DruckenTeilen
Wie finanziert sich der Staat? Es braucht mehr Einnahmen oder weniger Ausgaben. Ein Experte sagt: Es passiert wahrscheinlich gar nichts. Möglichkeiten, an mehr Geld zu kommen, gibt es genug.
Berlin – Geht es nach dem Wirtschaftsexperten Reint Gropp, sitzt Deutschland in der Falle. Das Problem: Für 2027 fehlen im Bundeshaushalt 30 Milliarden Euro. Für die Jahre danach noch größere Summen. Gleichzeitig ist die Steuer- und Abgabenlast für Arbeitnehmer in Deutschland relativ hoch. Die amtierende Koalition hat Versprechungen gemacht, „die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen“ zu senken. So steht es im Koalitionsvertrag. Passiert das, vergrößern sich aber die Lücken in der Finanzplanung von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD).

Friedrich Merz beim Ukraine-Gipfel in Washington. Auch innenpolitisch läuft es zurzeit nicht wie geschmiert. © Kay NietfeldExperte: Keine Entlastung, keine Steuererhöhung, keine Ausgabenkürzung
Wahrscheinlich passiert gar nichts, meint ein Experte. Angesichts widerstreitender Interessen sagt der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Gropp: „Ich halte es für wahrscheinlich, dass am Ende nichts passiert: keine Entlastung, keine Steuererhöhung und keine Ausgabenkürzungen.“ Seine Kritik führt er im Gespräch mit der Wirtschaftswoche noch weiter aus: „Wir haben in den vergangenen zehn Jahren die Gelegenheit für Reformen verpasst, als die Zinsen niedrig und genug Geld da war – jetzt sitzt Deutschland in der Falle.“
Nur hat Finanzminister Klingbeil konkrete Probleme in Bezug auf den Haushalt – irgendeine Lösung wird es also geben müssen.
Unkonventioneller Vorschlag von Immobilien-Unternehmer Josef Rick
Einen Vorschlag, wie man das Steuersystem reformieren kann, hat der Immobilien-Unternehmer Josef Rick gemacht. Er fordert eine effektivere Belastung von Vermögen und Bestverdienern. Demnach sollen die Top zehn Prozent der Verdiener in Deutschland 35 Prozent auf all ihre Einkommen zahlen – ganz ohne Abschreibungen und Ausnahmen. Die restlichen 90 Prozent sollen keine Einkommensteuer zahlen. Dazu kommen in Ricks Modell Erträge aus Erbschaft- und Vermögensteuer. Mehrere Experten pflichteten ihm grundsätzlich bei, meldeten aber Zweifel an der Umsetzung seiner Ideen zur Einkommensteuer an.
Aber zurück zu Reint Gropp. Er vermutet einen Grund für das mögliche Ausbleiben von Reformen hierin: Entlastet man kleine und mittlere Einkommen bei der Einkommensteuer, entlastet man hohe Einkommen automatisch deutlich stärker – rein den absoluten Zahlen nach.
Ein konkreter Steuer-Rat für Lars Klingbeil: Grundfreibetrag für die Mittelschicht erhöhen
Denn in Deutschland gilt eine progressive Einkommensteuer – je mehr man verdient, desto höher ist der Steuersatz. Man kann sich das Problem – sehr grob vereinfacht – so verbildlichen: Eine Pyramide steht auf dem Kopf und besteht aus mehreren getrennten Stockwerken. Zieht man unten ein Stockwerk raus, sackt der Rest der Pyramide eine Ebene nach unten ab. So ähnlich ist es, wenn man bei der Einkommensteuer geringe und mittlere Einkommen entlastet. Die oberen Einkommensklassen rutschen auch automatisch in für sie günstigere Steuertarife, weil die Besteuerung aufeinander aufbaut. Das könnte der SPD in der Öffentlichkeit nicht gut zu Gesicht stehen, meint Gropp.
Ein anderer Experte hat angesichts dieses Problems einen konkreten Rat für die Bundesregierung und Lars Klingbeil (SPD): Wenn man Entlastungen für die Geringverdiener und Mittelschicht erreichen wolle, „muss man vor allem den Grundfreibetrag erhöhen“. Das sagt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gegenüber IPPEN.MEDIA.
Er stellt eine Beispielrechnung an: Erhöht man den Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer um 1000 Euro im Jahr, würde jemand mit einem Jahres-Brutto-Einkommen von 20 000 Euro etwa um 250 Euro pro Jahr entlastet werden. Wer 80 000 Euro verdient, bekäme eine Entlastung von etwa 470 Euro. Fazit: Auch mit einer Erhöhung des Grundfreibetrags „profitieren die Besser- und Hochverdiener davon, absolut in Euro sogar stärker als die Leute mit kleinem Einkommen“, sagt Bach. „Daher hat man schnell hohe Steuerausfälle. Wenn man das vermeiden will, muss man die Steuersätze oben erhöhen.“

Hier sieht man, wie sich die Steuersätze verändern würden, wenn man den Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer um 1000 Euro erhöht. Die Durchschnittssteuersätzen wären insgesamt etwas geringer. Der Vorschlag würde das Steueraufkommen, also das Geld, das der Politik zur Verfügung steht, um 13 Milliarden pro Jahr senken. © Stefan Bach / DIW

So würde es sich auswirken, wenn man den Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer um 1000 Euro erhöht. Prozentual profitieren Geringverdiener am meisten, in Euro profitieren Gutverdiener am meisten. © Stefan Bach (DIW)Kanzler Friedrich Merz will keine Erhöhung der Steuern für Mittelstand
Steuererhöhungen findet Bundeskanzler Friedrich Merz aber nicht gut. Auf dem Parteitag der CDU Niedersachsen in Osnabrück sagte er zuletzt: „Mit dieser Bundesregierung unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommensteuer für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht geben“ – viele Unternehmen in Deutschland sind nämlich Personengesellschaften. Damit zahlen sie Einkommensteuer statt Körperschaftsteuer. Und die Einkommensteuer steht in der Rede, an der Spitze erhöht zu werden.
Die Körperschaftsteuer übrigens, die für Kapitalgesellschaften gilt, soll ab 2028 schrittweise sinken – von derzeit 15 Prozent auf zehn Prozent im Jahr 2032. Das soll zu mehr Investitionen in der Wirtschaft führen. Die NGO Netzwerk Steuergerechtigkeit kritisiert die Senkung, da diese Entlastung zum Großteil dem wohlhabendsten Zehntel der Bevölkerung zu Gute komme. Denn: Das Eigentum an Unternehmensanteilen und Finanzanlagen ist hoch konzentriert.
„Der steuerpolitische Elefant im Raum“ – die Mehrwertsteuer
Mit seiner Äußerung auf dem Parteitag wischte Friedrich Merz die Steuerdebatte nicht gänzlich vom Tisch. Diskutiert werden zurzeit auch eine effektivere Erbschaftsteuer und eine Wiedereinführung der Vermögensteuer.
Der größte und einfachste Hebel aber ist wohl die Mehrwertsteuer. Das DIW bezeichnet sie in einer Studie aus dem Februar als „steuerpolitischen Elefanten im Raum.“ Zu einer Erhöhung bekenne sich derzeit keine Partei, heißt es in der Analyse. Hebe man die Steuer um nur einen Prozentpunkt, dürfte das „derzeit ein Aufkommen von 16 Milliarden Euro im Jahr erzielen“. „Eine Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes außer für Lebensmittel würde weitere 13 Milliarden Euro im Jahr mobilisieren“, heißt es. Schon hätte man 29 Milliarden Euro zusammen. Die Schattenseite: So eine Erhöhung belastet kleine Einkommen am stärksten. Es bleibt also abzuwarten, wie die Koalition den gordischen Knoten bei den Staatsfinanzen durchschlagen möchte.