450 Millionen Europäer.“ Dies sei jedoch „nicht die Schuld von Trump oder irgendwem sonst, sondern das ist ausschließlich die Schuld von uns Europäern selbst“, sagte Ischinger mit Verweis auf die uneinheitliche Haltung der EU.
Es geht um Abwehr von Gefahren und Bedrohungsszenarien auch für unsere Nato-Partner, etwa im Baltikum, die womöglich noch viel stärker bedroht sind als wir selbst.
„Dass wir jüngst auf dem Nato-Gipfel die Führungsfigur Trump so umgarnen mussten, ist, wenn man es selbstkritisch beachtet, auch ein gewisses Zeichen europäischer Schwäche und ein Zeichen für das Fehlen einer klaren, einheitlichen europäischen Stimme“, betonte Ischinger. „So macht man eben in Washington, in Moskau oder in Peking keinen Eindruck.“ Er hoffe sehr, dass die Bundesregierung dieses Ziel „mit großer Intensität in den kommenden Monaten anpackt“.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ging im ZDF davon aus, dass die USA zum Nato-Beistandspakt stehen. Auch er sagte, beim Fünf-Prozent-Ziel gehe es nicht darum, dem US-Präsidenten einen Gefallen zu tun, sondern um Einsicht und die richtigen Schlussfolgerungen. In den vergangenen Jahren sei viel zu wenig in Streitkräfte und Verteidigung investiert worden.
Nicht nur Trump drängelte: Höhere Verteidigungsausgaben der Nato auch wegen Ukraine-Krieg notwendig
Neben dem Drängen Trumps stand der Nato-Gipfel auch im Eindruck von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Vereinbarung zu den Verteidigungsausgaben sieht konkret vor, dass jeder Mitgliedstaat künftig einen Betrag von mindestens 3,5 Prozent des BIP aufwenden muss, um „Kernanforderungen im Verteidigungsbereich zu decken und die Nato-Fähigkeitsziele zu erfüllen“. Zudem werden zum Beispiel Ausgaben für die Terrorismusbekämpfung und militärisch nutzbare Infrastruktur angerechnet werden können. Das könnten etwa Investitionen in Bahnstrecken, panzertaugliche Brücken und erweiterte Häfen sein.

Der ehemalige Präsident der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, nimmt die Nato in Schutz. © WDR / Oliver Ziebe
Deutschland will das Ziel schon 2029 erreichen. So sieht es die mittelfristige Finanzplanung vor, die Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) vorgelegt und das Kabinett beschlossen hat. Bundeskanzler Friedrich Merz betonte, dass Deutschland das aus eigenem Antrieb mache und nicht, um Trump einen Gefallen zu tun. Er betonte, dass die Aussetzung der Schuldenbremse ein wichtiges Signal auf dem Weg zum Nato-Beschluss gesetzt habe. „Wir haben mit dieser Entscheidung auch eine gewisse Führungsrolle übernommen, der andere gefolgt sind.“ (bg/dpa)