Publiziert7. September 2025, 04:31

«Iron-Detox»: Joel trank täglich fünf Flaschen Wein – jetzt ist er ein Ironman

Joel Werthmüller (31) war über Jahre starker Alkoholiker. Am Tiefpunkt seines Lebens entschied er sich, einen Triathlon zu absolvieren.

Anja Zobrist

Joel Werthmüller war über Jahre alkoholsüchtig.

Nach einem gescheiterten Suizidversuch entschied er sich, einen Ironman zu absolvieren, um seine Sucht zu überwinden.

In 21 Wochen trainierte er intensiv und schaffte es, den Ironman in Thun zu beenden.

Werthmüller möchte nun anderen Suchtkranken helfen und plant, wieder zu arbeiten.

Am 16. März hatte Joel Werthmüller noch Spuren von Kokain im Blut. Am 24. August absolvierte der Nidauer den Ironman in Thun. «In diesen Stunden während des Ironman lernte ich mich besser kennen als in den zehn Jahren zuvor», sagt der 31-Jährige.

Werthmüller trank über Jahre täglich bis zu sechs Flaschen Wein

Der 31-Jährige aus dem Kanton Bern war über zehn Jahre alkoholsüchtig. In den letzten vier Jahren war er fünfmal in einer Entzugsklinik. Die Sucht habe sich langsam eingeschlichen, erzählt er gegenüber 20 Minuten: «Während der Lehre auf dem Bau tranken wir oft ein Feierabendbier. Irgendwann waren es drei. Dann konnte ich ohne meine Hülsen nicht mehr einschlafen.» Bald reichte das Bier nicht mehr. Über vier Monate trank er fünf bis sechs Flaschen Wein am Tag, manchmal mit Wodka. Zwei Schachteln Zigaretten, alle drei Tage ein Gramm Kokain. «Nach der Arbeit wollte ich mich nur noch wegballern», sagt Werthmüller. Morgens trank er einen Liter Wasser – «und dann Alkohol». «Ich war ein Komasäufer.»

Lange habe das irgendwie funktioniert, sagt er. Irgendwann nicht mehr. «Wer will schon mit einem Alki zu tun haben?» Der Berner verlor viele Freunde, sagte oft Verabredungen ab, weil er zu betrunken war. Er belog den Chef, blieb zu Hause, wo sich die leeren Weinflaschen aneinanderreihten. «Mein Tagesziel war oft, meine Zähne zu putzen. Und selbst das schaffte ich nicht immer.»

Während des fünften Entzugs entschied sich Werthmüller: «Ich mache einen Triathlon»

März 2025. «Ich hatte den Tiefpunkt erreicht», sagt der 31-Jährige. Nach einem gescheiterten Suizidversuch und mit vier Promille im Blut habe er den Notfall aufgesucht. Der fünfte Entzug. In der Klinik, beim Spaziergang, fasste er den Entschluss: «Dieses Leben will ich nicht mehr.» Er rief einen alten Bekannten und Triathleten aus dem Militär an. Gemeinsam stellten sie einen Trainingsplan für den Ironman Switzerland zusammen: 3,8 Kilometer schwimmen, 180,2 Kilometer Velo fahren, 42,2 Kilometer laufen. «Um eine Sucht zu durchbrechen, muss man etwas Extremes machen», sagt Werthmüller.

Von fünf Flaschen Wein wechselte er nach dem Entzug auf bis zu fünf Stunden Sport pro Tag. Er trank vier Liter Wasser, ernährte sich gesund. «Ich habe gelitten: Schambeinentzündung, schmerzende Knie, brennende Füsse. Ich humpelte ins Training. Manchmal musste ich mich übergeben.» Wie sein Körper diese Umstellung und die körperliche Leistung hingebracht habe, wisse er auch nicht genau: «Ich hatte Glück. Meine Organe sind gesund, ich habe keine Leberzirrhose, noch alle Zähne und nicht mal Augenringe.» Werthmüller erzählt, dass das Triathlontraining seine Therapie gewesen sei: «In den Entzugskliniken habe ich vieles gelernt und wir haben viel geredet. Aber auch dort konnte ich meinen Gedanken nicht entkommen. Doch wenn du stundenlang auf dem Velo sitzt, geht das nicht mehr.»

Werthmüller erzählt, dass das Triathlontraining seine Therapie gewesen sei.

Werthmüller erzählt, dass das Triathlontraining seine Therapie gewesen sei.

privat

Während der Trainingsphase: Zweimal griff der 31-Jährige zur Flasche

Werthmüller griff zweimal während der Trainingsphase zur Flasche: «Rückfälle gehören dazu. Ich bin froh, konnte ich mich wieder fangen.» Der Nidauer ist sich sicher, dass er nur dank seiner mentalen Stärke die Sucht habe überwinden können: «Süchtige sind gute Menschen. Oft sind es auch empathische und sehr sensible Menschen. Personen, die Mühe haben, Hilfe zu holen und über Probleme zu sprechen. Dafür greifen sie zum Alkohol.» Er habe sich sein Leben selbst kaputtgemacht. Jahrelang habe er immer gesagt, er werde sein Leben ändern – «geklappt hat es erst, als ich ganz am Boden war».

Rund 700 Stunden trainierte der Berner für den Triathlon – 21 Wochen lang. «Für mich war das Training die einzige Therapie, die wirklich half.»

Rund 700 Stunden trainierte der Berner für den Triathlon – 21 Wochen lang. «Für mich war das Training die einzige Therapie, die wirklich half.»

privat

August 2025. Ironman in Thun. Werthmüllers Weg wird von einem alten Freund mit der Kamera begleitet. Im November erscheint ein Film über seinen Weg aus der Sucht. «Beim Start eines Ironman kämpft jeder darum, der Erste im Wasser zu sein. Auf mich war noch eine Kamera gerichtet.» Die Panik überkam ihn, als er ins Wasser stieg. «Ich konnte nicht atmen, hatte einen hohen Puls. Ich fühlte mich, als hätte ich einen riesigen Kater.» Doch er fing sich, kämpfte weiter. «Ich habe aus meinem Körper rausgeholt, was ging – ich wollte dieses Ziel erreichen.» Nach 12 Stunden und 34 Minuten rannte er ins Ziel.

Werthmüller will anderen Suchtkranken helfen

Rund 700 Stunden trainierte der Berner für den Triathlon – 21 Wochen lang. «Für mich war das Training die einzige Therapie, die wirklich half.» Er ist überzeugt, dass er den Triathlon nur durch mentale Stärke schaffte. «Körper und Geist haben alles gegeben, um da rauszukommen.»

Nach dem Triathlon genehmigten sich viele andere Teilnehmer ein Bier. Für Werthmüller kommt das nicht infrage. «Ich möchte anderen helfen, die auch durch die Hölle der Sucht gehen.» Nun möchte er wieder arbeiten – am liebsten im Rahmen seines Projekts Iron-Detox, etwa als Mentalcoach, wie er sagt. «Der Triathlon ist geschafft – meinen Ehrgeiz habe ich nicht verloren.»

Hast du oder hat jemand, den du kennst, Probleme mit Alkohol?

Blaues Kreuz Schweiz, Beratungsstellen

Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen

Anonyme Alkoholiker, Tel. 0848 848 885

Feel-ok, Informationen für Jugendliche

My Drink Control, Selbsttest

Vergiftungsnotfälle, Tel. 145

ada-zh, Anlaufstelle Angehörige Sucht

Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen

Darum wurde das Kommentarfeld deaktiviert
Folgst du schon 20 Minuten auf Whatsapp?

Eine Newsübersicht am Morgen und zum Feierabend, überraschende Storys und Breaking News: Abonniere den Whatsapp-Kanal von 20 Minuten und du bekommst regelmässige Updates mit unseren besten Storys direkt auf dein Handy.