Frau Professor Schnitzer, wenn US-Präsident Trump sich von Ihnen als Chefin der deutschen Wirtschaftsweisen beraten lassen würde, was wären Ihre Empfehlungen für den US-Präsidenten?
Monika Schnitzer: Ich würde ihm sagen, dass Zölle der falsche Weg sind, um Amerika nach vorne zu bringen. Ich würde ihm verdeutlichen, dass sein Ziel, mit Zöllen auf Importe in die USA Arbeitsplätze nach Amerika zurückzuholen, nicht funktioniert. Der Wohlstand der USA geht ja auch auf die internationale Arbeitsteilung zurück. Dabei werden in unterschiedlichen Ländern Vor- und Zwischenprodukte je nach den Standortfaktoren und Fähigkeiten der dortigen Unternehmen gefertigt. Die US-Wirtschaft profitiert davon, wenn sie diese Vorprodukte aus anderen Ländern günstig bezieht. Das gilt natürlich auch für Endprodukte wie iPhones von Apple, die in Asien deutlich billiger als in den USA produziert werden.
Das klingt logisch. Doch Trump hat seine eigene Logik.
Schnitzer: Dennoch würde ich ihn vor der Annahme warnen, er könne das Rad der Geschichte 30 bis 50 Jahre zurückdrehen und gleichzeitig den jetzigen Wohlstand erhalten. Das ist eine Illusion. Wir Ökonominnen und Ökonomen sind davon überzeugt: Amerika wird durch die Politik des US-Präsidenten Wohlstand verlieren. Auch Großbritannien hat, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als künftig die USA, nach dem Brexit Wohlstand eingebüßt.
Noch droht Trump der EU mit deftigen Zöllen. Doch wahrscheinlich kommt es zu einem Deal. Machen wir uns zu große Sorgen?
Schnitzer: Selbst wenn es im Zuge von Verhandlungen zu einem Deal kommt, tritt der Schaden für Europa bereits jetzt ein. Denn Trump verbreitet durch seine Drohungen ein so hohes Maß an Unsicherheit, dass Unternehmen weniger investieren. Unter Trumps Vorgänger Biden war die Situation komplett anders. Denn nach dessen Inflation Reduction Act wurden etwa Investitionen in erneuerbare Energien und Klimaschutz gefördert. Viele, auch deutsche Firmen, investierten in den USA, um von diesen Subventionen zu profitieren. Trump wickelt diese Subventionen ab und setzt auf Zölle. Er will Unternehmen aus dem Ausland mit diesem Druckmittel zwingen, in den USA zu produzieren.
Funktioniert die brachiale Trump-Methode?
Schnitzer: Das ein oder andere Unternehmen wird sich darauf einlassen.
Dann bekommt Trump, was er will.
Schnitzer: Wenn Unternehmen auf Druck Trumps ihre Produktion in die USA verlagern, werden die Produkte teurer. Schließlich werden sie nicht ohne Grund in anderen, günstigeren Ländern gefertigt. Die internationale Arbeitsteilung senkt die Kosten. Deutsche Autohersteller produzieren bestimmte Automodelle schon lange in den USA, unter anderem, weil sie günstige Vorprodukte aus dem benachbarten Mexiko beziehen. Ein Großteil wird direkt vor Ort verkauft, aber viele Fahrzeuge werden wieder exportiert, auch nach Europa. Wenn aber die Autobauer nun auf Druck von Trump die ganze Modellpalette in den USA herstellen würden, wären die Stückzahlen für jedes Modell nicht so groß. Das verteuert die Autos. Die Vorteile der Massenproduktion würden künstlich reduziert.
Trump könnte viele Zusammenhänge verstehen, wenn er sich von Ihnen oder amerikanischen Ökonomen beraten ließe. Das tut er jedoch nicht. Ist er beratungsresistent?
Schnitzer (lacht): Ja, ich fürchte, Trump ist in der Tat beratungsresistent. Er sieht nicht, dass sich Industrie-Arbeitsplätze nicht einfach so nach Amerika zurückholen lassen. Es ist auch völlig unrealistisch, dass amerikanische Arbeiter iPhones zu solch niedrigen Löhnen wie in anderen Ländern herstellen wollen. Da macht sich Trump falsche Vorstellungen. Andererseits sind die US-Tech-Firmen, also Apple, Amazon & Co., in Dienstleistungen sehr erfolgreich. Im Dienstleistungsbereich exportiert Amerika deutlich mehr in die Europäische Union, als es importiert.
Dennoch hält Trump stur an seinen Zollplänen fest.
Schnitzer: Das hat meines Erachtens auch damit zu tun, dass er mit Gewalt die Steuereinnahmen senken will. Dafür braucht er einen finanziellen Ausgleich. Er verhängt Zölle in der Hoffnung, andere Nationen gleichen die amerikanischen Steuereinbußen aus. Diese Steuersenkungen kommen aber vor allem reichen US-Bürgern zugute und hier vor allem den Eigentümern der Tech-Konzerne. Der durchschnittliche US-Bürger leidet unter der Politik Trumps.
Und deutsche Konzerne, die Waren in die USA exportieren, leiden ebenfalls unter der Trump-Politik.
Schnitzer: In der Tat, sie werden auf dem amerikanischen Markt weniger wettbewerbsfähig. Gleichzeitig werden sie die Kosten für die hohen Zölle nicht alleine aufbringen, schließlich erwirtschaften EU-Autohersteller bei weitem keine Margen von 30 Prozent. Diese Unternehmen geben die Zölle also weiter an amerikanische Verbraucherinnen und Verbraucher, was zu Preiserhöhungen führt. Am Ende zahlt die amerikanische Bevölkerung.
Trump heizt demnach die Inflation in den USA kräftig an.
Schnitzer: Genau. Trump produziert Inflation, worunter gerade ärmere Menschen in den USA besonders leiden, denen auch noch die Gesundheitsversorgung gekürzt wird. Aber noch wagt niemand, sich zu wehren. Trump erzeugt derzeit so viel Druck, dass keiner die Revolte gegen ihn wagt.
Bröckelt nicht das Vertrauen vieler US-Bürger in Trump?
Schnitzer: Ich war unlängst in den USA an der University of Berkeley unweit von San Francisco. Ich habe dort unter anderem mit Unternehmensvertretern gesprochen. Manche Manager finden es durchaus gut, dass Trump Steuern senkt und die Wirtschaft dereguliert. Die breite Masse profitiert indes nicht von der Politik.
Wenn Sie Trump beraten dürften, würden Sie ihm all das erzählen.
Schnitzer (lacht): Ja, doch leider traut sich derzeit kein Politiker, ob aus den USA oder aus dem Ausland, ihm all diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Schließlich fürchtet jeder sofort, bei Trump in Ungnade zu fallen. Ich würde ihm all das gerne sagen, schließlich bin ich nicht von ihm abhängig.
Am Ende isst Trump nichts so heiß, wie er es hochkocht. Welcher Deal steht auf seinem Speiseplan?
Schnitzer: Trump will durch die Zolldrohungen gegenüber der EU Vorteile für seine großen Unterstützer aus dem amerikanischen Tech-Bereich, also für Meta, Alphabet, Amazon und Apple, rausholen. Ihm geht es also darum, Brüssel zu zwingen, die aus Sicht dieser amerikanischen Tech-Unternehmen lästige und teure EU-Wettbewerbsregulierung einzudämmen. Konkret geht es zum Beispiel um den Digital Markets Act. Den will Trump aufweichen, und die EU wackelt leider.
Wie sollte sich Brüssel verhalten?
Schnitzer: Europa sollte Trump nicht nachgeben und weiter Druck auf die US-Tech-Riesen ausüben und ihnen die gewünschten Mitspracherechte bei der EU-Regulierung verwehren. Die europäischen Regeln verpflichten amerikanische Tech-Konzerne etwa dazu, konkurrierende App-Stores auf ihren Geräten zuzulassen und ihre eigenen Dienste nicht bevorzugt zu platzieren. Bei einem Verstoß drohen den amerikanischen Konzernen happige Geldstrafen.
Worauf zielt der US-Präsident nun ab?
Schnitzer: Trump will im Sinne der US-Tech-Monopolisten, die ihn finanziell unterstützt haben, die EU-Regeln aufweichen. Europa muss aber am Digital Markets Act festhalten, sind diese Regeln doch ein enormer Fortschritt im Kampf für fairen Wettbewerb. Ich habe als Ökonomin den Weg dorthin wissenschaftlich begleitet. Diese EU-Wettbewerbsregeln sind den US-Tech-Konzernen allerdings ein Dorn im Auge. Deswegen hofieren sie Trump. Diese Tech-Monopolisten wollen weiterhin Monopol-Gewinne erwirtschaften und noch reicher werden.
Erpresst Trump Europa mit möglichen 30-prozentigen Zöllen, weil er Bezos & Co. einen Liebesdienst erweisen will und die EU-Wettbewerbsregeln zu torpedieren versucht?
Schnitzer: Genau so ist es. Ich bin mir sicher, dass Trump auch deswegen Europa derart hohe Zölle androht.
Soll EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nachgeben, um der europäischen Industrie zu hohe Zölle zu ersparen? Oder sollen wir klare Kante gegenüber Trump zeigen?
Schnitzer: Wir müssen stark bleiben gegenüber Trump und dürfen nicht nachgeben und US-Tech-Konzerne begünstigen. Denn das ist unsere einzige Chance, um die Monopole amerikanischer Tech-Riesen zu bekämpfen. Die Devise in Brüssel muss also lauten: Stark bleiben und nicht auf die Drohungen Trumps eingehen.
Und wenn Trump wirklich 30-prozentige Zölle verhängt?
Schnitzer: Dann müssen wir in der EU dagegenhalten.
Sollte Brüssel eine Digitalsteuer gegen Amazon & Co., also Trumps Geldgeber, verhängen?
Schnitzer: Eine Digitalsteuer ist nicht die beste Lösung.
Warum denn? Eine Digitalsteuer trifft doch die digitalen Monopolisten.
Schnitzer: Eine solche Steuer könnte am Ende aber auch bei europäischen Unternehmen ankommen, wenn sie etwa Software von Microsoft nutzen und nach Verhängung einer Digitalsteuer mehr dafür zahlen müssen.
Wie kann Europa dann wirkungsvoll gegenüber Trump vorgehen?
Schnitzer: Zum Beispiel, indem die EU auf die Werbeeinnahmen, die Google und andere Tech-Riesen erzielen, eine Steuer erhebt. Das zeigt: Es gibt Stellen, an denen wir Trump ärgern können. Schließlich erzielen die amerikanischen Big-Tech-Unternehmen rund 40 Prozent ihrer Einnahmen in Europa. Damit haben wir einen großen Hebel gegen Trump in der Hand.
Gibt es weitere wirkungsvolle Hebel?
Schnitzer: Ja, wir könnten den USA etwa strategisch wichtige europäische Vorprodukte, zum Beispiel für die Chipfertigung, verwehren. Damit könnten wir Amerika empfindlich ärgern. Wenn Europa und China gegenüber Trump nicht Stärke zeigen, wer macht es dann? Dabei darf sich Europa von Trump nicht spalten lassen. Wir müssen an einem Strang ziehen und nicht Extra-Deals für einzelne EU-Länder aushandeln. Und dann können wir noch unsere europäische Giftliste in Kraft setzen.
Wie toxisch ist die Liste für Trump?
Schnitzer: Das wären nicht nur Zölle auf Jeans, Whiskey oder Harley-Motorräder, sondern auch Produkte, die die USA aus Europa dringend benötigen. Auf diese Produkte könnten wir dann einen Export-Zoll erheben. Unternehmen dürften etwa Vorprodukte für die Chipherstellung in die USA liefern, die Einnahmen aus den Exportzöllen würden jedoch an die jeweiligen EU-Länder gehen. Amerika müsste tiefer in die Tasche greifen. Eine weitere Gegenmaßnahme wäre, US-Firmen bei öffentlichen Ausschreibungen in der EU auszuschließen.
Und wo bleibt der Deal mit dem US-Präsidenten?
Schnitzer: Am Ende brauchen wir einen Deal mit Trump, bei dem nicht nur Europa nachgibt. Es gibt keinen Grund, einzuknicken. Europa hat scharfe Schwerter gegen Trump in der Hand.
Monika Schnitzer, 63, ist seit 2022 Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Einrichtung berät die Bundesregierung. Oft ist auch von den „Fünf Weisen“ die Rede. Monika Schnitzer arbeitet seit 1996 als Universitätsprofessorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Lehrstuhl für Komparative Wirtschaftsforschung).
Stefan Stahl
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Monika Schnitzer
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