StartseiteDeutschland

DruckenTeilen

Die IQB-Bildungsstudie 2024 offenbart dramatische Defizite: Mathematik und Naturwissenschaften stellen deutsche Schüler vor immer größeren Problemen.

Berlin – Fast jeder dritte Neuntklässler in Deutschland scheitert an den Mindestanforderungen in Mathematik. Diese erschreckende Bilanz zieht der aktuelle IQB-Bildungstrend 2024, der das deutsche Bildungssystem erneut erschüttert. Die regelmäßige Leistungsmessung entpuppt sich als Zeugnis einer Bildungskrise.

Schüler schreiben eine Klausur

Die MINT-Fächer stellen Schüler in Deutschland vor großen Problemen. © Action Pictures/IMAGO

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In allen vier untersuchten Fächern (Mathematik, Biologie, Chemie und Physik) werden die Regelstandards seltener erreicht und die Mindeststandards häufiger verfehlt als noch 2018. Das berichtet das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Schon in der Pisa-Studie 2023 schnitt Deutschland schlecht ab.

Bundesweit stürzen Schüler in den MINT-Fächern ab – doch es gibt regionale Unterschiede

Das IQB untersuchte knapp 50.000 Jugendliche aus mehr als 1.500 Schulen in allen 16 Bundesländern. Ausgewählt wurden die Schulen per Zufallsverfahren; erfahrene Lehrkräfte aus ganz Deutschland konzipierten die Aufgaben. Die Ergebnisse fallen „wenig erfreulich aus“, wie die Studienautorinnen und -autoren diplomatisch formulieren. Doch hinter dieser zurückhaltenden Wortwahl verbirgt sich eine bildungspolitische Katastrophe: Kein einziges Bundesland konnte sein Leistungsniveau halten.

Der Rückgang betrifft nicht nur Mathematik, sondern auch die Naturwissenschaften. In Chemie verfehlen 25 Prozent der Schüler die Mindeststandards, in Physik 16 Prozent und selbst in Biologie sind es noch 10 Prozent. Besonders alarmierend: Diese Verschlechterung zieht sich durch alle Schulformen.

Bilderstrecke von der „Abilution“-Party in Hankensbüttel: Vier Schulen feiern gemeinsam

Bilderstrecke von der „Abilution“-Party in Hankensbüttel: Vier Schulen feiern gemeinsam

Fotostrecke ansehen

So schnitten die Bundesländer ab:

SachsenBayernThüringenBaden-WürttembergSachsen-AnhaltSchleswig-HolsteinHamburgMecklenburg-VorpommernBrandenburgBerlinRheinland-PfalzSaarlandNiedersachsenNordrhein-WestfalenHessenBremen

Die regionalen Unterschiede bleiben gravierend. Während Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg weiterhin die Spitzenplätze belegen, kämpfen Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hessen mit besonders schwachen Ergebnissen. In Bremen erreichen fast die Hälfte aller Neuntklässler nicht die Mindeststandards in Mathematik.

Corona als Brandbeschleuniger, doch das deutsche Schulsystem steckt schon länger in der Krise

Die Verantwortlichen führen den Kompetenzverfall größtenteils auf die Corona-Pandemie zurück. Die aktuell untersuchte Schülergeneration erlebte ihre bildungsentscheidende fünfte Jahrgangsstufe inmitten von Lockdown-Maßnahmen – genau in jener Entwicklungsphase, in der mathematische und naturwissenschaftliche Grundlagen hätten verankert werden sollen. Schulschließungen, Online-Unterricht und soziale Vereinsamung prägten ihren Lernalltag.

Die Pandemie wirkte jedoch vorrangig als Beschleuniger längst vorhandener Systemschwächen. Strukturelle Unterfinanzierung und anhaltender Lehrkräftemangel haben das deutsche Schulwesen systematisch geschwächt. Die Gesundheitskrise legte bloß, was Bildungsexperten seit Jahren prognostizieren: ein Bildungsapparat, der bereits vor der Pandemie an seinen Belastungsgrenzen operierte.

Hinzu kommt ein Schwund der Lernmotivation: Mehr als jeder zweite Neuntklässler zeigt laut dem IQB offene Ablehnung gegenüber mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Die Studie dokumentiert einen beunruhigenden Anstieg seelischer Belastungen, von denen insbesondere Mädchen betroffen sind. Diese manifestieren sich in verschlechterten Schulleistungen.

Bildungsungerechtigkeit erreicht neue Dimensionen: Kinder mit Migrationshintergrund hängen hinterher

Die Kluft zwischen den Bildungschancen verschiedener Bevölkerungsgruppen vertieft sich kontinuierlich. Landesweit zeigen sich massive Leistungsrückstände bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, wobei neu zugewanderte Schüler besonders gravierende Defizite aufweisen.

Kinder aus privilegierten Haushalten dominieren weiterhin die Leistungsspitze, während ihre Altersgenossen aus bildungsfernen Schichten systematisch abgehängt werden. Diese Entwicklung untergräbt das Versprechen gleicher Bildungschancen und verfestigt gesellschaftliche Hierarchien.

Konkrete Lösungen gefordert: Kultusminister beschwören „gemeinsame Kraftanstrengung“

Die Reaktionen aus der Politik folgen laut der Website der Kultusminister-Konferenz bekannten Mustern: Beschwörung baldiger Verbesserungen, Ankündigung zielgerichteter Hilfsmaßnahmen und Verweis auf bestehende Programme wie die Startchancen-Initiative.

„Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, um die Basiskompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler zu stärken“, sagt Simone Oldenburg, Ministerin für Bildung und Kindertagesförderung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Christine Streichert-Clivot, Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes, betont: „Wir müssen Schule als Lebensort denken, an dem junge Menschen Vertrauen in sich selbst entwickeln, Neugier entfalten und ihre Potenziale voll ausschöpfen können.“ (Quellen: Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen/Kultusminister-Konferenz) (jaka)