
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen beschwört den Zusammenhalt der Europäischen Union. Foto: AFP
Oft blockiert sich die EU selbst, doch nun wagt Ursula von der Leyen in Sachen Israel einen Alleingang, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.
Ursula von der Leyen hat in Straßburg keine Rede zum Wohlfühlen gehalten – im Gegenteil. Europa befinde sich in einem existenziellen Kampf, warnte die EU-Kommissionschefin mit reichlich Pathos vor dem EU-Parlament. Diese Analyse ist nicht nur schonungslos, sondern auch richtig. In einer Welt mit Großmachtphantasien und imperialistischen Kriegen sind Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent bedroht.
Doch Ursula von der Leyen belässt es nicht bei dieser aufrüttelnden Beschreibung des Ist-Zustandes, sie will den Europäern Mut machen, gemeinsam den Kampf gegen die vielen Bedrohungen aufzunehmen. Doch an der EU-Kommissionschefin nagen offensichtlich grundsätzliche Zweifel. Zurecht stellt sie die Frage, ob die Union tatsächlich die nötige Geschlossenheit, den politischen Willen und das diplomatische Geschickt aufbringt, sich erfolgreich den fundamentalen Herausforderungen zu stellen.
Viele Pläne der EU verlaufen im Sande
Zu häufig sind in der Vergangenheit groß angekündigte Pläne an der Uneinigkeit der EU gescheitert. So wird seit Jahrzehnten etwa über die dringend notwendige Vertiefung des Binnenmarkts in den Branchen Energie und Finanzen diskutiert. Doch passiert ist herzlich wenig. Dieser Stillstand liegt allerdings auch an der Kommissionschefin selbst. Immer wieder kündigte Ursula von der Leyen in den vergangenen Jahren Vorhaben an, deren Umsetzung dann aber im Sande verliefen.
Wie massiv diese Selbstblockade der Union selbst bei existenziellen Themen ist, zeigt sich in der aktuellen Krise. Angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine müsste Europa im Eiltempo die eigene Verteidigungsfähigkeit erhöhen – auch weil die USA als verlässlicher Partner ausfallen. Doch die Europäische Union ist seit drei Jahren nicht in der Lage, sich zu einigen und gemeinsam die notwendigen Waffensysteme zu beschaffen. Jede Regierung stellt im Zweifel die nationalen Interessen voran und bestellt die benötigte Militärtechnik nur bei den eigenen, heimischen Firmen.
Europa ist ein geopolitischer Zwerg
Durch diesen Stillstand macht sich die wirtschaftlich mächtige EU zum geopolitischen Zwerg. Dieser Zustand wird auch von der Machtpolitikerin Ursula von der Leyen seit Jahren beklagt. Wohl auch deshalb hat sie beschlossen, einen Alleingang der Europäischen Kommission zu wagen. In ihrer Rede kündigte sie an, dass die Brüsseler Behörde Strafmaßnahmen gegen Israel einleiten werde. Unter anderem wegen des Widerstandes der deutschen Bundesregierung kann sich die Union bislang nicht auf Sanktionen wegen des brutalen Vorgehens Israels im Gazastreifen einigen. So kommt es zu der bizarren Situation, dass die EU zwar ein wichtiger Waffenlieferant und Wirtschaftspartner Israels ist, im Ringen um eine Lösung in dem Konflikt aber keinerlei Rolle spielt.
Israel verstößt gegen die Menschenrechte
Seit Monaten versucht Ursula von der Leyen, die 27 Mitgliedsländer der EU auf eine gemeinsame Linie zu bringen. In einem alarmierenden Bericht stellte die Kommission sogar fest, Israel verletze im Gazastreifen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht – doch die 27 Länder haben in dieser Frage 27 verschiedene politische Kulturen, die Gräben ziehen sich quer durch die Institutionen. Das ungeeinte Europa bleibt wieder einmal auf den eigenen moralischen Ansprüchen sitzen.
Mit ihrem Vorpreschen gegen Israel bringt Ursula von der Leyen sogar viele der eigenen Parteifreunde aus der CDU gegen sich auf. Doch die Kommissionschefin denkt längst nicht mehr in nationalen Grenzen. Sie hat in Straßburg ein deutliches Zeichen gesendet, dass sie ihre Rolle nicht als Verwalterin einer gelähmten EU sieht. Ursula von der Leyen nutzt die Uneinigkeit der Staaten und des EU-Parlaments konsequent zum Ausbau der eigenen Machtbasis. Dass sie die Zügel straffer in die Hand nimmt, muss nicht zum Nachteil Europas sein.