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Die Bundeswehr steigerte ihre Präsenz an der Nato-Ostflanke. Laut Berichten könnte eine Verlegung von Truppen nach Estland folgen – um Putin abzuschrecken.

Berlin/Tallinn – Durch die Eskalation im Ukraine-Krieg hat die Sicherung der Nato-Ostflanke eine neue Bedeutung für das Verteidigungsbündnis bekommen. Zu groß ist die Sorge vor dem Expansionsdrang von Russlands Präsident Wladimir Putin, als dass man vor allem die Grenzen im Baltikum ungeschützt lassen kann. Deutschland leistet bereits seinen Teil mit einer eigenen Brigade der Bundeswehr in Litauen. Doch die Nato evaluiert aktuell wohl die Verlegung weiterer Truppen ins Baltikum.

Im Zentrum dieser Überlegungen soll sich das 1. Deutsch-Niederländische Corps befinden – ein multinationaler Verband unter der Führung des deutschen und niederländischen Heers mit Sitz in Münster. Dieses könnte nach Vorstellung der Nato nach Estland verlegt werden, um dort einen Beitrag zur Sicherung der Nato-Ostflanke zu leisten. Darüber sprach der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur am Sonntag mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ERR. Eine Entscheidung über die Verlegung solle Pevkur zufolge noch in diesem Jahr getroffen werden.

Abschreckung gegen Putin: Nato-Plan arbeitet wohl an Truppenverlegung nach Estland

„Dieser spezielle Plan ist mit einer umfassenderen Nato-Initiative verbunden, an der das für unser Einsatzgebiet zuständige deutsch-niederländische Korps und sein vorgeschobener Gefechtsstand beteiligt sind“, sagte Verteidigungsminister Pevkur. „Daran beteiligt wären sowohl unsere Verbündeten, die Führungsaufgaben auf Korps-Ebene wahrnehmen, als auch unsere eigenen Verteidigungskräfte – einschließlich der Wehrpflichtigen.“ Für die estnischen Streitkräfte seien die Pläne eine „ziemlich bedeutende Entwicklung“.

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Als möglichen Ort für eine Stationierung nannte Pevkur die an der Ostsee gelegene Hafenstadt Pärnu, die über die nötige Infrastruktur verfügen würde. Wieweit fortgeschrittene die Pläne der Nato sind und welche Auswirkungen sie auf die Soldaten der Bundeswehr hätten, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer einschätzen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums von Boris Pistorius (SPD) erklärte gegenüber unserer Redaktion, man äußere sich losgelöst vom Inhalt grundsätzlich nicht zu Aussagen Dritter. Die Pressestelle der Nato ließen eine Anfrage unserer Redaktion zu dem Thema unbeantwortet.

Schwachstelle Nato-Ostflanke: Sorge vor russischem Angriff wächst

Die Lage des Baltikums an der Nato-Ostflanke hat sich durch die russische Invasion im Februar 2022 zur Achillesferse des Verteidigungsbündnisses entwickelt. Diverse Militärexperten haben seitdem vor einem möglichen russischen Angriff auf die Region gewarnt. Russlands Präsident Putin könnte genau dort die Bündnisstärke der Nato prüfen. Nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags wird ein Angriff auf ein Nato-Mitglied als ein Angriff auf alle Mitglieder gewertet – soweit die Theorie. Ob sich diese auch in der Praxis beweisen würde, dürfte aber wohl erst ein tatsächlicher Angriff auf ein Nato-Mitglied zeigen.

Sorgen bereitet Militärexperten auch die sogenannte Suwałki-Lücke – ein knapp 100 Kilometer breiter Landkorridor, der die russische Exklave Kaliningrad von Belarus trennt. Ein Vorstoß russischer Truppen in diese Region würde das Baltikum von den Nato-Verbündeten im Süden abschneiden. Deshalb wird der Suwałki-Korridor immer wieder als mögliches Ziel für einen russischen Angriff genannt.

In Russland blickt man bereits seit längerer Zeit genau auf die Entwicklungen in der Region. Marija Sacharowa, Sprecherin von Putins Außenminister Sergei Lawrow, sprach Ende Juli von einer zunehmenden Militarisierung des Baltikums durch die USA und ihre Nato-Partner. Die russische Nachrichtenagentur Tass griff bereits am Sonntag die Meldung über eine mögliche Entsendung des Deutsch-niederländischen Corps auf.

Bundeswehr-Soldaten stehen mit dem Patch der Litauen Brigade beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45.

Nach Litauen hat die Bundeswehr bereits eine Brigade entsendet. Weiteres Personal könnten in Zukunft auch nach Estland geschickt werden. © Michael Kappeler/dpaNato erwägt wohl Truppenverlegung: Rückt Estland in den Fokus der Bundeswehr?

Die Gefahr für die Region steht inzwischen auch in der deutschen Politik weit oben auf der Tagesordnung. „Wir haben uns zu sicher gefühlt“, sagte Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Litauen mit Blick auf eine lange verbreitete Haltung in Berlin. „Die baltischen Staaten können sich jederzeit auf die Solidarität und die Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland verlassen“, betonte der Finanzminister nach einem Treffen mit seinen Ministerkollegen aus Litauen, Lettland und Estland weiter. Neben der Brigade der Bundeswehr in Litauen, könnte sich diese Unterstützung bald auch in Estland zeigen.

Der ehemalige Befehlshaber der estnischen Streitkräfte, General Martin Herem, hat im Gespräch mit ERR eine Verlegung befürwortet. Ein Corps, das für die Operationen im Baltikum verantwortlich ist, sollte auch hier stationiert sein, forderte der ehemalige Offizier. „Was auch immer wir jetzt investieren, wird einen deutlich größeren Ertrag bringen: eine verbesserte Bereitschaft und die Aktivierung der Nato-Pläne für die baltischen Staaten, einschließlich Estland“, sagte Herem weiter.

Verstärkung der Nato-Ostflanke: Welche Rolle spielt Trumps Ultimatum an Putin?

Größere Relevanz könnten die Aussagen auch mit Blick auf das Ende der Woche erhalten. Am Freitag läuft die von US-Präsident Donald Trump verkürzte Frist für Russland ab, sich um eine friedliche Lösung im Ukraine-Krieg zu bemühen. Trump hatte Putin mit Sekundärzöllen gegen Russlands wichtigste Handelspartner gedroht, sollte dieser die Frist nicht einhalten. Die Verlegung weiterer Soldaten an die Nato-Ostflanke wäre jedoch auch ein denkbarer Schritt für die USA, sollte Putin seinen Krieg gegen das Nachbarland ungehindert fortführen. (fdu)