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Das Baltikum soll ein mögliches Angriffsziel für Wladimir Putin an der Nato-Ostflanke sein. Ein ukrainischer Analyst sieht dagegen Polen im Fokus des Kreml.
Cleveland – Endet der völkerrechtswidrige Imperialismus des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Ukraine-Krieg? Oder verfolgt er noch ganz andere Ziele? Etwa einen Angriff auf Nato-Gebiet?
Die Diskussionen darüber laufen, seit Russland die Ukraine im Februar 2022 überfallen hat. Dass Putin US-Präsident Donald Trump neue Ukraine-Verhandlungen angeboten haben soll, schmälert die internationalen Bedenken mit Blick auf das russische Regime nicht. Stattdessen nehmen die Warnungen vor einem möglichen russischen Angriff auf die Nato seit Monaten zu.
Greift Wladimir Putin die Nato an? Ukraine-Analyst stellt These auf
Ein jüngstes Beispiel: Ein Thesenpapier, das der ukrainische Wirtschaftswissenschaftler und Blogger Roman Sheremeta bei Facebook und beim Kurznachrichtendienst X teilte. Seine These: Für die russischen Streitkräfte sei ein möglicher Angriff auf Polen – und nicht auf das Baltikum – militärisch interessant.

Polen bildet berufstätige Zivilisten für Truppen der Territorialverteidigung aus – auch Frauen. Gerät das Nato-Land dennoch in Wladimir Putins Visier? © Montage IPPEN.MEDIA / IMAGO / ZUMA Press Wire / ZUMA PressRussland unter Wladimir Putin: Nato-Ostflanke in Polen im Visier des Kreml?
Der Wissenschaftler Sheremeta beruft sich auf eine Analyse des ukrainischen Aktivisten Valeriy Oleksandrovych Pekar. Er folgert daraus: „Russland wird nicht warten, bis Europa sich auf einen möglichen Angriff vorbereitet. Die europäische Vorstellung, Russland könnte um 2030 angreifen und so Zeit zur Aufrüstung gewinnen, ist falsch.“ Der ukrainische Blogger lebt und arbeitet nicht mehr in seiner Heimat, sondern an der „Case Western Reserve University“ in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio. Bei X hat er mehr als 81.7000 Follower.
Auch der deutsche Militärexperte Nico Lange, Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz, folgt Sheremeta auf X, genauso wie der Berater des ukrainischen Innenministeriums, Anton Heraschtschenko, und die renommierte US-Denkfabrik Institute for the Study of War aus Washington.
Putin-Angriff auf die Nato noch 2025 nicht ausgeschlossen? Polen stehe im Fokus
Sheremeta zufolge sei eine mögliche russische Attacke auf die Verteidigungsallianz selbst in diesem Jahr nicht ausgeschlossen. Die baltischen Staaten würden „oft als die leichtesten, ersten Ziele angesehen – sie sind klein, und eine US-Intervention ist sehr unwahrscheinlich. Doch damit würde Russlands Hauptziel, Europa zu neutralisieren, nicht erreicht“, meint der ukrainische Analyst. „Dies kann durch einen Angriff auf Polen erreicht werden. Allerdings nicht, wie erwartet, über den Suwalki-Korridor.“
Schwachstelle der Nato: Suwalki-Korridor zwischen Kaliningrad und Belarus macht Sorgen
Die sogenannte Suwalki-Lücke erstreckt sich nahe der polnischen Kleinstadt Suwalken über 104 Kilometer Länge zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und dem mit Russland verbündeten Belarus entlang der polnisch-litauischen Grenze. In den vergangenen Jahren probte die Nato wiederholt die Verteidigung des heiklen Suwalki-Korridors, auch unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr. Die Amerikaner stellen weder in Litauen noch in Lettland oder in Estland ein militärisches Kontingent. In Polen sind dagegen rund 10.000 US-Soldaten stationiert.
Deren mögliche Rolle spart Sheremeta in seiner These völlig aus. Warum, bleibt unerwähnt. Laut seiner These würden die vielen Panzer – unter anderem M1 Abrams aus den USA – und gepanzerten Fahrzeuge, die Polen derzeit ordert, „nicht einmal die Hangars verlassen“. Stattdessen könnte Russland „unterschwellige Angriffe nutzen, um das Ziel zu verwirren und unsicher zu machen, ob und wie es reagieren soll. Bis eine Entscheidung getroffen wird, ist es bereits zu spät“, schildert der Blogger in dem Beitrag.

Polens Armee hält regelmäßig militärische Übungen für Zivilisten ab, wie hier Anfang Juli 2025 bei Krakau. © IMAGO / NurPhotoUnter Wladimir Putin: Ukraine-Experte beschreibt möglichen Russland-Angriff auf Polen
Möglich seien „massive Raketen- und Drohnenangriffe auf Energie-Infrastruktur und Logistik“ sowie „Cyberangriffe auf Regierung und Infrastruktur, groß angelegte elektronische Kriegsführung“ und „Sabotage durch terroristische Gruppen“, meint er. Die Folge sei „soziales Chaos“ und ein „Zusammenbruch der Regierung“.
Damit nicht genug: Sheremeta schreibt von einem „Dominoeffekt“, der zuerst Deutschland und dann Brüssel, also die Europäische Union (EU), treffen könnte. Sheremeta: „Bis zu zehn Millionen polnische Flüchtlinge fliehen nach Deutschland, was dort zu einem weiteren Zusammenbruch der Regierung führt und einen Dominoeffekt auslöst, der Brüssel erreicht.“
Polen bereitet sich auf Kämpfe mit schweren Waffen vor
Während Nato-Staaten Putins „Schattenflotte“ durch Sanktionen ins Visier nehmen, bereitet sich Warschau auf mögliche konventionelle Gefechte vor – also Kämpfe an Land mit schweren Waffen. So hatte die polnische Regierung im April 2022 insgesamt 250 Abrams M1A2 SEPv3 im Wert von 4,75 Milliarden US-Dollar in den USA bestellt.
Laut Polen-Experte Jens Boysen von der Civitas University in Warschau sind „geplante Anschaffungen der nächste Teil der insgesamt 900 schon von Südkorea gekauften Panzer K2 ‚Black Panther‘, die überwiegend auf Lizenz in Polen hergestellt werden sollen. Die Anschaffung von 96 Apache-Kampfhubschraubern und 32 Flugzeugen des Typs F-35A, die Modernisierung der in Polen schon vorhandenen F-16-Flugzeuge sowie der Kauf von 111 Exemplaren des polnischen Schützenpanzers ‚Borsuk‘ (Dachs, d. Red.)“.
Der Personalbestand der polnischen Streitkräfte wurde vom Verteidigungsministerium am 1. Januar 2025 mit 206.000 Mann angegeben.
Wegen Wladimir Putin: Polen rüstet seine Armee massiv auf
Der Historiker und Politologe mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa erzählte unlängst Merkur.de von IPPEN.MEDIA: „Der Personalbestand der polnischen Streitkräfte wurde vom Verteidigungsministerium am 1. Januar 2025 mit 206.000 Mann angegeben. Angestrebt wird eine Erhöhung bis Ende des Jahres auf 230.000 Mann.“
Hinzukommen sollen bis zu 50.000 Kämpferinnen und Kämpfer einer Territorialverteidigung, also geschulte Zivilisten, die regelmäßiges militärisches Training durchlaufen – wie Anfang Juli bei Krakau. (pm)