AboSolar-Betreiber «entsetzt» –

Wegen EU-Vertrag: 250’000 Hausbesitzer verlieren Entschädigung für Solarstrom

Elektriker und Dachdecker installieren Photovoltaik-Panels auf dem Dach von Herrn Isler in Horgen, mit Blick auf den Zürichsee.

Die EU macht Schweizer Hausbesitzern möglicherweise einen Stricht durch die Rechnung.

Dominique Meienberg

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In Kürze:Für das EU-Stromabkommen müsste die Schweiz die Mindestpreis-Garantie für 250’000 Schweizer Solaranlagen aufheben.Zudem verlangt die EU von der Schweiz die Streichung der Bezeichnung «inländisch» im Gesetz zum Strommix.Photovoltaikbetreiber laufen Sturm.Die monatlichen Anmeldungen neuer privater Solaranlagen sind schon jetzt rückläufig.Politiker glauben, dass Bundesrat Rösti trickst.

Die EU nimmt keine Rücksicht auf Schweizer Hausdächer: Mit der Unterzeichnung des Stromabkommens müsste die Schweiz das Gesetz streichen, das Hausbesitzern Mindesttarife für Solarstrom garantiert. Das geht aus einem Brief von Benoît Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie (BFE), hervor. Darin beantwortet er kritische Fragen von SP-Nationalrat Benoît Gaillard zu den Auswirkungen des Abkommens auf das Schweizer Gesetz. Die geplante Anpassung ist auch im 930 Seiten langen Bericht des Bundesrats zum Vertragspaket versteckt – bisher aber nur von Insidern beachtet worden. Die EU betrachtet fixe Mindestpreise als Marktverzerrung.

Die geforderte Gesetzesänderung ist brisant: Denn mit ihr würde eine zentrale Absicherung für Betreiber von rund  250’000 Dach-Solaranlagen wegfallen. Es betrifft also rund  95 Prozent aller in der Schweiz installierten Photovoltaikanlagen.

Das Stimmvolk hat diese gesetzliche Garantie erst letztes Jahr als ein Kernstück des Stromgesetzes mit einer hohen Zustimmung von 69 Prozent angenommen. Ziel der Vorlage war es, den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen.

Die Regel ist einfach: Wer Strom ins Netz einspeist, erhält dafür unabhängig vom aktuellen Marktpreis einen Mindestpreis vom lokalen Stromversorger vergütet. Der Bundesrat hat diesen Minimalpreis  bei 6 Rappen pro Kilowattstunde festgelegt für Anlagen, wie sie üblicherweise auf Einfamilienhäusern installiert werden.  

Fast alle privaten Solaranlagenbetreiber sind auf einen solchen Schutz angewiesen. Denn sie können nur einen Bruchteil ihres Solarstroms selber verwenden. Damit ihre Anlage kein Verlustgeschäft ist, müssen sie den Grossteil zu einem akzeptablen Preis an die Stromversorger verkaufen können. 

Wenn Solarstrom plötzlich fast nichts mehr abwirft

Einen Vorgeschmack, was droht, wenn die Mindestgrenze wegfällt, erlebten Solaranlagenbetreiber im Kanton Bern im letzten Jahr. Damals galten noch andere Regeln. Während eines ganzen Quartals zahlte die BKW Solaranlage-Betreibern gerade mal 3,6 Rappen pro Kilowattstunde eingespeisten Solarstrom, während sie denselben Strom den in der Grundversorgung gefangenen Haushalten für 13 Rappen verkaufen konnte. Verzweifelte Solarbetreiber liefen Sturm.  Der Berner Energiekonzern begründete die tiefe Vergütung mit den tiefen Marktpreisen. 

Bis jetzt hatten sich die Einspeisevergütungen für Solarstrom nach Tiefpreisphasen  jeweils wieder erholt. Das war auch bei der BKW so. In Zukunft könnte sich das ändern.  Denn im Sommer, wenn Solarzellen am meisten Strom produzieren, zerfallen die Preise immer stärker, weil Strom im Überfluss vorhanden ist. Anders gesagt: Gerade dann, wenn Solaranlagen wirklich viel Strom produzieren, gibts dafür künftig kaum noch Geld.

Die grosse Angst

Die im Verband unabhängiger Energieerzeuger vereinigten Solaranlagenbetreiber schlagen Alarm: «Wir sind entsetzt, dass der Bund wegen des Stromabkommens die Mindestvergütung für Photovoltaik streichen will», sagt Verbandspräsident Walter Sachs. Private Solaranlagenbetreiber seien auf die Mindestvergütung angewiesen. «Sonst können sie ihre Anlagen in Zeiten tiefer Strompreise schlicht nicht mehr amortisieren.»  Der Verband hat rund 5000 Mitglieder: Firmen, Genossenschaften und viele private Solarenergie-Betreiber.

Benoit Gaillard spricht auf der Generalversammlung der CGN SA in Lausanne vor einem Podium mit CGN-Logo.

SP-Nationalrat Benoît Gaillard kämpft an vorderster Front gegen das Stromabkommen. Bis jetzt dürfte er in seiner Partei zur Minderheit gehören: «Wir wurden verspottet», sagt er.

Foto: Yvain Genevay

Sachs’ grösste Befürchtung: «Wenn nicht klar ist, ob man den Solarstrom noch zu einem akzeptablen Preis verkaufen kann, wird die Bereitschaft der Hausbesitzer massiv sinken, Photovoltaikanlagen zu installieren.» Dabei sei die Energiewende schon jetzt akut gefährdet, weil immer weniger in Solaranlagen investieren, sagt Sachs. In der Tat:  Die monatlichen Anmeldungen neuer privater Solaranlagen sind seit Anfang Jahr markant gesunken. Bei den typischen Einfamilienhaus-Anlagen gingen sie sukzessive von 5100 im Januar auf 3600 im Juli zurück. Das ist ein Rückgang um 30 Prozent.

EU befiehlt: «Inländisch» muss raus aus dem Gesetz

Laut Röstis Departement ist ein weiterer Passus nicht EU-kompatibel: Versorger müssen Haushalten heute einen Strommix mit einem Mindestanteil von 20 Prozent inländischem erneuerbarem Strom anbieten. Nun soll «inländisch» gestrichen werden, weil die EU das nicht zulässt. 

Das wird politisch hoch umstritten werden: Denn die Streichung des Wortes «inländisch» gibt Schweizer Stromversorgern im Prinzip die Freiheit, ihren erneuerbaren Strom irgendwo in Europa oder der Schweiz zu produzieren oder einzukaufen. Und da dürfte die Wahl öfter aufs Ausland fallen: Denn es ist klar, dass Solarstrom im sonnigen Spanien in riesigen Solarfarmen wesentlich günstiger produziert werden kann als in den Schweizer Alpen. Ähnlich ist es mit Windenergie von der Nordsee.

In der Strombranche ärgern sich auffallend viele Player über diese Vorgabe der EU. Zum Beispiel der Verband der Windkraft-Betreiber Suisseole. Olivier Waldvogel, Co-Geschäftsführer des Verbandes, sagt: «Wir bedauern, dass der Bund den Mindestanteil für erneuerbaren Strom aus dem Inland streichen will.» Damit sinke «gerade für kleinere Investoren der Anreiz, in Windenergie zu investieren». Das sei «nicht im Sinne der Versorgungssicherheit». Ähnliches klingt es bei Swissolar, dem Verband der Solarwirtschaft: «Die Streichung des Begriffs ist ein grosser Ärger für uns», sagt Geschäftsleitungsmitglied David Stickelberger.

Liberalisierungsgegner: «Wir wurden verspottet»

Genugtuung herrscht hingegen bei den  Gewerkschaften und den  Gegnern  der Strommarktliberalisierung innerhalb der SP. Nationalrat Gaillard sagt: «Wir haben mehrmals davor gewarnt, dass die mit dem Abkommen völlige Marktöffnung den Ausbau der Erneuerbaren bremsen wird.» Gaillard ist auch Co-Leiter der Kommunikationsabteilung des Gewerkschaftsbundes (SGB). Die Kritiker der Liberalisierung seien  verspottet worden, sagt er. «Und nun zeigt sich: wichtige Massnahmen zur Förderung von grünem inländischem Strom fallen mit dem Abkommen weg.» 

In der Tat hatte SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard das Abkommen gar als «ökologische Katastrophe» bezeichnet, weil gleichzeitig der Strommarkt weitgehend liberalisiert werden soll. Seine Warnung: «Wenn einheimische Stromproduzenten nicht mehr wissen, wem sie den Strom verkaufen können und zu welchem Preis, dann werden sie auch nicht mehr in neue Anlagen investieren.» Das erhöhe das Risiko von Stromausfällen und Blackouts. Bislang deutete  einiges darauf hin, dass die grosse Mehrheit der Linken für das Stromabkommen ist. Ob sich das nun ändert, wird sich zeigen.

Eric Nussbaumer während eines Interviews, sitzend an einem Tisch, gestikulierend mit erhobenem Finger. Er trägt einen Anzug und eine Brille.

SP-Nationalrat Eric Nussbaumer glaubt, dass Energieminister Rösti trickst.

Foto: Raphael Moser

Das Stromabkommen ist Teil des Pakets zur Erneuerung der bilateralen Verträge  mit der EU, welches derzeit zur Debatte steht. Die SVP ist als einzige Partei geschlossen gegen das Vertragspaket – explizit auch gegen das Stromabkommen. Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU das gesamte Paket auch dann annimmt, wenn die Schweiz das Stromabkommen ausschlagen würde.  Das Schweizer Gesetz soll ans EU-Recht angepasst werden, sofern das Abkommen zustande kommt.

Trickst Energieminister Rösti?

Andere Politiker stürzt das EU-Diktat ins  Dilemma. Zum Beispiel SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. Er engagiert sich seit Jahren für erneuerbare Energien, gleichzeitig gehört er zu den grössten Befürwortern eines Stromabkommens mit der EU. Einen Interessenkonflikt sieht er in der neuen Ausgangslage nicht. Er sagt zwar: «Wenn die Mindestvergütung für Solarstrom tatsächlich abgeschafft würde, wäre das ein fatales Signal an alle, die sich überlegen, eine Solaranlage zu bauen.» 

Doch er ist überzeugt, dass die Streichung der Mindestvergütung für Solarstrom  – insbesondere bei kleineren Solaranlagen – gar nicht nötig wäre: «Die Förderrichtlinien der EU verlangen das nicht», sagt Nussbaumer. Dafür greift er den Energieminister frontal an: Bundesrat Rösti nutze «das Abkommen bloss, um seine innenpolitische Agenda durchzusetzen und die Förderung der Erneuerbaren zu beschneiden», sagt Nussbaumer.

Ähnlich argumentiert GLP-Präsident Jürg Grossen, ebenfalls Doppelkämpfer für Solarstrom und Stromabkommen. Wie Nussbaumer ist er vom EU-Stromdeal überzeugt und findet Röstis Auslegung ebenfalls falsch. Die Mindestvergütung müsse nicht abgeschafft, sondern angepasst werden. Heute sei sie wichtig, verliere aber in den nächsten zehn Jahren an Bedeutung sofern der Bundesrat die vorgesehenen Alternativen umsetze. Das seien lokaler Verkauf und günstige Speicherung von Strom. Dann könnten «weiterhin viele Solaranlagen rentabel gebaut werden», ist der GLP-Präsident überzeugt.

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