Anders als die Schweiz ist die EU im Handelsstreit mit den USA mit einer Zollvereinbarung davongekommen. Doch Sich-Kleinmachen ist kein Rezept für den Umgang mit Trump. Der französische Staatschef Charles de Gaulle hatte einst gezeigt, wie man als schwacher Europäer erfolgreich auf die Pauke haut.

Illustration Simon Tanner / NZZ

Als «Schmach von Turnberry» wird der Handschlag zwischen Donald Trump und Ursula von der Leyen vielleicht in die Geschichtsbücher eingehen. Im privaten Golfklub des amerikanischen Präsidenten, in einem Nest im Südwesten Schottlands, auf Brexit-Territorium, ist Europa auf die Knie gegangen. Kann man sich eine schlimmere Kulisse für die historische Niederlage im Zollstreit vorstellen?

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Einer wusste immer schon, dass es eines Tages so enden könnte: Charles de Gaulle. Wenn Europa nicht aufpasse und sich nicht wehre, werde es ein kolossaler Vasallenstaat unter amerikanischer Abhängigkeit und Führung werden, so mahnte der grosse französische Staatsmann immer wieder. Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod scheint sich seine Vorhersage zu bestätigen. Europas Kräftemessen mit Trumps Amerika wurde im Dorf Turnberry entschieden.

Ein genereller Zollsatz von 15 Prozent für Importe aus der EU in die USA soll nun gelten, willkürlich festgelegt von Trump und dreimal so hoch wie zuvor, dazu die Verpflichtung der Europäer, für Hunderte von Milliarden Euro Energie und Rüstung aus Amerika zu kaufen. All das im Gegenzug für – nichts.

Eine Unterwerfung, so empörte sich der französische Regierungschef François Bayrou. Eine Demütigung, sagte der Chef des renommierten deutschen Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest. Die deutsche Wirtschaft werde erheblichen Schaden nehmen durch diese Zölle, stellte der Kanzler Friedrich Merz fest.

In Wahrheit geht es noch um mehr, jeder weiss es. Was bleibt von der EU, wenn sie sich nicht einmal beim Handel durchsetzen kann? Dem einzigen Gebiet, von dem die Union glaubte, tatsächlich Macht zu haben? Seit dem Sonntag von Turnberry raufen sich die Europäer die Haare und versuchen zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Hätten sie nur einen neuen de Gaulle!

Denn mit einem Politiker oder einer Politikerin nach dem Schlag von de Gaulle, dem legendären französischen General, Führer des freien Frankreich im Zweiten Weltkrieg, Chef der ersten Regierung nach der Befreiung 1944 und Staatspräsident von 1959 bis 1969, wäre es wohl gar nicht erst so weit gekommen.

Charles de Gaulle nannte Amerika ungerührt «unsere Tochter». Schliesslich ist die Kulturnation Frankreich ungleich älter. Heute ist es umgekehrt: Der Nato-Generalsekretär Mark Rutte schmeichelt Donald Trump und nennt ihn «Daddy».

De Gaulle ist am Ende mit allen fertiggeworden: mit Hitlers Wehrmacht, der Geringschätzung durch Churchill und Roosevelt, mit den Putschgenerälen im Algerienkrieg, die ihn umbringen wollten. Einen New Yorker Immobilieninvestor und Fernsehunterhalter, der US-Präsident wurde, hätte er sicher auch in die Tasche stecken können. Von de Gaulle lernen heisst, über Trump siegen zu lernen.

De Gaulle war die Nervensäge des Westens. Er führte ein Land, das 1940 militärisch besiegt war, das er aber mit Beharrlichkeit am Ende des Krieges auf das Siegerpodest der Alliierten hievte. Der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt hielt ihn für übergeschnappt, der spätere Sicherheitsberater und Aussenminister Henry Kissinger für ein Genie.

De Gaulle war zuallererst ein Visionär. Frankreich war ihm nicht genug, er wollte ein starkes, souveränes Europa. Tönt bekannt? Anders als das heutige Führungspersonal auf dem Kontinent hatte de Gaulle den Willen, ein solches politisch und wirtschaftlich eigenständiges Europa zu schaffen, die Geschichte nach seinen Wünschen zu biegen. Der französische General beim Kotau in Turnberry? Undenkbar.

Die Methode de Gaulle

De Gaulle war alles, was Trump nicht ist: intellektuell, kultiviert, ein Militär, der viel las und selbst schrieb, Geld und Luxus verachtete. Gemeinsam ist ihnen nur das enorme Ego. Die Dreistigkeit und Selbstsicherheit, mit welcher der französische General auftrat, stellt Donald Trumps Darbietungen im Oval Office in den Schatten. Nur ein Europäer, wie de Gaulle einer war – so sieht es nach dem Debakel von Turnberry aus –, kann dem heutigen Amtsinhaber im Weissen Haus Paroli bieten, kann «zurücktrumpen», aber mit Stil. Grandeur gegen «Make America great again».

De Gaulles Pressekonferenzen im Élysée-Palast waren ein Staatsakt, die Journalisten nur Stichwortgeber. Tagespolitik interessierte ihn nicht im Geringsten, oder so gab er zumindest vor. Parteien, ebenso wie die Leitartikelschreiber in den Zeitungen, würden politische Forderungen stellen und damit um ihre Kundschaft werben, sagte er. Nicht von Belang für ihn. Der Kalte Krieg, die ideologische Auseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und dem liberalen, demokratischen Westen, angeführt von den USA? Alles Maskerade. Dahinter verbärgen sich die alten, stets gleichbleibenden Interessen der einzelnen Nationen, so versicherte der General. Nur die zählten. Es ist heute Trumps Denken.

Den Machtunterschied zwischen den USA und dem abgehalfterten Frankreich der Nachkriegsjahre, alimentiert von der Marshall-Hilfe, wischte de Gaulle einfach beiseite. Ungerührt nannte er die USA «unsere Tochter». Schliesslich sind die Vereinigten Staaten doch jung verglichen mit Frankreich, waren nur ein Volk von Immigranten aus Europa, und die amerikanische Revolution gelang überhaupt allein mithilfe französischer Generäle und Diplomaten! 1959 schwadronierte der Präsident an einer Pressekonferenz: «Wir, die wir zwischen dem Atlantik und dem Ural leben, wir, die wir Europa sind, verfügen mit Amerika, unserer Tochter, über die wichtigsten Quellen und den Reichtum der Zivilisation.»

Trump würde blass werden, hörte er heute solche Worte von einem Vertreter Europas, das doch um so vieles stärker ist als die kleine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von sechs Ländern zu de Gaulles Zeiten. Tut er aber nicht. Ganz im Gegenteil: Der Nato-Generalsekretär Mark Rutte nannte Trump schmeichlerisch «Daddy», einen Papi, der eingreift, wenn es auf dem internationalen Parkett zu bunt hergeht. Jetzt sind die anderen Staaten, auch die Europäer, die Kinder.

Bei de Gaulle aber gehörten Blenden, Bluffen und Überrumpeln zum politischen Werkzeug. Er wäre die perfekte Waffe der Europäer gegen Trump gewesen.

1958, gerade zurück an der Macht in Paris nach zwölf Jahren Schmollen auf dem Landsitz, schreibt de Gaulle einen Brief an den amerikanischen Präsidenten und den britischen Premierminister. Er will ein Dreierdirektorium zur Führung der Nato, will gleichberechtigt mit den USA und Grossbritannien sein. «J’ai demandé la lune», bekannte er später. Er habe den Mond, etwas Unmögliches, von Washington und London verlangt, wohlwissend, dass er es nicht bekomme.

Aber de Gaulle wollte einen Vorwand für den Rückzug Frankreichs aus der Nato. Schritt für Schritt löste er die Armee aus dem militärischen Bündnis, baute die eigene Atomstreitmacht auf. Frankreich sollte unabhängig sein von den USA. 1966 warf er die amerikanischen Soldaten schliesslich aus dem Land, samt Hauptquartier der Nato. Seither ist die Nato in Brüssel, amerikanische Basen gibt es in Frankreich nicht mehr.

Wo sind heute die Erben?

Gewiss: Die Welt des Präsidenten de Gaulle, das Europa der fünfziger und sechziger Jahre, war ungleich einfacher und überschaubarer als heute. Der Kontinent war in Ost und West geteilt, der militärische Beistand durch die USA so sicher, dass sich Frankreich den Luxus seiner Alleingänge leisten konnte.

De Gaulle war ein Trittbrettfahrer der atlantischen Allianz – doch mit welch grossem Talent. Der General sah sich im Strom der Geschichte stehen, auserwählt, sein Land zu führen. «Der Präsident», erklärte er einmal ebenso wolkig wie autoritär, «ist der Mann der Nation, von ihr bestimmt, um ihrem Schicksal eine Antwort zu erteilen.» Es ist de Gaulles Voluntarismus, sein Anspruch, durch den Willen allein Geschichte zu gestalten, der heute Europas Führern abgeht.

Viele von ihnen berufen sich auf de Gaulle und folgen seinem Denken. Giorgia Meloni will ein Europa souveräner Nationen, Emmanuel Macron die «strategische Autonomie» Europas, Donald Tusk die «Weltmacht Europa». Jeder setzt den Akzent dabei anders. Polens Regierungschef würde nie auf Distanz zu den USA gehen, Frankreichs Präsident sieht Mehrheitsentscheidungen in der Aussenpolitik der EU als Schlüssel zum Machtzuwachs Europas – genau der Punkt, den de Gaulle um jeden Preis verhindern wollte. Niemand sollte Frankreich überstimmen können.

Trotzdem ist de Gaulle, ein Mann des 19. Jahrhunderts und gänzlich unmodern in gesellschaftlichen Fragen, die Referenz unserer Tage. Die Lesart der Zollvereinbarung, in die Trump die EU hineingepresst hat, ist gaullistisch, vor allem in Frankreich, aber nicht nur dort. Von Kapitulation ist die Rede, von Vasallentum gegenüber Amerika, von der Notwendigkeit des Widerstands und der Unabhängigkeit der Europäer.

Doch wer wollte heute mit der EU-Fahne in der Hand gegen Donald Trump anrennen? Wer ist forsch und gewitzt genug, um es mit dem amerikanischen Präsidenten aufzunehmen?

Macron hat die rhetorische Begabung eines französischen Politikers, doch als Präsident ist er glücklos. Zwei Jahre vor Ende seines Mandats ist er bereits eine «lame duck» ohne Mehrheit zum Regieren, ohne grosses Projekt. Muss man auf Dominique de Villepin warten, einen scharfzüngigen Gaullisten und ehemaligen Regierungschef, der von einer Präsidentschaftskandidatur 2027 träumt? Die Chancen des 71-Jährigen sind sehr ungewiss.

Vielleicht also der Zwei-Meter-Mann Friedrich Merz, ähnlich hochgewachsen wie de Gaulle und ein Comeback-Star, der sogar noch länger als einst der General die Politik aufgab und die «Wüste durchquerte», wie es über de Gaulle hiess, bis er dieses Jahr endlich Kanzler wurde? Auch keine Garantie. Esprit ist nicht unbedingt die erste Eigenschaft, die man mit dem Sauerländer verbindet. Doch wichtiger ist, dass Merz vorsichtig gegenüber den USA agieren will. Die Konfrontation mit Trump sucht er keinesfalls. Die bis jetzt nur grob skizzierte Zollvereinbarung erscheint ihm schlecht, aber als das geringere Übel verglichen mit einem Handelskrieg und damit möglicherweise einhergehend mit der völligen Aufgabe der Ukraine durch die USA und dem Rückzug aus der Nato.

Niemand scheint dem Beispiel des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva folgen zu wollen. Der hat seinen Widerstand gegen Trumps Strafzoll von nunmehr 40 Prozent angekündigt. Trump sei nicht zum Kaiser der Welt gewählt worden, sagte Lula, Brasilien lasse sich diese Behandlung nicht gefallen. Und die Europäer?

«Um frei zu sein, muss man gefürchtet werden», erklärte Macron diese Woche in der Kabinettssitzung seiner Regierung und räsonierte über die Zollvereinbarung im Golfklub von Turnberry. «Wir sind nicht genug gefürchtet worden.» Das ist eine wesentliche Erkenntnis. Selbst Ökonomen werfen der EU-Kommission Naivität vor, den Verzicht auf eine aggressivere Gangart in den Verhandlungen mit Washington, ein Unvermögen zu erkennen, dass die Zeiten sich geändert haben und Trumps Amerika keineswegs eine Win-win-Situation mit Europa erreichen wollte, sondern schlicht einen Sieg. Might is right.

Noch aber fehlen Europa die Machtmittel – die militärischen und technologischen zumal –, um nicht durch den früheren Verbündeten USA erpressbar zu werden. Umso mehr spricht für de Gaulles Maxime: nicht sich kleinmachen, leisetreten, sondern auf die Pauke hauen. Selbstbewusst seine Ansprüche vertreten, Bündnispartner in der Welt gewinnen. Kämpfen, nicht der Apathie verfallen.

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