Die Risiken von ernsthaften Verwerfungen der Weltwirtschaft sind offensichtlich. Doch der Bundesrat und die Schweizer Industrie handeln nachlässig.

Reuters
Eigentlich genügt ein kurzer Blick in die Zeitung, um sich zu vergegenwärtigen, wie gross die Gefahr von Verwerfungen der Weltwirtschaft gerade ist.
Doch trotz den sichtbaren Risiken agieren hierzulande sowohl der Bund als auch die Privatwirtschaft zu zögerlich, wenn es um die Versorgung mit kritischen Rohstoffen geht. Ihnen fehlt das geostrategische Gespür für die Herausforderungen der Gegenwart.
Plötzliche Panik
Als Antwort auf die US-Zölle schränkte China im Frühling die Ausfuhr von seltenen Erden ein. Für die Weltwirtschaft waren das schlechte Nachrichten, denn 90 Prozent aller seltenen Erden auf dem Weltmarkt werden von chinesischen Firmen gefördert.
Erst tat die Schweizer Industrie so, als sei sie davon gar nicht betroffen. Im April schrieb der Verband Swissmem, ihm seien keine Unternehmen bekannt, die zum damaligen Zeitpunkt Probleme bei der Versorgung mit seltenen Erden beklagt hätten. Die Konklusion des Branchenverbands: «Den Firmen ist die Herausforderung bezüglich der Sicherstellung der Versorgung mit Vorprodukten sehr bewusst.»
Schon im Juni klang es vom gleichen Verband anders, nun war Panik ausgebrochen. «Es sind echte Versorgungsengpässe für Schweizer Industrieunternehmen zu befürchten», sagte Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor von Swissmem. «Wenn die Firmen nicht bald Nachschub bekommen, wird die Situation gefährlich.»
Der Bundesrat macht es sich zu leicht
In Bern bekommt das Problem wenig Beachtung. Der Bundesrat legte in einem Bericht im Dezember vergangenen Jahres dar, wie die Schweiz ihre Rohstoffversorgung künftig besser absichern soll. Vage erhofft er sich darin eine «Verbesserung der Informationsgrundlagen» oder eine «Stärkung nationaler Koordination».
Doch die vorgeschlagenen Massnahmen, etwa eine jährliche Tagung des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) mit Branchenvertretern, lassen die nötige Dringlichkeit vermissen. Teilnahmen der Schweiz an Kooperationsabkommen im Rohstoffbereich sollen lediglich «geprüft» werden – ein zu lascher Aufruf in Zeiten, in denen sich zahlreiche Staaten händeringend um bessere Zugänge zu kritischen Rohstoffen bemühen.
In einer freien Marktwirtschaft ist es zwar nicht die Aufgabe der Regierung, den Unternehmen verbindliche Reservekapazitäten zu diktieren. Aber der Bundesrat macht es sich zu leicht, wenn er glaubt, mit losen Gesprächsrunden die Versorgungssicherheit retten zu können. So wäre es wichtig, dass sich der Bundesrat vehementer für bessere Rahmenbedingungen bei der Rohstoffversorgung einsetzt. Er könnte dafür sorgen, dass der Zugang zu kritischen Rohstoffen ein fester Bestandteil bei der Verhandlung neuer Freihandelsabkommen wird.
Doch auch Schweizer Unternehmen stehen in der Pflicht. Nach den Lieferkettenproblemen der Pandemie hatten sie gelobt, ihre Bestände vorausschauender zu planen. Nun reichen ein paar Wochen Unsicherheit an chinesischen Häfen aus, und prompt warnt die Schweizer Industrie vor dem drohenden Zusammenbruch.
Abhängigkeiten lassen sich vermindern
Dabei gäbe es historische Beispiele, von denen die Schweiz lernen könnte. 2010 verhängte China inmitten eines Streits um Hoheitsgewässer einen Stopp für den Export von seltenen Erden nach Japan, woraufhin sich die japanische Wirtschaft per Schocktherapie mit den neuen Lieferbedingungen arrangieren musste. Sie verringerte die verbrauchten Mengen von seltenen Erden durch technologische Innovation, förderte den Aufbau einer Recycling-Infrastruktur, sorgte mit strategischen Partnerschaften für neue Raffineriestandorte. Von der Regierung wurde der Umbau angestossen und unterstützt.
Das Ergebnis zeigt, dass sich Rohstoffabhängigkeiten aufweichen lassen. Gegenüber 2010 verbraucht die japanische Industrie heute nur noch halb so viele seltene Erden. Kamen damals 90 Prozent aller Mengen aus China, sind es heute nur noch 60 Prozent.
Während viele westliche Länder Chinas Willkür im Handel von Rohstoffen ausgeliefert sind, können die Japaner den Drohungen Pekings heute viel gelassener begegnen. Sie haben verinnerlicht, dass strategische Weitsicht in einer politisch immer stärker aufgeladenen Handelswelt zwingend ist.
Auch die Schweiz täte gut daran, sich endlich mit mehr Konsequenz auf die neue Realität einzustellen.