Die Schweiz ist in den Verhandlungen mit den USA gescheitert. Nun will eine Gruppe schwerreicher Unternehmern einem Deal zum Durchbruch verhelfen. Rekonstruktion eines Rettungsversuchs.

Illustration Simon Tanner / NZZ

Es ist später Montagnachmittag. Im Wirtschaftsdepartement von Bundesrat Guy Parmelin kommt es zu einer Sitzung, die bis vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Vier Tage nachdem Donald Trump einen Zollsatz von 39 Prozent über die Schweiz verhängt hat, herrscht in Bundesbern Krisenstimmung. Zuerst trifft sich die Landesregierung zu einer Online-Sitzung. Am Nachmittag stellt einer der reichsten Unternehmer der Schweiz online einen Plan zur Rettung der Schweiz vor: Alfred Gantner.

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Der Mann, der die Vermögensverwaltungsfirma Partners Group aufgebaut hat und so zum Milliardär geworden ist, macht vor Beamten des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) eine Präsentation. Es ist sein Vorschlag, wie die Schweiz Trumps Zölle doch noch abwenden könnte.

Es ist der Moment, in dem in der Schweiz Grenzen gesprengt werden. An diesem Abend kommt es zum Schulterschluss zwischen Akteuren, die sonst politisch das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben.

Gantner ist nicht nur ein Unternehmer, der Milliarden in den USA investiert, sondern auch einer der grössten EU-Kritiker der Schweiz. Als Gründer von «Kompass Europa» führt er eine europakritische Bewegung an. Derzeit kämpft er mit einer Volksinitiative dafür, dass der neue Rahmenvertrag zur EU gegen den Willen des Bundesrates dem Ständemehr unterstellt wird.

Ihm hören nun also die Beamten des Wirtschaftsdepartements, das traditionell EU-freundlich ist, zu. Sie stehen unter maximalem Druck. Denn nur wenige Stunden zuvor hatte der Bundesrat angekündigt, Trump ein «noch attraktiveres Angebot» zu unterbreiten. Nun müssen sie liefern.

Es geht darum, einen Deal auszuarbeiten, der so verlockend ist, dass ihn US-Präsident Donald Trump nicht ausschlagen kann und der ihn dazu bewegt, die Schweiz von seinen Strafzöllen zu befreien. Es geht um Zehntausende Arbeitsplätze in der Schweiz und die künftige Beziehung zum zweitgrössten Handelspartner des Landes. Hinter diesem Ziel scharen sich nun also Unternehmer, Bundesräte und Beamte zusammen. Schnell werden weitere wichtige Wirtschaftsvertreter ins Boot geholt.

Bis vergangene Woche dachte die Schweiz noch, dass Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter die perfekte Frau sei, um diese Herausforderung zu meistern: machtbewusst, sprachgewandt, krisenerprobt. Anfangs sah es tatsächlich gut aus. Die Schweiz hatte sich mit den US-Unterhändlern früh geeinigt. Nur etwas fehlte noch: die Unterschrift des Big Boss.

Als diese auf sich warten liess, griff Keller-Sutter zum Telefon, sprach mit dem amerikanischen Präsidenten. Das Gespräch endete mit einer Katastrophe. Nur wenige Stunden später verkündete Trump 39 Prozent für die Schweiz, einen der weltweit höchsten Zollsätze. Ihr Fehler: Sie verzichtete auf das Beisein und die Expertise von Staatssekretärin Helene Budliger Artieda, welche die amerikanischen Verhandlungspartner so gut kennt wie niemand sonst.

Das neue «Team Switzerland»

Nach der Bundesratssitzung am Montag und der Besprechung mit Gantner geht dann plötzlich alles schnell. Der Plan kommt gut an. Gemäss den Quellen der «NZZ am Sonntag» sollen Bundesrat Parmelin und Staatssekretärin Helene Budliger Artieda sehr angetan gewesen sein. Am Dienstagmorgen schon sitzen Keller-Sutter und Guy Parmelin im Bundesratsjet, der von Dübendorf abhebt in Richtung Washington. In der Aktentasche: Das neue Angebot an die USA.

Gleichentags hebt auch ein Flugzeug der Swiss in Richtung USA ab. An Bord: Gantner und Marcel Erni, der die Partners Group mitgegründet hat. Und sie sind nicht die Einzigen, die den Bundesrat auf der Reise begleiten dürfen. Das Seco hat weitere Wirtschaftsführer zu einem Treffen in Washington eingeladen. Das Rettungspaket für die Schweiz soll möglichst breit abgestützt sein.

Drüben in Amerikas Hauptstadt entsteht dann ein Bild, das die Öffentlichkeit überrascht. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter postet es auf X: Zu sehen sind sie und Bundesrat Parmelin, umgeben von fünf Männern, deren Gesichter die breite Öffentlichkeit kaum kennt. Journalisten, Politikerinnen und Wirtschaftsvertreter reiben sich die Augen: Wer ist das, und was machen die da?

Das Gruppenbild zeigt neben Alfred Gantner und Marcel Erni auch Jens Fehlinger, CEO der Swiss, Severin Schwan, Verwaltungsratspräsident des Pharmakonzerns Roche, und Daniel Jäggi, Gründer und Chef der Genfer Rohstoffhandelsfirma Mercuria. Jäggi ist in den Schweizer Medien wenig präsent, doch auch er ist einer der mächtigsten Wirtschaftschefs des Landes. Seine Firma gehört zu den weltweit grössten Rohstoffhändlern.

Guy Parmelin wird einen Tag später vom «Team Switzerland» sprechen. In Wahrheit ist es viel mehr. Das Foto zeugt davon, dass der Bundesrat im Zollstreit mit den USA an seine Grenzen gekommen ist. Es ist der Kulminationspunkt einer Woche, in der die Schweiz die Wege der klassischen Diplomatie, der Dienstwege und Pflichtenhefte verlassen hat, um Trump doch noch zu besänftigen.

Gantner selbst spricht gegenüber der «NZZ am Sonntag» von einer «Schicksalsstunde» für die Schweiz: «Wir müssen die Reihen schliessen trotz politischen Differenzen.» Er ist zuversichtlich, dass ein Deal mit dem amerikanischen Präsidenten möglich ist. «Die Schweiz ist in der glücklichen Lage, dass sie innert nützlicher Frist mit entsprechenden Massnahmen das Ungleichgewicht in der Handelsbilanz mit den USA beheben kann», sagt er.

Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass Bundesräte mit Wirtschaftsführern auf Reisen gehen. Neu ist aber, dass CEO direkt in diplomatische Verhandlungen mit einbezogen werden. Das Vorgehen zeigt: Die bewährten Methoden taugen nichts im Umgang mit Trump.

Ein Insider aus dem Bundeshaus formuliert es so: Keller-Sutter und das Seco seien davon ausgegangen, dass man mit Trumps Ministern wie in den guten alten Zeiten Verhandlungen führen könne. Doch Trump funktioniert auch als US-Präsident wie ein New Yorker Immobilientycoon. Deshalb setzt der Bundesrat nun auf die Hilfe mächtiger Wirtschaftsmänner. Willkommen in der neuen Welt.

Es herrscht eine Gleichzeitigkeit der Interessen: Keller-Sutter und Parmelin kämpfen für die Interessen der Exportwirtschaft. Gantner und Erni zwar ebenfalls, doch geht es ihnen auch um eine Schweiz, die weiterhin den Alleingang wagt. Sie wissen: Wenn der Schweiz keine Einigung mit den USA gelingt, haben die EU-Freunde in der Schweiz ein gewichtiges Argument für den neuen Rahmenvertrag.

Umstrittene Waffenkäufe

Am Tag nach der Rückkehr des Bundesrates sickert durch, was die neue Allianz den Amerikanern angeboten haben soll. Zwar erklärte der Bundesrat an einer Medienkonferenz noch, man sage nichts zum Inhalt des neuen Angebots. «Wenn man alles auf den Tisch legt, hat man verloren», sagte Guy Parmelin. Dafür redete ein anderer. Thomas Borer, ehemaliger Botschafter der Schweiz, tritt vor die Kameras der international führenden Nachrichtenagentur Bloomberg. Gewohnt selbstbewusst, als wäre er der Bundesratssprecher, skizziert er der Weltöffentlichkeit, was der «Strategic Action Plan» sein soll.

Damit bringt er den Bundesrat in eine unangenehme Lage. Denn in den weiteren Verhandlungen mit Trump und seinen Leuten kann die Schweizer Delegation nun fast nicht weniger anbieten, als das, was Borer im Fernsehen präsentiert hat.

Der offengelegte Plan hat fünf Eckpunkte. Zum einen sollen Schweizer Rohstoffhändler den USA im grossen Stil Flüssiggas abkaufen. Zum anderen geht es um den Kauf von Boeing-Flugzeugen durch die Swiss, was erklärt, weshalb der Swiss-CEO Fehlinger vor Ort war. Und der Roche-Präsident Schwan dürfte zugesichert haben, dass die Pharma in den USA noch mehr Produktionsstätten baut. Auch die Goldexporte in die USA waren offensichtlich ein Thema bei der optimierten Schweizer Offerte. Hier sieht der Plan gemäss Borer vor, dass die Schweizer Raffinerien mehr Gold direkt in den USA verarbeiten.

Grosse Teile der Schweizer Offerte bestehen aus Versprechungen der Wirtschaft. Sie kosten die Steuerzahler nichts. Doch laut Borer müsse auch die Schweiz noch tiefer in die Taschen greifen, um Trump zu besänftigen.

So soll sich der Bundesrat zu weiteren Waffenkäufen in den USA verpflichtet haben. Das wäre brisant. Denn es ist fraglich, wie weit der Bundesrat bei diesem Thema gehen darf. Der «NZZ am Sonntag» liegen die Dokumente vor, auf deren Grundlage die Aussenpolitische Kommission das Verhandlungsmandat mit den USA gutgeheissen hat. Rüstungskäufe fehlen auf der Liste möglicher Konzessionen. Im Mandat steht lediglich, der Bundesrat habe das Recht, «nach Notwendigkeit weitere Bereiche zur Vertiefung und Stärkung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu explorieren.»

Neue Freestyle-Diplomatie

Der Bund bietet also ad hoc umstrittene Waffenkäufe an. Die Wirtschaft verspricht riesige Investitionen und entwirft eigene Verhandlungskonzepte. «Das Ganze ist ziemlich Freestyle», sagt ein gut informierter Verbandsfunktionär.

Das Seco sieht das anders und redet den Schulterschluss mit den finanzkräftigen EU-Gegnern klein. Die Bezeichnung «Team Switzerland» sei nicht auf einen bestimmten Personenkreis bezogen, sondern solle zum Ausdruck bringen, dass Staat und Wirtschaft zusammen in einem Boot sitzen und gemeinsam eine Lösung suchen, sagt ein Sprecher. «Dies zeichnete die Schweiz schon immer aus und kommt hier einmal mehr zum Tragen.»

Zur Rolle von Gantner und Erni wollen sich die Verantwortlichen nicht äussern. Der Bundesrat nehme keine Stellung zu den Beiträgen «einzelner Wirtschaftsvertreter». Der Sprecher betont jedoch: «Die Verhandlungen mit den USA werden vom Bundesrat und der Bundesverwaltung geführt.»

Das neue «Team Switzerland» ist bei den Politikern hoch umstritten. «Man sollte derzeit nichts unterlassen, aber der Rückgriff auf Unternehmer zeigt eine gewisse Hilflosigkeit des Bundesrats», sagt der neue Mitte-Parteichef Philipp Matthias Bregy. «Damit scheint sich die Landesregierung der Oligarchenlogik Trumps anzugleichen», sagt der SP-Co-Präsident Cédric Wermuth.

Andere wiederum halten es für taktisch klug, dass der Bund auf die Ideen von Gantner und Co. eingegangen ist. Lieber hole man Kritiker mit ins Boot, als sie aussen vor zu lassen. Dann müsse man sich im Nachhinein nicht vorwerfen lassen, nicht alles probiert zu haben.

Ungewohnt ist die Situation auch für die etablierten Wirtschaftsverbände, die normalerweise die Verbindung zum Bund herstellen. Der Dachverband Economiesuisse spielt plötzlich eine Nebenrolle, der Industrieverband Swissmem ebenso. Zumindest gegen aussen geben sie sich aber diplomatisch. Die Economiesuisse-Chefin Monika Rühl sagt zum Engagement der Partners-Group-Gründer: «Wir begrüssen es, dass sich die Unternehmen, die in die USA exportieren oder dort investieren, an der Lösungsfindung beteiligen.»

Swissmem-Präsident Martin Hirzel will sich zur Zusammensetzung der Delegation nicht äussern. Er ist optimistisch, dass es dem Bund gelingen wird, eine «kreative Einkaufsliste» zusammenzustellen, mit der das Handelsbilanzdefizit reduziert werden kann. Hirzel warnt aber davor, für Trump sämtliche Regeln über Bord zu werfen: «Wir müssen aufpassen, dass wir einen regelbasierten Handel vorleben, wie wir ihn von unseren Partnern in Europa, China, Indien und Südamerika verlangen. Sonst machen wir uns unglaubwürdig.»

Klar ist: Der Bundesrat befindet sich seit dem Zollschock in einer Ausnahmesituation. Erst jetzt dämmert vielen, wie klein das politische Gewicht der Schweiz ist. Und dass sich der Bundesrat offensichtlich selbst überschätzt hat. Zu Beginn dachte die Schweiz nämlich noch, sie sei etwas Besonderes. Als Trump im April erstmals mit Zöllen gedroht hat, konnte Keller-Sutter früh mit ihm sprechen und verkündete danach stolz, dass die Schweiz zu einer Gruppe von 15 Ländern gehöre, die «etwas bevorzugt» behandelt würden. In den USA wurden diese 15 Länder aber nie als auserwählte Favoriten gesehen, sondern als «the dirty fifteen». Damit gemeint waren jene Länder, welche Trump wegen ihrer Handelsbilanzüberschüsse besonders ärgern.

Dass der Bundesrat viel zu optimistisch war, zeigt sich auch in den vertraulichen Unterlagen zum Verhandlungsmandat. «Verschiedene Kontakte mit den US-Behörden haben gezeigt, dass die USA für eine rasche Lösung mit der Schweiz offen sind», steht im Papier, das die Aussenpolitischen Kommissionen im Juni erhalten haben. Das scheint nun wie ein schlechter Witz.

Aus dem Chaos der vergangenen Woche ist deshalb etwas Neues entstanden: eine Diplomatie, bei der mitmachen darf, wer genug Geld oder Investitionen anbieten kann. Klingt ganz nach Trumps Geschmack.

Avec le vice-président @ParmelinG, j’ai rencontré à Washington des représentants économiques suisses de haut rang pour discuter des taxes douanières. pic.twitter.com/lciF9ISjou

— Karin Keller-Sutter (@keller_sutter) August 6, 2025

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