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Mega-Deal mit Boxern? Nach unbestätigten Meldungen will die deutsche Bundesregierung zur Stärkung der Ostflanke 2.500 Exemplare des deutschen Schützenpanzers sowie 1.000 Leopard-Kampfpanzer kaufen. © IMAGO/Sven Eckelkamp
Endlich Schluss mit der Fähigkeitslücke? Die mickrige Panzerflotte der Bundeswehr und der Nato im Osten soll wachsen. Die Industrie wirkt überfordert.
Berlin – „Der Gesamtzustand der deutschen Wiederaufrüstung ist katastrophal“, schreibt Guntram Wolff. Zusammen mit anderen Analysten des in Brüssel sitzenden Thinktanks Bruegel hat Wolff Deutschland dieses Armutszeugnis Ende 2024 ausgestellt: „Kriegsbereit in Jahrzehnten“ lautete das Ergebnis der Wissenschaftler. Jetzt hat Deutschland aber vermutlich einen weiteren Schritt gemacht: Laut dem Wirtschaftsdienst Bloomberg will Deutschland 25 Milliarden Euro investieren, um die Nato-Truppen an der Ostflanke mit bis zu 1.000 Kampf- und bis 2.500 Schützenpanzern zu verstärken. Eine Investition, die Wladimir Putins Mütchen kühlen und ihm beweisen soll, dass er auf ein anderes Europa treffen würde, als das, dass vor dem Ukraine-Krieg von der Friedensdividende gezehrt hat. So zumindest die Theorie.
Auf Initiative von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und in enger Abstimmung mit Litauen ist jetzt dauerhaft eine Brigade der Bundeswehr in dem baltischen Staat stationiert. Dabei geht es um rund 5.000 Bundeswehrangehörige von 2025 an. Im Jahr 2027 soll die Brigade einsatzbereit sein, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. „In dieser Größenordnung hat es das in der Bundeswehr noch nie gegeben“, schreibt das Bundesministerium der Verteidigung. In diesem Zuge wird wohl auch der Fuhrpark der Nato-Streitkräfte vergrößert. Allerdings räumt Bloomberg ein, dass das Bundesverteidigungsministerium eine Stellungnahme zu diesem Panzerdeal verweigert hat.
Bundeswehr in der Zeitenwende: „Erhebliche“ Ausbildungs- und Ausrüstungslücken
Skepsis ist angebracht, dass die Bundesregierung dem Bündnis bis 2027 eine einsatzbereite schwere Division würde melden können. „Dieses Ziel wird trotz des Sondervermögens nicht erreicht werden“, mutmaßt der deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel in seinem Buch „Die Bundeswehr“. Allerdings hat er das vor dem Regierungswechsel geschrieben. Die von Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgelobte „Zeitenwende“ hat mit Friedrich Merz (CDU) vermeintlich an Dynamik gewonnen. Aber die von Neitzel apostrophierten „erheblichen“ Ausbildungs- und Ausrüstungslücken wird auch Merz kaum so schnell ausmerzen können.
„Stolperdraht reicht im Baltikum nicht mehr aus“
Die anonymen Quellen von Bloomberg sprechen von 1.000 zusätzlichen Leopard 2 und 2.500 GTK Boxer; die Kampfpanzer sollen von Rheinmetall und KNDS (ehemals Krauss-Maffei Wegmann) gefertigt werden und die Schützenpanzer vom Joint Venture der beiden Unternehmen unter dem Namen ARTEC. Zur Schließung der deutschen Fähigkeitslücken bestünden tatsächlich Konzepte und marktverfügbare Systeme, hat Historiker Neitzel geäußert, entscheidend sei aber die Frage, wann diese kampfbereit zur Verfügung stünden – und womöglich: Wer die bedienen soll.
Seit Ende des ersten Jahres des Ukraine-Krieges ist bekannt, dass ein Vorhaben von 3.500 einsatzbereiten neuen Gefechtsfahrzeugen in einem überschaubaren Zeitrahmen ins Reich der Phantasie gehört: Von dem Zeitpunkt an wurde diskutiert, was die Bundeswehr zu leisten imstande sei: Von den rund 300 Kampfpanzern gilt maximal ein Drittel als einsatzfähig. „Allerdings erscheint die Situation mit den Kampfpanzern in Deutschland paradox: Die deutsche Industrie, die damals über 3.600 Leopard-2-Panzer produzierte, kann heute die bei der Bundeswehr und in anderen Ländern, die diesen Panzer einsetzen, vorhandenen Exemplare nicht ausreichend warten“, schrieb das Magazin Defense Express.
Vorteil Putin: Wird Jahrzehnte dauern, bis die deutschen Militärbestände das Niveau von 2004 erreichen
Zu der Zeit hatte auch Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) – jetzt KNDS – gegenüber ntv zugegeben, dass die Glanzzeiten deutscher Rüstungsproduktion Geschichte seien. Aus der Zeit, als KMW imstande war, rund 300 Kampfpanzer pro Jahr auszuliefern, seien nur noch Kapazitäten für 50 Stück pro Jahr geblieben. Außerdem müsse aktuell die ganze Produktionslinie neu gedacht werden: Auf der einen Seite seien die Kampffahrzeuge komplexer geworden, also müssten mehr Teile verbaut werden; auf der anderen Seite seien Produktionsschritte im Stammwerk eingespart und an Subunternehmer ausgelagert worden. Darüber hinaus sei das Unternehmen mit der Wartung des vorhandenen Bestands hierzulande und in den Partner-Ländern gut ausgelastet.
Die Bruegel-Analysten um Guntram Wolff sind sicher, „dass es Jahrzehnte dauern wird, bis die deutschen Militärbestände bei den aktuellen Beschaffungsraten das Niveau von 2004 erreichen: Zehn Jahre für Kampfflugzeuge, 40 Jahre für Panzer und 100 Jahre für Haubitzen. Im Vergleich dazu würde Russland nur zwei bis sieben Monate benötigen, um die Bundeswehrbestände von 2021 zu erreichen“, schrieben sie Ende 2024.
Erst Mitte 2024 hat Deutschland 105 Leopard 2A8 für die litauische Brigade gekauft. Auch die sollen erst zwischen 2027 und 2030 anrollen. Die Mittel dafür stammten zum Teil aus dem Verteidigungshaushalt sowie aus dem Sondervermögen der Bundeswehr und beliefen sich auf rund drei Milliarden Euro. Diese Tranche folgte einer ersten Mitte 2023 über 18 Kampfpanzer Leopard 2A8 als Ausgleich für ältere Leopard, die an die Ukraine gegangen waren. Diese erste Tranche soll bis 2026 ausgeliefert sein.
Ukraine-Krieg macht klar: Kein Staat in Europa kann sich erlauben, Alleskönner-Armeen zu unterhalten
Wie viele Panzer braucht Deutschland also wieder? Für die Landes- wie gleichermaßen für die Bündnisverteidigung. Beide Aufgaben stellen gesonderte Anforderungen an die Beschaffung von Rüstungsgütern und deren Nutzer, also Panzerkommandanten, Fahrer und Schützen. Sind die übernommenen Teilstreitkräfte in ihrer bisherigen Form überhaupt noch zeitgemäß? Sollte die Bundeswehr ihre Panzerkräfte wieder verzehnfachen, um auf den Status quo ex ante des Kalten Krieges zurückzukehren, oder könnte Deutschland auch auf die mickrige Flotte von 300 Panzern sowieso ganz verzichten – 300 Panzer, von denen ohnehin nur 100 Stück den Weg an die Front antreten könnten?
„Eigentlich kann es sich kein Staat in Europa mehr leisten, solche Alleskönner-Armeen zu unterhalten“, hat Christoph Hickmann geschrieben. „Stattdessen müsste man sich verständigen, welche nationale Armee sich worauf spezialisieren soll – zumal niemand so genau weiß, wie die Einsätze der Zukunft aussehen, was man besonders dringend benötigen wird“, so der Kommentator der Süddeutschen Zeitung (SZ) vor zehn Jahren. Zu einer Zeit, in der Russland bereits die Krim annektiert hatte. Denn Breite vor Tiefe führe in die Mangelverwaltung, hatte Hickmann prophezeit – und ins Schwarze getroffen.
Pistorius ist gewarnt: „Stolperdraht reicht im Baltikum nicht mehr aus“
„Stolperdraht reicht im Baltikum nicht mehr aus“, hat die Bayerische Staatszeitung im September 2024 getitelt. Anlass war ein Informationsgespräch des Europaausschusses im bayerischen Landtag über den Fortschritt der Brigade Litauen. „Die Kasernen sind nigelnagelneu, es gibt Wohnungen, Schulen und Kindergärten“, berichtete Brigadegeneral des Heeres André Abed als Bevollmächtigter der Brigade Litauen. Infrastruktur ist wichtig. Nur lässt sich Russland allein davon nicht beeindrucken, dass sich deutsche Soldaten samt Anhang muckelig eingerichtet haben. SZ-Kommentator Hickmann wollte die Diskussion um die Ausstattung der Bundeswehr schon vor zehn Jahren aus der Fachöffentlichkeit herausholen und mit denen führen, „die mit der Truppe am liebsten nichts zu tun hätten“, wie er sich ausgedrückt hat. Verkürzt könnte die Frage lauten: Bequemlichkeit oder Bewaffnung first?
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Im Falle eines Angriffs bilden die Nato-Kräfte im Baltikum den Stolperdraht für anrückende russische Verbände. Ziel ist die Abschreckung durch Strafe, die auf dem Fuße folgt, anders als bisher in der Ukraine gehandhabt. Das verspreche eine wirksame Reaktion auf ein umfangreicher feindselig auftretendes Russland, wie Anfang 2022 der US-Oberst Thomas H. Melton in seiner Dissertation am US Army War College geschrieben hat. Allerdings scheinen ihm die Nato-Verbände trotz besten Willens und ambitionierter Anstrengung außerstande zu sein, Russland so zu bestrafen, dass das Putin-Regime das spüre, wie er schreibt.
„Angesichts der Herausforderungen der militärischen Mobilität, wie umkämpftem und beengtem Gelände, unzureichender Infrastruktur für doppelten Verwendungszweck und langen Verlegungszeiträumen nach und innerhalb Europas, ist jedoch zu bezweifeln, dass die Nato Russland mit konventionellen Streitkräften bestrafen könnte, bevor sie vor vollendete Tatsachen gestellt wird.“