Vasyl Khymynets, seit Oktober 2021 ukrainischer Botschafter in Österreich, über die fortdauernde Abhängigkeit Österreichs von Russlands Energiequellen, Gemeinde-Partnerschaften, die Rolle Österreichs beim Wiederaufbau seines Landes sowie seine Einstellung zu Opernsängerin Anna Netrebko.

ÖSTERREICH. Täglich empfängt Vasyl Khymynets in der Botschaft in Wien-Währing Dutzende ukrainische Staatsbürger, die Unterstützung benötigen, wie er erzählt. Am Anfang des Kriegs war es täglich eine lange Schlange, die sich vor der großen Villa gebildet hat. Im Gespräch mit MeinBezirk erzählt der Botschafter über die Herausforderungen beim Wiederaufbau seines Landes, über die tägliche Angst, mit der die Bevölkerung lebt, und über die Unterstützung durch österreichische Gemeinden. In einer Sommer-Tour durch Österreich trifft er auf zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, um über gemeinsame Projekte und Partnerschaften zu sprechen.

MeinBezirk: Das 18. Sanktionspaket gegen Russland kam wegen Widerstands aus Ungarn und der Slowakei vorerst nicht zustande. Es sieht ein komplettes Aus für Gaslieferungen aus Russland Ende 2027 vor, sowie einen Ölpreisdeckel. Der slowakische Präsident Robert Fico fürchtet, dass die Energieversorgung mit dem Paket empfindlich teurer würde. Wie beurteilen Sie dies hinsichtlich der Lage in Österreich?
Vasyl Khymynets: Wir sprechen heute über das 18. Sanktionspaket – und das aus verständlichem Grund: Die anhaltende russische Aggression gegen die Ukraine, die sich in täglichen Terrorangriffen auf zivile Infrastruktur und Wohngebiete äußert, erfordert eine klare und entschlossene Antwort der internationalen Gemeinschaft. Bislang hat Präsident Putin keine ernsthaften Konsequenzen für seine kriegerischen Handlungen tragen müssen – weder für den Krieg gegen Georgien 2008, noch für den Abschuss von Flug MH17 oder die Annexion der Krim. Diese Straflosigkeit hat ihn nur weiter ermutigt. Solange er seine Ziele ohne spürbare Kosten verfolgen kann, wird er diesen Krieg fortsetzen – und genau das tut er. Deshalb ist dieses 18. Sanktionspaket so wichtig. Es geht darum, den Preis für seine Aggression so hochzutreiben, dass ein Weitermachen nicht mehr tragbar ist. Illusionen über ein plötzliches Umdenken Putins dürfen wir uns nicht machen. Frieden wird es nur geben, wenn der Krieg für Russland zu teuer wird. In der EU ist es Teil des demokratischen Prozesses, dass solche Maßnahmen umfassend diskutiert und von allen Mitgliedstaaten getragen werden müssen. Doch gerade in dieser Einigkeit liegt unsere Stärke.

Ukraines Präsident Volodymyr Selenskyi sagte bei seinem Besuch in Wien, es brauche Sanktionen auf Energieträger und auf Erdöl, um auf Russlands “Gräueltaten” reagieren zu können. Österreich bezieht immer noch Gas aus Russland und vertritt die Meinung, Gaslieferungen könnten Teil der Verhandlungen über ein Friedensabkommen werden. Welche Meinung haben Sie dazu?
Aus Erfahrung wissen wir: Russland nutzt seine Energieexporte – insbesondere Gas – gezielt als politisches Druckmittel. Schon vor Beginn des großangelegten Angriffskrieges 2022 hat Putin als faktischer Monopolist die Gaspreise massiv erhöht, um Europa unter Druck zu setzen. Die Frage, die sich Europa stellen muss, lautet daher: Wollen wir uns weiterhin von russischen Energielieferungen abhängig machen? Es gibt Alternativen – nicht nur zu russischem Gas, sondern auch zu fossilen Energieträgern insgesamt. Österreich hat im Herbst letzten Jahres seine Verträge mit Russland beendet – und es funktioniert. Gleichzeitig entwickelt sich der Markt für erneuerbare Energien weiter. Auch die Ukraine arbeitet erfolgreich mit europäischen Partnern, etwa im Bereich Wasserstoff – gemeinsam mit österreichischen Unternehmen. Wir dürfen dabei nicht vergessen: Gas und Öl sind für Putin nach wie vor zentrale Finanzierungsquellen für seinen Krieg. Die russische Wirtschaft ist längst auf Kriegsproduktion ausgerichtet – jede Einnahme fließt in die Rüstung, in die Zerstörung, in den Tod. Der Krieg richtet sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern zunehmend auch gegen Europa. Deshalb ist klar: Wenn wir unsere Sicherheit und unsere Zukunft ernst nehmen, müssen wir bereit sein, dafür auch einen Preis zu zahlen. Die alten Abhängigkeiten führen in eine Sackgasse. Und es ist nicht Europa, das diesen Bruch verursacht hat – es ist die logische Antwort auf jahrelange russische Erpressungspolitik.

Ist Österreich Ihrer Meinung nach zu zögerlich, wenn es um einen vollständigen Ausstieg aus russischen Gas- und Stromlieferungen geht?
Wir sehen deutlich, dass Österreich die gemeinsamen europäischen Maßnahmen unterstützt – auch bei früheren Sanktionspaketen. Dafür sind wir sehr dankbar. Es ist wichtig, dass die Ukraine und Österreich in einem konstruktiven Dialog stehen und gemeinsame Zukunftsprojekte vorantreiben. Unsere Zusammenarbeit entwickelt sich positiv – insbesondere im Bereich Wasserstoff. Österreichische Unternehmen zeigen hier großes Interesse, sowohl an der Produktion als auch am Transport. Ein bedeutender Schritt war der Besuch einer hochrangigen österreichischen Wirtschaftsdelegation in der Ukraine, bei dem auch Vertreter der Energiewirtschaft anwesend waren. Im Rahmen dieses Besuchs wurde ein Memorandum zur Zusammenarbeit im Wasserstoffsektor unterzeichnet – ein starkes Signal für die vertiefte Partnerschaft beider Länder.

Die österreichische Wirtschaft wird sich am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. 200 österreichische Unternehmen sind vor Ort. Welche Branchen sehen Sie am notwendigsten?
Ich sehe sehr positiv, dass das Interesse der österreichischen Wirtschaft an der Ukraine deutlich zunimmt. Der kürzliche Besuch der hochrangigen österreichischen Wirtschaftsdelegation war ein starkes Zeichen – mit vielen namhaften Vertreterinnen und Vertretern aus verschiedenen Branchen. Dieses wachsende Engagement ist nicht nur ein Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine, sondern stärkt gleichzeitig auch die heimische Wirtschaft in Österreich, etwa durch die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen.
Auch beim jüngsten Besuch von Präsident Selenskyj wurden wichtige wirtschaftliche Signale gesetzt: Zur Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde eine gemeinsame Deklaration zwischen dem österreichischen Wirtschaftsminister und der ukrainischen Vizepremierministerin unterzeichnet. Darin bekennt sich Österreich klar zum Wiederaufbau der Ukraine und bringt zum Ausdruck, dass es sich aktiv daran beteiligen möchte.
Besonders große Potenziale sehen wir in den Bereichen Infrastruktur, Wohnungsbau, Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen, Gesundheitsversorgung – etwa der Wiederaufbau von Kliniken – sowie im Bereich der Eisenbahninfrastruktur, Energieversorgung und Landwirtschaft. All das sind essenzielle Bereiche, die durch den russischen Angriffskrieg massiv zerstört wurden und nun gezielt wiederaufgebaut werden müssen. Die österreichische Wirtschaft kann hier nicht nur einen wichtigen Beitrag leisten, sondern auch ihre Stärken und Kompetenzen einbringen.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hat mit der Ukraine ein Memorandum erneuert über einen Erfahrungsaustausch und um Expertise in der Landwirtschaft. Worum geht es da konkret?
Auch im Bereich der Landwirtschaft entwickelt sich die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und Österreich positiv. Das jüngste Treffen der beiden Landwirtschaftsminister hat gezeigt, wie wichtig der bilaterale Austausch ist – nicht nur, um sich gegenseitig zu unterstützen, sondern auch, weil beide Seiten von einer vertieften Kooperation profitieren. Wir sind keine Konkurrenten, sondern Partner mit einem gemeinsamen Ziel: die Produktion von Lebensmitteln zu steigern.
Ukrainische Agrarprodukte sind weltweit gefragt – rund 500 Millionen Menschen, insbesondere in Ländern des globalen Südens, sind auf diese Nahrungsmittel angewiesen. Wenn wir ernsthaft darüber sprechen, neue Migrationswellen zu verhindern, liegt ein Teil der Antwort genau hier: Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass ukrainische Produkte sicher und effizient die Märkte erreichen. Das liegt im Interesse Europas und der Welt.
Darüber hinaus ist die Ausbildung ein zentrales Thema. ZigTausende ukrainische Landwirte sind in den Krieg gezogen und werden nun durch Familienangehörige oder andere Menschen ersetzt, die dringend Schulungen benötigen. Österreich hat in der landwirtschaftlichen Bildung große Stärken, etwa im Bereich Pflanzenbau oder Fleischverarbeitung – und kann hier wertvolle Unterstützung leisten. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen beider Länder ist daher sehr wünschenswert.
Ein weiteres dringendes Thema ist die humanitäre Entminung: Viele landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine sind nach wie vor vermint und nicht nutzbar. Österreich engagiert sich bereits in diesem Bereich – durch finanzielle Beiträge und die Unterstützung entsprechender Projekte. Es geht dabei ausdrücklich nicht um militärische Hilfe oder Truppenentsendungen, sondern um humanitäre Unterstützung, etwa durch Ausrüstung, Ausbildung und Finanzierung. Die Ukraine ist bereit, diese Aufgaben selbst durchzuführen – mit Hilfe eines nationalen Fonds, in dem auch internationale Partner Beiträge leisten können. Bereits heute werden viele Frauen in speziellen Kursen für Entminungstätigkeiten ausgebildet. Außerdem verfügen wir über umfangreiche Erfahrung im Einsatz von Drohnentechnologie – nicht nur militärisch, sondern auch im zivilen Bereich, etwa in der Landwirtschaft. Auch hier sehen wir Potenzial für eine vertiefte Zusammenarbeit mit Österreich.

Österreich streicht die Familienbeihilfe für ukrainische Geflüchtete mit Ende Oktober. Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) will damit mehr Ukrainerinnen und Ukrainer für den Arbeitsmarkt begeistern. Derartige Leistungen soll es künftig nur bei Arbeit geben. Konkret bedeutet das, sich beim AMS zu melden. Beißt sich da die Katze nicht in den Schwanz, weil es für ukrainisch Staatsbürger nicht so einfach ist, am Arbeitsmarkt in Österreich Fuß zu fassen?
Ich bin sehr dankbar – sowohl den Vertreterinnen und Vertretern der österreichischen Bundesregierung als auch jenen auf Landes- und Gemeindeebene – sowie den vielen Hilfsorganisationen, die seit Beginn des Krieges den geflüchteten Menschen aus der Ukraine mit großer Menschlichkeit begegnet sind. Viele von ihnen sind unter schwierigsten Bedingungen nach Österreich gekommen – oft ohne Dokumente, nur mit dem Nötigsten, oft mit Kindern oder Haustieren. Für viele war es das erste Mal, dass sie überhaupt ihr Land verlassen mussten – psychisch und physisch erschöpft.
Dass sie hier in Österreich Schutz und Unterstützung gefunden haben, ist keine Selbstverständlichkeit. Dafür sind sie – und wir als Gesellschaft – zutiefst dankbar. Diese Hilfe wurde auf allen Ebenen geleistet: vom Bund bis hin zu kleinen Gemeinden. Und sie wird in Erinnerung bleiben. Wenn die Menschen eines Tages zurückkehren, werden sie ein Stück dieser Erfahrung mitnehmen – so etwas vergisst man nicht. Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben sich in Österreich sehr gut integriert, sie genießen einen guten Ruf: als engagierte, europäisch gesinnte Menschen mit ähnlichen Werten, kulturellen Gemeinsamkeiten und großem Willen, sich einzubringen – sei es im Alltag oder am Arbeitsmarkt.

Viele von ihnen arbeiten bereits, andere würden gerne arbeiten, stoßen jedoch auf strukturelle Hürden. Sehen Sie das auch so?
Einfache Lösungen gibt es nicht – jedes einzelne Schicksal verdient individuelle Aufmerksamkeit. Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden in Österreich sehr positiv wahrgenommen, viele haben bereits Arbeit gefunden und sind aktiv in die Gesellschaft eingebunden. Aus meiner Sicht ist es besonders wichtig, dass jene, die vorübergehend hier leben, diese Zeit nutzen, um Erfahrungen zu sammeln, Einblicke in europäische Strukturen zu gewinnen und Netzwerke aufzubauen. Denn all das – berufliche, soziale und kulturelle Kontakte – wird wertvoll sein, wenn sie eines Tages zurückkehren.
Der Wiederaufbau der Ukraine soll dabei nicht nur als physischer Aufbau verstanden werden, sondern auch im weiteren Sinne: als mentaler, kultureller, bildungsbezogener und wirtschaftlicher Neuanfang. Die Erfahrungen, die Geflüchtete hier in Österreich machen, sollen zur Gestaltung eines modernen, europäischen Landes beitragen – nicht zuletzt im Hinblick auf den angestrebten EU-Beitritt der Ukraine. Schon jetzt zeigt sich, wie stark Ukrainerinnen und Ukrainer integriert sind: Kinder engagieren sich in Sportvereinen, lernen schnell die Sprache, knüpfen Freundschaften. Auch viele Erwachsene sind aktiv. Der Wunsch ist, dass möglichst viele eines Tages zurückkehren und ihr Wissen beim Wiederaufbau einbringen – doch letztlich entscheidet jeder Mensch für sich, ob er zurückkehrt oder in Österreich eine neue Heimat findet. Auch wenn manche bleiben, bleiben sie Teil der Ukraine – als Brücke zwischen den beiden Ländern, als Träger der ukrainischen Kultur und Identität, und als Botschafter eines Europas, das sie durch ihre eigene Geschichte mitgestalten.

Sie touren im Sommer durch österreichische Gemeinden. Was erwarten Sie sich davon?
Im Rahmen seiner Sommerreise lege ich bewusst großen Wert auf den direkten Kontakt zu Gemeinden und Bürgermeistern in ganz Österreich. Denn gerade auf Gemeindeebene wird die konkrete Unterstützung für geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer geleistet – sei es durch Unterbringung oder menschliche Zuwendung. Den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gilt daher sein ausdrücklicher Dank.
Darüber hinaus bitte ich um praktische Hilfe für die vom Krieg betroffenen Kommunen in der Ukraine: Lösch- und Rettungsfahrzeuge, Schulmöbel, Ausrüstung für Kliniken – vieles wird dringend benötigt, um das öffentliche Leben unter widrigsten Umständen aufrechtzuerhalten. Die Zerstörungen, verursacht durch Russland, sind enorm: Bisher wurden über 2.300 beschädigte medizinische Einrichtungen bestätigt, davon sind mehr als 300 vollständig zerstört. Besonders hilfreich ist es, wenn Gemeinden in Österreich ausgemusterte, aber funktionstüchtige Ausstattung weitergeben können.
Es geht dabei auch um Gespräche zum Wiederaufbau der Ukraine im europäischen Kontext. Dafür setze ich stark auf Gemeindepartnerschaften. Diese schaffen nicht nur konkrete Hilfe, sondern auch menschliche Verbindungen, Vertrauen und langfristige Netzwerke. Die Partnerschaft zwischen Grafenwörth und Globino in der Ukraine etwa zeigt, wie gemeinsames Engagement – auch über Drittländer wie Italien – zum Tragen kommt, etwa durch Projekte im Bereich erneuerbare Energie oder medizinische Versorgung.
Beispielhaft ist auch die Partnerschaft zwischen Bregenz und Jaremtsche: Sie konzentriert sich auf den Austausch von Kindern und Unterstützung im Gesundheitswesen. Solche Kooperationen schaffen Vertrauen – und wo dieses Vertrauen besteht, gelingt Zusammenarbeit schnell, zielgerichtet und wirksam. Langfristig soll eine jährliche Konferenz für Gemeindepartnerschaften etabliert werden, um den Dialog zwischen österreichischen und ukrainischen Gemeinden zu fördern, Synergien zu nutzen und den Wiederaufbau aktiv mitzugestalten. Denn jede Partnerschaft ist ein Baustein für eine gemeinsame europäische Zukunft.

Gemeindebundpräsident Johannes Pressl plant eine Plattform für Sachspenden aus österreichischen Gemeinden einzurichten. Was konkret wird am dringendsten benötigt?
Die wichtigsten Hilfsmittel sind kommunale Fahrzeuge jeglicher Art, die sofort zur Verfügung gestellt werden können, um das Leben in den ukrainischen Gemeinden aufrechtzuerhalten. Die lokalen Politiker in der Ukraine wissen genau, worum es geht und wie diese Unterstützung wirkt.
Ein weiterer zentraler Bereich ist das Gesundheitswesen: Alte medizinische Geräte und Ausrüstung aus österreichischen Kliniken sind dringend benötigt, da viele Einrichtungen vor Ort zerstört wurden.
Darüber hinaus liegt ein großer Fokus auf dem Schulwesen. Die Qualität der Ausbildung soll trotz der Belastungen durch Krieg und Pandemie gewährleistet werden. Dazu gehören Ausstattung wie Tafeln, Mobiliar und weitere Schulmaterialien. Zusätzlich engagieren sich die Gemeinden, ukrainische Kinder aus Partnergemeinden im Sommer für einige Tage oder eine Woche nach Österreich zu holen, damit sie sich von der psychischen Belastung erholen können. Dabei sollen sie auch neue Freundschaften schließen und Perspektiven für die Zukunft gewinnen.

Wie sehen Sie die Auftritte der russischen Opernsängerin Anna Netrebko in Österreich, die etwa in der Staatsoper immer noch auf der Bühne steht?
In Österreich herrscht die Auffassung, Kultur sei unpolitisch – doch dem widersprechen Persönlichkeiten wie Anna Netrebko, sowie manche Sportler und Künstler, die großen Einfluss haben. Ihre öffentlichen Aussagen prägen die Wahrnehmung der Menschen, weshalb es für mich problematisch ist, dass jemand wie Anna Netrebko weiterhin hier auf den Bühnen präsent ist. Anna Netrebko hat sich in der Vergangenheit öffentlich mit dem russischen Regime solidarisiert und russische Militärgruppen im Osten der Ukraine unterstützt – auch finanziell mit einem erheblichen Geldbetrag. 2014 trat sie auf Bildern mit prorussischen Symbolen auf und stellte sich offen an die Seite der Aggressoren. Ihre Nähe zu Putin wurde sogar von der russischen Wahlkommission hervorgehoben. Eine glaubwürdige Distanzierung von diesen Positionen oder eine eindeutige Verurteilung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steht bis heute aus. Auch ihr Statement von 2022 bleibt bewusst vage und benennt Russland nicht als Täter. In einem Land wie Österreich, das für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und europäische Werte steht, sollte hinterfragt werden, ob kulturelle Bühnen für Personen offenstehen sollten, die autoritäre Gewalt durch ihr Verhalten legitimiert haben. 

Ist es realistisch, dass Österreich Verhandlungsort für die Kriegspartner ist?
Warum es nicht realistisch ist, liegt daran, dass Russland derzeit keinerlei Interesse an Friedensgesprächen zeigt. Putin setzt weiterhin auf Zerstörung und verfolgt das Ziel der Kapitulation der Ukraine. Deshalb müssen wir gemeinsam den Druck auf ihn erhöhen und entschlossen auf jeden Terroranschlag reagieren. Wir dürfen Putin keine Hoffnung auf Schwäche oder Nachgiebigkeit geben. Frieden entsteht durch Stärke – ein Prinzip, das unsere amerikanischen Partner bereits erfolgreich angewandt haben. Neue Sanktionen sind essenziell, um Russland die finanziellen Mittel für den Krieg zu entziehen. Dieser Krieg dient Putin als Bühne, um Macht zu demonstrieren – so perfide das klingt. Doch ohne Ressourcen verliert er seine Schlagkraft. Daher ist die von Österreich geleistete Hilfe von großer Bedeutung: Sie rettet Menschenleben und wird in der Ukraine mit großer Dankbarkeit aufgenommen. Wenn Russland schließlich keine Optionen mehr hat, wird es gezwungen sein, ernsthafte Friedensgespräche zu führen – möglicherweise sogar hier in Wien.

Danke für das Gespräch.

Information:
Bereits jetzt laufen die Vorbereitungen für den Wiederaufbau der Ukraine. Internationale Geldgeber und Investoren entwickeln Projekte, um unmittelbar nach Kriegsende kurz- und langfristige Wiederaufbaumaßnahmen unter dem Leitprinzip „Build Back Better“ einzuleiten.

Die Entwicklung und Umsetzung von Infrastrukturprojekten im Rahmen des Wiederaufbaus der Ukraine eröffnet vielversprechende Geschäftschancen für die heimische Wirtschaft. In den kommenden zehn Jahren sind rund 850 Projekte mit unterschiedlichen Laufzeiten geplant.  

Für Unternehmen, die sich an diesem Prozess beteiligen möchten, stehen bereits Fördermöglichkeiten zur Verfügung. Über die Plattform go-international kann etwa ein Projektgeschäfts-Scheck beantragt werden, der eine 50-prozentige Kofinanzierung projektbezogener Kosten (bis maximal 15.000 Euro) ermöglicht. Voraussetzung ist die Teilnahme an einer der bereits veröffentlichten Ausschreibungen.
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