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Die Ukraine setzt verstärkt auf Drohnen und weitreichende Waffen. NATO-General Keller bestätigt Erfolge tief im russischen Hinterland.
Wiesbaden – Seit mehr als dreieinhalb Jahren tobt der durch Russland begonnene Ukraine-Krieg. Während Moskau weiter mit massiven Verlusten versucht, an der Frontlinie vorzurücken, baut die Ukraine ihre Fähigkeiten zur Gegenwehr aus. Besonders Angriffe tief im russischen Hinterland nehmen zu – und verschieben damit die Dynamik des Krieges. Für die NATO ist das nicht nur eine Frage der militärischen Unterstützung, sondern auch eine Chance, selbst von den Erfahrungen der Ukrainer zu profitieren.

NATO-General Maik Keller spricht über die wachsenden Fähigkeiten der Ukraine. Im russischen Hinterland – oder auch näher, wie hier nach einem Angriff auf ein Öl-Depot in Lugansk – zeigen sich die Folgen der Drohnenschläge. © Foto links: IMAGO / Mike Schmidt | Foto rechts: IMAGO / SNA
Im Mittelpunkt stehen dabei Drohnen, Marschflugkörper und die Fähigkeit, wichtige Ziele weit hinter den Linien des Gegners zu treffen. Immer klarer wird: Die Ukraine entwickelt nicht nur eigene Technologien, sondern etabliert auch eine neue Art der Kriegsführung, die weltweit aufmerksam verfolgt wird.
Ukraine verbessert Angriffe tief in Russland
Die ukrainische Armee hat zuletzt gezielt Raffinerien und Treibstoffanlagen in Russland angegriffen. Mit Drohnenschwärmen und dem neu entwickelten Marschflugkörper „Flamingo“ gelingt es Kiew zunehmend, die militärische Infrastruktur des Gegners unter Druck zu setzen. Parallel dazu kündigte die Bundesregierung an, 300 Millionen Euro für die Massenproduktion tausender Drohnen bereitzustellen.
Auch auf internationaler Ebene forciert die Ukraine neue Waffendeals. Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte laut Reuters an, in den USA eine umfangreiche Liste von Rüstungsgütern im Wert von rund 90 Milliarden Dollar zu verhandeln. Im Mittelpunkt stehen Patriot-Systeme, Drohnen und weitere weitreichende Waffen, ein besonderer Fokus liege auf Langstreckenraketen.
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Fotostrecke ansehenNATO will von ukrainischer Drohnentechnik lernen
In der Wiesbadener Lucius-D.-Clay-Kaserne schaut man genau auf Kiews Militärstrategie. Hier koordinieren Experten aus 30 Nationen die Unterstützung der Ukraine. Dort zeigt sich: Die Zusammenarbeit funktioniert längst in beide Richtungen. NATO-General Maik Keller betont gegenüber der dpa, dass die ukrainischen Streitkräfte in Sachen Drohnentechnologie eine weltweite Spitzenstellung innehaben. Diese reiche weit über Kampfeinsätze hinaus – etwa in der Logistik oder beim Verwundetentransport.
Keller gilt dabei als zentrale Figur der militärischen Koordination. Der 52-Jährige ist stellvertretender Kommandeur der NATO-Initiative zur Unterstützung der Ukraine (NSATU) und betont, dass die Allianz nicht nur Waffen liefert, sondern auch von den ukrainischen Erfahrungen profitiert. „Wir wären bescheuert, wenn wir die ganzen Informationen nicht für unsere Weiterentwicklung nutzen würden“, sagt er.
NATO-General Maik Keller
Drohnen verändern die Kriegsführung im Ukraine-Krieg
Für Keller ist das Lernen aus den ukrainischen Erfahrungen ein klarer Auftrag. Wenn NATO-Soldaten durch die Erkenntnisse aus dem Krieg vor Fehlern oder unnötigen Verlusten bewahrt werden können, sei das Teil verantwortungsvoller Führung. Damit verbindet er die militärische Pflicht, aktuelle Entwicklungen in die Ausbildung und Planung des Bündnisses zu integrieren.
Auch bei der NATO wächst das Bewusstsein für die neuen Risiken. Der ukrainische Drohnenkommandeur Robert „Magyar“ Brovdi warnte im Sommer eindringlich, wie schnell auch NATO-Stützpunkte angreifbar seien. Seine Botschaft: Die Technologie ist billig, leicht zugänglich und verändert die Regeln des Krieges grundlegend.
Selenskyj fordert Tomahawks von Trump
Bei seinem jüngsten Treffen mit US-Präsident Donald Trump sprach Selenskyj offen über den Bedarf an neuen Langstreckenwaffen. Laut Axios bat er um die Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern, die mit einer Reichweite von bis zu 1.600 Kilometern auch zentrale Ziele in Russland erreichen könnten. Trump habe daraufhin erklärt, man werde sich „darum kümmern“.
Selenskyj machte deutlich, dass schon der Besitz solcher Systeme strategischen Druck erzeugen würde. „Wenn sie wissen, dass wir sie haben, müssen sie sich an den Verhandlungstisch setzen – vielleicht ohne, dass wir sie einsetzen“, sagte er.
Parallel dazu bestätigte Selenskyj, dass die Ukraine bereits ein Patriot-System aus Israel erhalten habe, das seit einem Monat in Betrieb sei. Zwei weitere Systeme würden im Herbst aus Deutschland erwartet, meldet The Kyiv Independent.
Ukraine-Krieg: Kein Zusammenbruch der Front in Sicht
Trotz der neuen Fähigkeiten bleibt die militärische Lage an der Front schwierig. Beobachter sprechen von einem weitgehend statischen Verlauf, dominiert durch Drohnenoperationen in einem Streifen von 20 Kilometern vor und hinter der Frontlinie. Der klassische Kampfpanzer hat dadurch an Bedeutung verloren, kleinere mobile Einheiten auf Motorrädern und Quads gewinnen an Gewicht.
Keller sieht den Schlüssel in der konsequenten Unterstützung und dem langen Atem. Ein einzelnes „Wunderwaffensystem“ gebe es nicht. Entscheidend sei die Summe vieler Maßnahmen. „Wenn es zum Schwur kommt, versteht Putin nur Stärke“, so der General.
NATO sagt Kiew weitere Waffenhilfen zu
Auch NATO-Generalsekretär Mark Rutte stellte klar, dass die Waffenlieferungen fortgesetzt werden. „Die NATO-Unterstützung für die Ukraine fließt weiter – einschließlich entscheidender amerikanischer Waffen und Ausrüstung, die von den Nato-Alliierten finanziert werden“, erklärte er auf X nach einem Treffen mit Selenskyj am vergangenen Donnerstag (25. September).
Die Lieferungen laufen über die sogenannte PURL-Initiative („Prioritised Ukraine Requirements List“), die es ermöglicht, US-Waffen mit gebündelten NATO-Beiträgen zu finanzieren. Laut United24 Media stehen derzeit Zusagen im Umfang von rund 2,1 Milliarden Dollar, unter anderem aus Schweden, Norwegen, den Niederlanden und Dänemark. (Quellen: dpa, Reuters, Axios, The Kyiv Independent, United24 Media) (chnnn)